„Wir müssen etwas gegen illegale Finanzflüsse tun“

Ein Tower zwischen modernen Häusern in Port Louis, Mauritius. Im Vordergund eine mehrspurige Straße befahren von Autos, davor ein Rasenstreifen mit Palmen.
Ken Welsh/UCG/Universal Images Group via Getty Images
Der State Bank Tower in Port Louis, Mauritius. Der Inselstaat spielt in den Strategien multinationaler Konzerne, Steuern zu vermeiden, eine bedeutende Rolle.
Steuergerechtigkeit
Mal konfrontativ, mal kooperativ: Das Tax Justice Network Africa setzt sich in vielen Ländern des Kontinents für eine gerechte Besteuerung ein. Ganz oben auf der Tagesordnung steht der Kampf gegen die teils illegale, teils illegitime Steuervermeidung großer Konzerne, die auf dem Kontinent tätig sind. Verbündete suchen die Steuerfachleute dabei in den afrikanischen Parlamenten und Medien.

Everlyn Kavenge Muendo ist Juristin und arbeitet seit drei Jahren als Policy Officer beim Tax Justice Network Africa.

Frau Muendo, welche Kampagne des Tax Justice Network Africa der letzten Jahre würden Sie als Erfolg bezeichnen?
Auf jeden Fall die für eine UN-Konvention über internationale Zusammenarbeit in Steuerfragen, über die seit diesem Jahr verhandelt wird. Dafür haben wir uns viele Jahre lang eng mit der Global Alliance for Tax Justice abgestimmt. Der Bericht des High Level Panel on Illicit Financial Flows from Africa aus dem Jahr 2021 hatte empfohlen, die Zusammenarbeit in Steuerfragen bei den Vereinten Nationen anzusiedeln. Dafür haben sich dann bei einem Treffen im Mai 2022 auch die afrikanischen Finanzminister ausgesprochen. Wir haben diese Vorstöße zusammen mit der Global Alliance for Tax Justice unterstützt. In der Zivilgesellschaft gab es eine Menge Süd-Süd-Kooperation für eine UN-Steuerkonvention. Es war offensichtlich, dass das Problem der illegitimen Finanzflüsse den gesamten Kontinent betrifft und dass die internationale Zusammenarbeit in Steuerfragen ein vielversprechender Weg ist, damit umzugehen. Und dafür braucht es ein Forum, in dem die Staaten Afrikas gleichberechtigt vertreten sind und die Agenda mitbestimmen können. 

Und was würden Sie als Erfolg Ihrer Arbeit mit Blick auf Steuerpolitik in Afrika nennen?
Wir haben gemeinsam mit Oxfam einen Fair Tax Monitor ins Leben gerufen, mit dem wir evaluieren, wie gerecht die Steuerpolitik in afrikanischen Ländern ist. In Sambia etwa haben wir untersucht, wie sich die Steuerpolitik auf Frauen auswirkt. Dabei haben wir festgestellt, dass bei der Datenerhebung kaum nach Geschlechtern differenziert wird. Wir haben der Regierung gesagt, dass Steuerdaten nach Geschlechtern aufgeschlüsselt sein sollten, um die Politik verbessern zu können. In den meisten Staaten Afrikas sieht es diesbezüglich nicht besonders gut aus. Die sambische Regierung hat uns zugesagt, dass sie das ändern und künftig nach Geschlechtern aufgeschlüsselte Daten erheben würde. Für uns ist das ein großer Erfolg, auch wenn es zunächst nur ein erster Schritt ist.

Wie haben Sie es geschafft, die Regierung zu überzeugen?
Die sambische Regierung ist deutlich zugänglicher für Anliegen der Zivilgesellschaft als die meisten anderen Regierungen in Afrika. Wichtig war aber auch, dass die beteiligten zivilgesellschaftlichen Organisationen schon während der Datenerhebung für ihren Bericht auf das Finanzministerium und andere Regierungsstellen zugegangen sind und nicht erst, als sie ihre Ergebnisse vorgelegt haben. Das hat Vertrauen geschaffen und bei der Regierung die Sensibilität dafür erhöht, dass nach Geschlechtern aufgeschlüsselte Steuerdaten sinnvoll sind.

Ist es besser, kooperativ statt konfrontativ vorzugehen, um Steuerpolitik zu ändern?
Das hängt von den Umständen und vom politischen System in einem Land ab. Und manchmal auch davon, welche Personen zu einem bestimmten Zeitpunkt am Ruder sind. Wir müssen da sehr flexibel sein. In Kenia haben wir etwa einen eher konfrontativen Weg gesucht, um gegen ein Abkommen zur Doppelbesteuerung mit Mauritius vorzugehen. Das Problem war, dass die Regierung das Abkommen geschlossen hatte, ohne dem Parlament Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern. Das wäre aber wichtig gewesen, weil über das Parlament letztlich die Öffentlichkeit beteiligt wird. Deshalb haben wir eine Klage im öffentlichen Interesse, eine Public Interest Litigation, gegen das Finanzministerium angestrengt. 

