„Die Ecowas setzt nun stärker auf Diplomatie. Das begrüßen wir“

OUSMANE MAKAVELI/AFP via Getty Images
Nein zur Ecowas: In Mali demonstrieren im Februar 2024 junge Leute gegen die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (französische Abkürzung: Cedeao) und für die neue Allianz der Sahel-Staaten (AES), die Niger, Mali und Burkina Faso gebildet haben.
Sahel
Nachdem sich das Militär in Burkina Faso, Mali und im Niger an die Macht geputscht hat, wollen die drei Sahelländer aus der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas austreten. Wieso das ihre Lage schwieriger macht und wie Deutschland die Region weiter unterstützt, erklärt die Parlamentarische Staatssekretärin im BMZ, Bärbel Kofler.

Bärbel Kofler ist seit Ende 2021 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesentwicklungsministerium (BMZ). Sie sitzt seit 2004 für die SPD im Bundestag und war von 2016 bis 2021 Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung.

Ende Januar haben Mali, Niger und Burkina Faso angekündigt, aus der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas auszutreten. Kurz darauf haben Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Sie Nigeria besucht und dort auch den Kommissionspräsidenten der Ecowas gesprochen. Worum ging es Ihnen dabei? 
Es war Ministerin Schulze wichtig, den Präsidenten der Ecowas Omar Touray zu treffen und sich bei der Frage einzubringen, wie in der Region den Zusammenhalt zwischen den Ländern in dieser Situation beibehalten kann. Für uns war es eine sehr gute Gelegenheit, so kurz nach der Ankündigung des Austritts der drei Staaten das Gespräch darüber zu suchen konnten, wie Ecowas sich in dieser sehr schwierigen Situation die weiteren Schritte vorstellt. Offiziell gibt es nach den Statuten von Ecowas ein Jahr Übergangsfrist für einen Austritt, auch wenn die drei betroffenen Staaten das im Moment ein bisschen anders sehen. Diese Zeit möchte die Ecowas nutzen, um zu sehen, wie man Differenzen beilegen kann. Der Sinn unseres Besuches war, erst einmal zuzuhören und zu sehen, wie wir Ecowas in ihrer Rolle als regionale Friedens- und Sicherheitsakteurin, aber auch beim Voranbringen der regionalen Integration weiter unterstützen können. Ministerin Schulze ist ja auch Vorsitzende der Sahel-Allianz, mit der zwölf Geberländer sowie Organisationen wie die Weltbank ihre Arbeit im Sahel koordinieren und voranbringen wollen.

Welche Unterstützung möchte die Ecowas von Deutschland oder Europa? 
Der Ecowas ist wichtig, dass wir Demokratie, Menschenrechte und eben Perspektiven für die Bevölkerung in den Mittelpunkt stellen. Wir begrüßen sehr, dass die Regionalorganisation Dialog und Diplomatie in den Mittelpunkt stellt, auch jetzt in den anstehenden Verhandlungen mit Mali, Burkina Faso und Niger. 

Die Ecowas hat nach jedem Putsch auf die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung gedrängt und dafür gegen Mali und Burkina Faso zeitweise harte Sanktionen verhängt, die dort übel aufgenommen wurden. Will sie weiter für die verfassungsmäßige Ordnung eintreten und welche Einflussmöglichkeiten hat sie dafür noch?
Ja, die Ecowas will die Verfassungsordnungen in der Region stützen. Das ist auch unser Interesse, denn es gehört zu funktionierender Staatlichkeit. Aber es ist richtig, sich anzusehen, mit welchen Maßnahmen man diese Ziele erreichen kann. Die Ecowas hat am 8. Februar erklärt, sie wolle nun stärker mit Mitteln der Diplomatie vorgehen. Denn natürlich ist das Verhältnis der drei Staaten zur Ecowas sehr angespannt. Es ist dringend nötig, wieder einen Gesprächsfaden zu finden. Trotzdem ist der Einsatz für verfassungsmäßige Ordnungen wichtig und er wird weiter für die Ecowas zentral sein. 

Zeigt der Austritt der drei Länder nicht, dass für deren Militärregierungen die Regimesicherung Vorrang vor den Beziehungen zu den Nachbarländern hat? 
Offiziell begründen die drei Länder ihren Austritt mit der Sicherheitslage. Ich glaube aber, dass nicht bis zum Ende durchdacht ist, welche Folgen der Schritt für sie selbst haben kann. Es besteht jetzt für beide Seiten die Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen und aus der verfahrenen Situation wieder herauszukommen, vor allem im Interesse der Bevölkerung. Das wird die Ecowas versuchen, auch wenn die drei austretenden Staaten es ihr im Moment nicht einfach machen. Aber auch die drei Länder müssen Probleme zu Hause lösen. Die schlechte Sicherheitslage und der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten und Perspektiven für junge Menschen lösen sich ja nicht mit einem Austritt aus der Ecowas. Die Zuwendung zu Russland, die wir jetzt beobachten, wird jedenfalls nicht für neue Jobs, Wasserleitungen oder bessere Gesundheitsversorgung sorgen. Das zeigen alle bisherigen Erfahrungen im Sahel. 

