Die Sahel-Allianz im Wachkoma

picture alliance / Ute Grabowsky/Ute Grabowsky
Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) und Karamoko Jean Marie Traore, Außenminister von Burkina Faso, im März 2024 in der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou. Die Bundesregierung will den Kontakt zu den Putschregierungen in Burkina Faso, Mali und Niger nicht komplett abreißen lassen.
Berlin
Was tun mit einer Allianz, der die Partner verloren gehen, die man aber auch nicht zu Grabe tragen will? Vor dieser Frage steht die Sahel-Allianz, deren Generalversammlung in Berlin ansteht.

Zu der Allianz gehören die im Sahel engagierten westlichen Geberstaaten und Entwicklungsbanken sowie die Gruppe der G5-Sahel-Staaten Mali, Burkina Faso, Niger, Mauretanien und Tschad. Die G5, die 2014 zur Terrorbekämpfung geschlossen wurde, aber im Sahel schon lange als Instrument ausländischer Interessen vor allem der früheren Kolonialmacht Frankreich empfunden wurde, hat sich Ende 2023 aufgelöst. Ihr war 2017 als französisch-deutsche Initiative die Sahel-Allianz zur Seite gestellt worden, in der sich Geber- und Sahelländer entwicklungspolitisch besser abstimmen wollen, um die fragile Region zu stabilisieren. 

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hat vor einem Jahr den Vorsitz der Sahel-Allianz übernommen; sie ist folglich Gastgeberin der nächsten Generalversammlung ab 15. Juli in Berlin. Allerdings sind westliche Geber zu den Putschregierungen in Burkina Faso, Mali und Niger inzwischen auf Distanz gegangen, die bilaterale staatliche Zusammenarbeit wurde eingefroren oder – wie von Deutschland – „auf regierungsferne und bevölkerungsnahe“ Unterstützung umgesteuert. 

Der Sahel-Experte Helmut Asche von der Universität Leipzig hält die Allianz schon seit einiger Zeit für tot. „Der Anspruch der Geberkoordinierung ist nicht im Ansatz eingelöst, das weiß jeder“, sagt Asche, der auch Ko-Vorsitzender im Ausschuss Sahel der Vereinigung für Afrikawissenschaften in Deutschland ist. 

1,3 Millionen Flüchtlinge

Stattdessen wächst die Unsicherheit in der Region. Mali, Niger und Burkina Faso haben sich zur Allianz der Sahelstaaten verbunden, einem Verteidigungspakt, dennoch nehmen dschihadistischer Terror und Überfälle auf Gemeinden zu. Rund 4,3 Millionen Menschen sind in der Region vor Gewalt geflohen: Das Flüchtlingskommissariat der UN zählt 1,3 Millionen Flüchtlinge und drei Millionen Binnenvertriebene (IDPs). Die Vereinten Nationen erwarten, dass im Jahr 2024 allein in Mali, Niger und Burkina Faso 17 Millionen Menschen und damit rund ein Viertel der Bevölkerung der drei Länder auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden.

Das Entwicklungsministerium (BMZ) will den Kontakt zu den autoritären Putschregimen nicht völlig abbrechen. Zum Jahreswechsel erklärte das Ministerium auf eine Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag, zur Bewältigung der sich überlagernden Krisen im Sahel sei „ein gemeinsamer Dialog“ mit den Staaten im Sahel wichtig. Bei ihrer Reise nach Burkina Faso (und Benin) im Frühjahr traf Schulze auch Vertreter der burkinischen Militärregierung. 

Zur anstehenden Generalversammlung der Sahel-Allianz hat das BMZ zwar Regierungsvertreter und -vertreterinnen aus allen fünf Sahelstaaten eingeladen, aber lediglich aus den für Entwicklungszusammenarbeit und die Weltbank zuständigen Ministerien dort, erläutert ein BMZ-Sprecher auf Anfrage. Eingeladen sind außerdem Organisationen der Zivilgesellschaft aus dem Sahel. Zur Lösung der Krisen brauche es eine Kraftanstrengung aller Beteiligten, sagt der Sprecher. 

Auf lokaler Ebene engagieren

In der Vergangenheit sei Deutschland mit seinem Engagement gewöhnlich Frankreich gefolgt, sagt Marcel Maiga, Mitglied im Steuerkreis deutscher Organisationen des Netzwerks Fokus Sahel. „Das hat Unzufriedenheit vor Ort ausgelöst.“ Nun hoffen die zivilgesellschaftlichen Kräfte, dass die Bundesregierung auf lokaler Ebene engagiert bleibt, ländliche Entwicklung und Energieversorgung fördert, Menschenrechtsgruppen und Medien gegen zunehmende Repression schützen hilft und zugleich Gesprächskanäle zu den Junten offenhält, hieß es im Juni von Teilnehmern einer Sahel-Konferenz von Fokus Sahel in Berlin. 

Deutschland hat in der Sahel-Allianz eine Bestandsaufnahme angestoßen, welche Unterstützung der Geberländer bislang an den Ursachen für Instabilität und Unsicherheit ansetzt und wie humanitäre Hilfe, Entwicklungsarbeit und Friedensförderung stärker miteinander verzahnt werden können. „Gefragt ist weniger Zeigefinger und mehr ausgestreckte Hand“, so der BMZ-Sprecher. Man wolle „wieder stärker in eine Rolle kommen, die Mitgestaltung ermöglicht“, mehr mit Regionen und Kommunen arbeiten, statt Berater in Regierungen zu entsenden. 

Neue Konzepte und Instrumente im Sahel erwarten auch die Welthungerhilfe und terre des hommes in ihrem jährlichen „Kompass“ zur deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Zwar schrumpfe die Bewegungsfreiheit für Hilfsorganisationen und steige der finanzielle und logistische Aufwand für Nahrungsmittel- oder Trinkwasserhilfe. Doch Welthungerhilfe-Vorstand Mathias Mogge betont: „Wir können und müssen in diesen Ländern arbeiten – mit Organisationen, die nah an den Kommunen sind.“ Der Akzent müsse von der Nothilfe auf die längerfristige Stärkung der Landwirtschaft verschoben werden, etwa mit Bewässerungsprojekten, sagt Joshua Hofert, Chef von terre des hommes. Er hoffe, dass die Bundesregierung sich bei der Generalversammlung klar zur Zusammenarbeit mit lokalen Kräften bekenne. Das sei der Schlüssel zum Erfolg. 

Weil der Staat abwesend sei, erhielten viele Dörfer Trinkwasser oder Medikament nur über Hilfsorganisationen, bestätigt Boubacar Haidara, Forscher am Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC). Gutachten zeigten zudem, dass lokales Konfliktmanagement einen wichtigen Beitrag zur Befriedung leiste. Ein Rückzug westlicher Geber wäre laut Haidara kontraproduktiv, weil das den Druck bewaffneter Gruppen auf die Bevölkerung nur verstärken würde.

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