Wie haben Sie die Klage begründet?
Unserer Ansicht nach war das Abkommen mit Mauritius nicht verfassungsgemäß, weil es gegen prozedurale Vorgaben verstieß, wie solche Abkommen abgeschlossen werden müssen. Außerdem hätte es die Möglichkeiten Kenias deutlich verschlechtert, Steuern zu erheben. Das hätte zu Einnahmeverlusten geführt und damit die Möglichkeit des Staates verschlechtert, in die Entwicklung des Landes zu investieren. Das Oberste Gericht hat unserer Klage 2019 stattgegeben und das Abkommen für ungültig erklärt – allerdings nur wegen der Verfahrensfragen, nicht wegen unserer inhaltlichen Einwände. Aber das hat immerhin dazu geführt, dass das Finanzministerium seitdem zu Eingaben aus der Öffentlichkeit aufruft, wenn neue Abkommen zur Doppelbesteuerung geschlossen werden sollen. Unsere Public Interest Litigation hat also die Möglichkeiten der interessierten Öffentlichkeit verbessert, sich in Fragen der Doppelbesteuerung zu beteiligen.

Sie haben ein Netzwerk afrikanischer Parlamentarier zu Steuerfragen gegründet. Was hat es damit auf sich?
Das Netzwerk haben wir geschaffen, weil es sehr wichtig ist, dass die Parlamentsabgeordneten als Vertreter der Öffentlichkeit der Regierung auf die Finger schauen, so dass die in Steuerfragen nicht machen kann, was sie will. Wir sprechen gezielt Abgeordnete in den zuständigen Parlamentsausschüssen an und bieten ihnen die Möglichkeit, sich vor allem über das Problem rechtswidriger und illegitimer Finanzflüsse zu informieren. Denn während sich die Parlamentarier meist gut in allgemeinen Steuerfragen auskennen, ist dieses Problem für viele noch neu und undurchschaubar. Wir unterstützen sie also dabei, sich ein Bild zu machen und sich zu positionieren.

Gibt es da Widerstände zu überwinden?
Das ist unterschiedlich. Es gibt Abgeordnete, die schrecken davor zurück, eine Position einzunehmen, die vielleicht im Widerspruch zur Regierungspolitik steht. Deshalb sprechen wir immer Vertreter sowohl der Regierungsparteien als auch der Opposition an, um den Eindruck zu entkräften, es gehe uns um Parteipolitik. Ein anderes Problem ist, wenn Abgeordnete ausscheiden und andere an ihre Stelle rücken. Dann müssen wir mit unserer Advocacy-Arbeit im Grunde von vorn beginnen. Aber alles in allem sind wir mit unserer Arbeit mit Parlamentsabgeordneten sehr erfolgreich. Die meisten sind wirklich interessiert und engagiert, weil sie wissen, wie wichtig gute Steuerpolitik für ihr Land ist. 

Transnationale ­Unternehmen sind an niedriger Besteuerung interessiert – auch in Afrika: Arbeiter von Mutanda Mining, das zum Konzern Glencore gehört, inspizieren Stapel von verarbeitetem Kupfer in Kolwezi, Demokratische Republik Kongo.

Versuchen Sie auch Unternehmen und allgemein die Wirtschaft als Verbündete für Ihre Anliegen zu gewinnen? Die betrifft Steuerpolitik ja auch maßgeblich.
In den meisten Fällen findet die Wirtschaft nicht gut, was wir machen. Das gilt vor allem für multinationale Unternehmen, denn oft geht es uns darum, dass diese Unternehmen höhere Steuern zahlen. Es gibt aber auch Fälle, in denen wir mit der Wirtschaft an einem Strang ziehen. In Kenia etwa ist die Steuerpolitik aus Sicht von einheimischen kleinen und mittleren Unternehmen immer ungerechter geworden, weil sie den großen multinationalen Konzernen im Land Vorteile verschafft. 

Wie zum Beispiel?
Die kenianische Regierung hat 2020 eine Steuer von 1 Prozent auf den Umsatz von Unternehmen eingeführt. Die muss gezahlt werden, selbst wenn ein Unternehmen unterm Strich Verluste macht – was auf viele kenianische Unternehmen zutrifft, die immer noch mit den Folgen der Covid-Pandemie kämpfen. Gegen diese Steuer hat die Kenyan Association of Manufacturers geklagt. Das Verfahren läuft noch, wir sind nicht direkt beteiligt, unterstützen es aber, indem wir die Öffentlichkeit über die Hintergründe informieren. Denn auch wir denken, dass diese Steuer ungerecht ist, vor allem für kleine Unternehmen. 