Das BMZ will im Rahmen seiner Sahel-Plus-Initiative Jobs und Ausbildungsplätze für junge Leute schaffen und soziale Sicherungssysteme aufbauen helfen. Das ist im Sahel schon aufgrund der Kämpfe mit islamistischen und anderen Gruppen sehr schwierig. Erschwert der Austritt aus der Ecowas es weiter, weil er die Entwicklungschancen der drei Länder noch schmälert – zum Beispiel mit neuen Hindernissen für den regionalen Handel? 
Wir haben keine Glaskugel und wissen nicht, welche wirtschaftlichen Folgen der Austritt haben wird; das hängt von Verhandlungen über seine Modalitäten ab, die erst noch bevorstehen. Und die drei Staaten bleiben auch bei einem Austritt aus der Ecowas Mitglieder der westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion UEMOA, der fünf weitere der fünfzehn Ecowas-Mitgliedsländer angehören. Das kann Mali, Niger und Burkina Faso ökonomisch helfen. Sie sind aber nach dem Austritt aus der Ecowas nicht mehr Teil der Wirtschaftsgemeinschaft mit den sieben übrigen Ecowas-Ländern, darunter das wirtschaftliche starke Nigeria und Ghana, mit denen Mali, Niger und Burkina Faso einen Großteil ihres Außenhandels abwickeln. Hinzu kommt, dass Handelsvorteile aufgrund bestehender Wirtschaftsabkommen der Ecowas mit Drittstaaten und anderen Regionalorganisationen dann für die drei Länder nicht mehr gelten, sie müssen die für sich selbst neu aushandeln. Auch das ist eine ökonomische Bürde. Der Austritt wird sich sicher wirtschaftlich nicht günstig für die drei Länder auswirken. 

Und weitere Belastungen? Zum Beispiel werden die drei Staaten den Zugang zu Krediten der Ecowas-Entwicklungsbank verlieren, und ihre Bürger werden nicht mehr so einfach zum Arbeiten nach Nigeria und Ghana gehen können.
Ja, es wird schwieriger. Ungeklärt ist auch, was der Austritt für die Menschen aus den drei Ländern bedeutet, die in den Küstenländern leben wie Benin, Togo oder Côte d'Ivoire. Sie sind zwar Mitglieder der UEMOA, die Freihandel und Freizügigkeit der Personen vorsieht, aber sie sind zugleich Ecowas-Mitglieder. Ich vermute, der Austritt wird für die Diaspora aus Niger, Mali und Burkina Faso in den Küstenländern keine Erleichterung, sondern eher Erschwernisse bringen. Außerdem sind Mali, Burkina, Faso und Niger Binnenländer und enorm von Importen abhängig. Ich habe in Togo vergangenes Jahr selbst gesehen, wie viel Warenverkehr dort von der Hafenstadt Lomé aus Richtung Sahel geht. Ökonomisch ist der Austritt eine sehr, sehr schwierige Entscheidung. Natürlich respektieren wir in der Sahel-Allianz die Entscheidungen, die in der Region selbst getroffen werden. Aber es macht die Unterstützung nicht einfacher, wenn das Gespräch der Länder untereinander so schwierig ist. Doch man darf die Menschen in der Region nicht im Stich lassen. Das deutsche Entwicklungsministerium arbeitet deshalb weiter in Niger, Mali und Burkina Faso – nicht mit den Putschregierungen, aber mit nichtstaatlichen Organisationen, UN-Organisationen und manchmal kommunalen Gremien. Es wäre falsch, jetzt ein Rückzugssignal zu senden. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen dem Mangel an Perspektiven und dem Abgleiten junger Menschen in Extremismus. Junge Menschen brauchen Perspektiven. Dazu brauchen wir die Gebergemeinschaft, aber natürlich auch die Regionalorganisation und die Staaten selbst. Daran müssen und wollen wir festhalten.

Werden Entwicklungsvorhaben des BMZ in den drei Staaten von dem Austritt beeinträchtigt? 
Das hängt stark davon ab, welche Vereinbarungen die drei Staaten mit ihren Nachbarländern treffen werden. Es hat sehr wahrscheinlich Auswirkungen auf lokale Preise, die dann zum Beispiel auch Preissteigerungen für unsere Infrastrukturvorhaben bedeuten. Wir werden uns außerdem eng mit der Ecowas dazu abstimmen, in welcher Form Projekte, die bisher im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit ihr in den drei Ländern laufen, dort weiter durchgeführt werden können. Trotzdem gibt es Dinge, an denen die Region und die drei Staaten gemeinsam Interesse haben – eben zum Beispiel Perspektiven für junge Menschen zu schaffen. Der Sahel ist eine der jüngsten und zugleich ärmsten Regionen der Erde. Das führt auch zu Sicherheitsproblemen, wenn sich nämlich Menschen aus Verzweiflung und einem Mangel anderer Perspektiven Terroristen zuwenden. Hinzu kommt der Klimawandel, der Anpassungen in der Landwirtschaft notwendig macht. Daran arbeiten wir bisher und werden das weiter tun. 

Der Niger wurde von Europa lange als der Türsteher behandelt, der die Migration Richtung Europa bremst. Ist das nun gescheitert? 
Ich halte diese Bezeichnung aus vielerlei Gründen für falsch. Und was heißt gescheitert? Wenn man Perspektiven für die Menschen in der Region aufzeigen kann, werden sich die wenigsten auf die sehr gefährlichen Wege Richtung Mittelmeer machen. Darum ist es Ministerin Svenja Schulze und mir auch beim Besuch Anfang Februar in Nigeria gegangen: Was kann man tun, um Ausbildung und Jobchancen vor Ort zu stärken und zu vermitteln: Welche Fähigkeiten benötigen die Menschen in den Herkunftsländern, wenn sie nach Europa wollen, um dort Fuß zu fassen? Das haben wir zum Beispiel in einem Migrationszentrum in Nigeria besprochen.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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