"Die EU sollte nicht stur auf ihrem Standpunkt beharren"

Eine Arbeiterin prüft in Südafrika Apfelsinen für den Export.
Darren Stewart/Gallo Images via Getty Images
Im südafrikanischen Durban prüft eine Arbeiterin Apfelsinen für den Export. Die EU hat die Einfuhr von Zitrusfrüchten aus Südafrika zeitweise gestoppt, weil sie fürchtet, mit ihnen könnten Pflanzenkrankheiten eingeschleppt werden. Südafrika wittert Protektionismus zum Schutz europäischer Produzenten.
Brüssel
Seit dem Jahr 2016 ist das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und sechs Staaten der Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC) vorläufig in Kraft – vorläufig, weil es noch nicht alle EU-Mitglieder ratifiziert haben. In einem Bericht zieht der SPD-Abgeordnete Joachim Schuster für den Ausschuss für internationalen Handel des Europäischen Parlaments eine gemischte Bilanz zur Wirkung des Abkommens auf die wirtschaftliche Entwicklung im südlichen Afrika.

Joachim Schuster ist SPD-Abgeordneter im Europäischen Parlament und dort unter anderem Mitglied im Ausschuss für internationalen Handel und stellvertretender Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zu Südafrika.

Herr Schuster, in Ihrem Bericht heißt es, dass Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der EU und den SADC-Staaten biete „noch viel Potenzial“, um nachhaltige Entwicklung in den SADC-Ländern voranzubringen. Das klingt, als habe das Abkommen bislang kaum dazu beigetragen.
in Problem ist, dass beide Seiten das Abkommen vor allem als Handelsabkommen sehen. Dabei hat es weitere Ziele, die weit darüber hinausgehen. Das ist aber nicht mit Leben gefüllt worden.

Welche Ziele sind das?
Zum Beispiel Ernährungssicherung und nachhaltige Entwicklung. Um das voranzubringen, müsste aber mehr investiert werden. Zudem soll der Handel laut dem Abkommen regionale Wertschöpfungsketten im südlichen Afrika stärken. Auch das wurde nur sehr begrenzt erreicht. Das erreicht man eben nicht nur mit Handel.

Es sollte also die Verarbeitung von landwirtschaftlichen und anderen Rohstoffen in der Region gefördert werden, richtig?
Ja, und zwar in der gesamten Region. In der Regel findet die Verarbeitung nur in einem Land statt und nicht regional. Regionale Verarbeitung bedeutet, dass der erste Verarbeitungsschritt eines Produkts zum Beispiel in Botswana stattfindet, der nächste in Namibia und der dritte in Südafrika. Es wäre sinnvoll, eine solche regionale Arbeitsteilung zu stärken. Das hat das Abkommen nicht erreicht, wie wir es uns gewünscht hätten. Im Wesentlichen hat sich die Struktur des Handels zwischen der EU und den SADC-Ländern nicht verändert. 

Das heißt, das Abkommen hat überkommene Handelsstrukturen nur zementiert, in denen das südliche Afrika unverarbeitete Rohstoffe nach Europa exportiert?
Es hat sie jedenfalls nicht durchbrochen. Wobei zumindest Südafrika ja bereits Fertigprodukte exportiert, etwa aus der Automobilindustrie, und längst nicht mehr nur Rohstoffe. Aber das müsste ausgebaut werden, da eine höhere Wertschöpfung zusätzliche Arbeitsplätze bedeutet.

Welche weiterverarbeiteten Produkte aus anderen SADC-Ländern kommen in Frage?
In Botswana werden Diamanten bereits verarbeitet. Ein neues Produkt wäre grüner Wasserstoff, etwa aus Namibia. Um ihn zu exportieren, müsste er etwa zu Ammoniak verarbeitet werden. Wobei darauf geachtet werden muss, dass die Wasserstoffproduktion keine Umweltschäden verursacht. Wasserstoff könnte auch für den heimischen Bedarf genutzt werden. Allerdings muss dabei bedacht werden, welchen Strukturwandel dies zur Folge hätte. Südafrika etwa ist extrem abhängig von der Kohle. Das ist umweltpolitisch schlecht, andererseits hängen sehr viele Arbeitsplätze an dieser Industrie. Wenn die innerhalb kurzer Zeit verloren gehen, stellt sich die Frage, was danach kommt. Wenn es darauf keine Antwort gibt, wird die Bevölkerung den grünen Strukturwandel nicht unterstützen. 

Und dazu hat das Abkommen wenig beigetragen?
Ja, darauf zielt die Formulierung, das Abkommen habe hier noch Potenzial. Wir haben ja großes Interesse daran, mit den Staaten des globalen Südens anders zusammenzuarbeiten. Man kann sich leicht darüber beklagen, dass der Handel so einseitig sei, aber wir Europäer sind nun einmal stark abhängig von Rohstoffen. Und meine These ist: Die Bereitschaft in den Ländern des globalen Südens, uns Rohstoffe zu liefern, ist deutlich größer, wenn sie davon stärker als bisher profitieren, etwa durch Weiterverarbeitung.