Geberländer wie etwa Deutschland unterstützen Länder in Afrika im Rahmen ihrer Entwicklungszusammenarbeit in Steuerfragen. Welche Art Hilfe dient Ihren Anliegen?
Wichtig ist für uns vor allem solche Unterstützung, die dazu beiträgt, dass wir den nötigen politischen Spielraum für unsere Arbeit haben. Was den Beitrag von Geberländern konkret zu Steuerfragen betrifft: Es fällt auf, dass es den meisten Gebern in ihrer Entwicklungszusammenarbeit vor allem darum geht, die Steuerbasis in den Partnerländern zu verbreitern, um die einheimischen Einnahmen zu erhöhen. Wir bräuchten aber mehr Unterstützung, etwas gegen illegale und illegitime Finanzflüsse zu tun. Wir haben im Tax Justice Network ein neues Werkzeug, den Anti IFF Policy Tracker. Er soll prüfen, wie stark die Staaten Afrikas von illegitimen Finanzflüssen betroffen sind, wie hoch die Verluste sind und ob sie geeignete Institutionen haben, dem zu begegnen. Organisationen wie die UN-Handelsorganisation UNCTAD und die UN-Wirtschaftskommission für Afrika haben hier schon einiges geleistet, und wir ergänzen ihre Arbeit.

Halten sich die Geber Ihrer Ansicht nach mit Unterstützung gegen Steuervermeidung zurück, weil die Konzerne, die davon profitieren, ihre eigenen sind?
Das ist bestimmt ein Teil der Erklärung. Vor allem die OECD-Länder haben ja gegen die Kampagne für eine internationale Steuerkonvention lange Zeit Widerstand geleistet. Da gibt es einen Interessenkonflikt mit den afrikanischen Staaten, und das ist ein möglicher Grund, dass sich die Geber hier eher zurückhalten und sich in der Entwicklungszusammenarbeit auf die Mobilisierung einheimischer Steuereinnahmen konzentrieren. Doch die afrikanischen Steuerbehörden brauchen wirklich mehr Unterstützung im Kampf gegen illegitime Finanzflüsse, denn die Strategien der multinationalen Konzerne, Steuern zu vermeiden, sind ziemlich kompliziert und undurchsichtig. Dagegen vorzugehen erfordert personelle und finanzielle Ressourcen und auch Stehvermögen, denn häufig sind mit Steuervermeidung ja auch politische Interessen verknüpft, etwa in den Steueroasen, die daran verdienen.

Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Medien für Sie?
Sehr wichtig, deshalb haben wir ein Programm aufgelegt, um afrikanische Medienvertreter in Steuerfragen und vor allem mit Blick auf illegale Finanzflüsse zu schulen. Wie wichtig die Medien hier sind, haben ja Enthüllungen wie die zu den Pandora-Papers im Jahr 2021 gezeigt. Als die kenianische Regierung uns nach unserer Meinung zu einem neuen Doppelbesteuerungsabkommen mit Mauritius gefragt hat, nachdem das erste vom Obersten Gericht gekippt worden war, haben wir in unserer Eingabe Informationen aus den Mauritius Leaks des International Consortium of Investigative Journalists ausgewertet, um unsere Skepsis zu begründen. Ich würde sagen, zwischen den Medien und uns gibt es eine symbiotische Beziehung.

Wie wichtig ist es, die breite Bevölkerung über Steuerfragen zu informieren, und wie gehen Sie da vor?
Wir haben ein Programm mit dem Namen Scaling up Tax Justice. Damit wollen wir in der Bevölkerung für unsere Anliegen mobilisieren. In den Ländern, die dabei mitmachen, Uganda und Sambia etwa, gibt es nationale Plattformen von Leuten, die die Steuerpolitik beobachten, auf ihre Regierungen zugehen, zugleich aber auch für öffentliche Unterstützung für eine gerechte Steuerpolitik werben. Diese Plattformen arbeiten mit Frauen- und Jugendgruppen, mit benachteiligten Gruppen und mit örtlichen Medien zusammen. Sie übersetzen gewissermaßen unsere Arbeit, die häufig die regionale und die internationale Ebene betrifft, für die Graswurzelebene. In Senegal beispielsweise hat die federführende Organisation der nationalen Plattform Journalisten fortgebildet. Ergebnis war eine investigative Recherche, die gezeigt hat, wie ein multinationaler Konzern vor Ort Steuern vermieden hat und wie sich das auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung ausgewirkt hat. Das war ein großer Erfolg.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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Dies ist ein wirklich wichtiges und informatives Interview, zeigt aber auch zwei konfligierende Tendenzen: einerseits die Komplexität des Finanzsystems und die Widerstände von Konzernen und Regierungen aber gleichzeitig das hoffnungsvolle und kompetente Engagement der Kampagne Tax Justice Network Africa.
Gibt es das Interview auch auf English?

Beste Grüße
Hilmar Froelich (Mr.)

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erschienen in Ausgabe 3 / 2024: Wer hat, dem wird gegeben
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