Was hat das Abkommen erreicht?
Es hat den Handel zwischen der EU und den SADC-Ländern gesteigert. Die Region erzielt mittlerweile sogar insgesamt einen Handelsüberschuss gegenüber der EU, exportiert also mehr, als sie importiert. Das bringt Gewinne in die Region. Umso ärgerlicher ist es, dass sich beide Seiten über den Handel mit Zitrusfrüchten streiten, so dass es die gesamten Beziehungen belastet.

Worum geht es in dem Streit?
Die EU hat die Einfuhr von Zitrusfrüchten aus Südafrika zeitweise gestoppt, weil sie sagt, mit ihnen würden Pflanzenkrankheiten eingeschleppt. Es ist einerseits nachvollziehbar, dass die EU die Ausbreitung möglicher Krankheiten verhindern will. Andererseits sorgt der Einfuhrstopp natürlich für Einkommensverluste in Südafrika. Ich frage mich, warum man hier keinen Interessenausgleich hinkriegt. Zitrusfrüchte sind nun wahrlich nicht das wichtigste Produkt im Austausch zwischen dem südlichen Afrika und Europa. 

Vermuten Sie, es geht bloß um den Schutz europäischer Produzenten vor südafrikanischer Konkurrenz?
Südafrika sieht das so. Ich bin mir nicht sicher, finde aber, die EU sollte hier nicht stur auf ihrem Standpunkt beharren, sondern Lösungen ausloten, so dass man weiterkommt. 

Der Handel der SADC-Staaten mit China ist noch stärker gewachsen als der mit der EU. Warum?
Wesentlich sind vermutlich die engen politischen Beziehungen zwischen China und vor allem Südafrika, die beide der BRICS-Gruppe angehören. Und die versteht sich ja als Konkurrenz zum globalen Norden. 

Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Global-Gateway-Initiative der EU für Infrastrukturprojekte in Ländern des globalen Südens? Mit der will Brüssel dem Vordringen Chinas ja ausdrücklich Paroli bieten.
Im Grundsatz ist Global Gateway gut, die Initiative ist allerdings viel zu klein geraten. Für den gesamten afrikanischen Kontinent, also für 54 Länder, sind gerade einmal rund 50 Projekte in der Pipeline. Damit treten wir nicht in Konkurrenz zu China. Da muss die EU zulegen, vor allem wenn sie nachhaltige Entwicklung und den erforderlichen Strukturwandel fördern will. 

Kritiker sagen, mit dem Fokus auf Infrastruktur bleiben andere entwicklungspolitische Aufgaben wie die Armutsbekämpfung auf der Strecke.
Das darf man meiner Ansicht nach nicht gegeneinander ausspielen. Beides ist wichtig. Ich sehe das Hauptproblem von Global Gateway darin, dass hauptsächlich mit privatem Kapital gearbeitet werden soll. Das kriegt man aber nicht für Projekte, die für die Armutsbekämpfung wichtig wären. Das heißt nicht, dass Global Gateway gestrichen werden sollte. Es müsste aber ergänzt werden.

Die EU versucht, über Instrumente wie den CO2-Grenzausgleichsmechanismus oder die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten Umwelt- und Klimaschutz über die Handelspolitik zu fördern. Länder im globalen Süden sagen, das diskriminiere sie. Teilen Sie die Kritik?
Ja, die teile ich. Zum einen ist es richtig, dass auch im Handel auf Umwelt- und Klimaschutz geachtet werden muss. Zum anderen aber muss geprüft werden, ob Partnerstaaten in der Lage sind, Auflagen zu erfüllen. Natürlich ist es wichtig, dass der Amazonas-Regenwald geschützt wird. Aber wenn wir einfach Produkte ausschließen, die überhaupt erst durch Abholzung möglich werden, Rindfleisch etwa, ohne dass wir uns Gedanken darüber machen, was die Menschen dort sonst und unter welchen Bedingungen produzieren sollen, dann erzeugt das Widerstand. Dann kommt der Vorwurf: „Ihr Europäer habt euren Wald doch schon vor 500 Jahren abgeholzt. Und deswegen sagt ihr uns jetzt, wir dürfen es nicht? Forstet doch selbst auf.“ Da steckt eine gewisse Logik drin, die uns insgesamt aber nicht weiterführt. Besser wäre es, wir würden gemeinsam mit den betroffenen Ländern Alternativen ausloten. Und der CO2-Grenzausgleichmechanismus wird im Süden als Protektionismus wahrgenommen, weil die Staaten in der Regel nicht über die finanziellen Ressourcen verfügen, um etwa die Stahlproduktion klimaneutral zu gestalten.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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