Diese Woche hat das Europäische Parlament für ein Instrument gestimmt, mit dem die Europäische Union dem Klimaschutz in Europa und darüber hinaus einen deutlichen Schub geben will: den sogenannten CO2-Grenzausgleichsmechnismus, auf Englisch Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM). Hintergrund ist die gleichzeitig beschlossene Reform des Europäischen Emissionshandelssystems (ETS): Ab dem Jahr 2026 will Brüssel im ETS die Zuteilung kostenloser Emissionszertifikate an Unternehmen schrittweise reduzieren; ab dem Jahr 2034 soll es gar keine freien Zertifikate mehr geben, so dass die Unternehmen sich dann vollständig auf dem Markt damit versorgen müssen.
In dem Ausmaß, in dem europäische Unternehmen Zertifikate zukaufen müssen, will die EU im Rahmen des CBAM Abgaben auf Importe von ausländischen Firmen erheben, die keinem Emissionshandel unterliegen. Auf diese Weise will Brüssel Wettbewerbsnachteile europäischer Unternehmen reduzieren und verhindern, dass diese ihre Produktion und die dabei entstehenden Emissionen ins Ausland verlagern (carbon leakage). Zugleich soll die Abgabe andere Länder ermutigen, mehr für den Klimaschutz zu tun.
Der CBAM gilt zunächst für die energieintensiven Produkte Eisen und Stahl, Aluminium, Zement, Düngemittel, Strom und Wasserstoff. Bis 2030 sollen dann auf alle Industrieprodukte aus dem Ausland, für die ein carbon-leakage-Risiko besteht, CBAM-Abgaben erhoben werden. Der Mechanismus gehört zum Green Deal der EU, dem industrie- und wirtschaftspolitischen Fahrplan, mit dem die Union bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden will.
Geht es der EU nur um Protektionismus?
Seit die EU-Kommission vor knapp zwei Jahren ihren ersten Entwurf für den CBAM vorgestellt hat, steht er in der Kritik, vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern wie Brasilien, Südafrika, Indien und China. Sie sehen darin lediglich den Versuch der EU, die eigene Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Es gehe um Protektionismus, nicht um Klimaschutz.
Nitya Nanda, Direktor der entwicklungspolitischen Denkfabrik Council for Social Development in Neu-Delhi, kritisiert den CBAM, weil er in einem Land wie Indien, „in der die Regierung und die Industrie sich bemühen, Emissionen zu reduzieren, unnötig Druck aufbauen und zu Frustration führen würde“. Auch in Indien gebe es ein marktbasiertes System zur Reduzierung von Emissionen, sagt Nanda. Das funktioniere aber anders als der europäische Emissionshandel und werde deshalb vom CBAM nicht erfasst.
Andere Fachleute kritisieren, dass die Einnahmen aus dem CBAM in den EU-Haushalt fließen sollen, statt sie zumindest zum Teil an ärmere Länder auszuzahlen, wo sie in den Klimaschutz investiert werden könnten. Immerhin hat das Europäische Parlament einen Passus in der CBAM-Regulierung durchgesetzt, nach dem die EU sich bemüht, ihre Entwicklungshilfe für Klimaschutz und für die Anpassung an den Klimawandel in den ärmsten Ländern etwa in Höhe der Einnahmen aus dem CBAM aus diesen Ländern aufstocken will.
Beschwerde aus 14 Ländern
Ein anderes Instrument des Green Deal ist die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten, über die das Europäische Parlament ebenfalls noch diese Woche abstimmen will. Nach dieser Verordnung müssen Importeure und Händler von Rindfleisch, Kaffee, Kakao, Palmöl, Soja, Holz und Kautschuk nachweisen, dass ihre Waren, die sie in der EU Waren verkaufen wollen, ohne die Abholzung von Wäldern produziert wurden.
Auch das stößt in etlichen Ländern im globalen Süden, aus denen diese Produkte kommen, auf Missbilligung. So haben sich bereits im vergangenen Jahr 14 Regierungen aus Afrika, Asien und Lateinamerika in einem offenen Brief bei der EU beschwert, die Verordnung diskriminiere ihre Länder. „Handelsbeschränkungen oder die Drohung damit sind kein geeignetes Mittel, um Ziele im Umweltschutz zu erreichen“, heißt es in dem Brief. Die EU-Kommission widerspricht: Sowohl beim CBAM als auch bei der Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten handele es sich nicht um Handelsmaßnahmen, sondern um Instrumente des Umweltschutzes. Beide seien „vollständig vereinbar“ mit den Regeln der Welthandelsorganisation.
Fachleute kritisieren die Verordnung, sie werde vor allem Kleinbauern schädigen, die Palmöl, Kaffee oder Kakao produzieren. Denn die Produzenten müssen die Importeure und Händler mit den exakten Geodaten versorgen, anhand derer sie belegen können, dass ihre Waren entwaldungsfrei produziert wurden. Vor allem Kleinbauern könnten damit überfordert sein und so vom EU-Markt verdrängt werden, warnt etwa Joseph D’Cruz, der Geschäftsführer des Runden Tisches für Nachhaltiges Palmöl, einer internationalen Initiative, die umweltschonend hergestelltes Palmöl zertifiziert. Hildegard Bentele, Entwicklungspolitikerin der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, teilt diese Bedenken: Für Kleinunternehmer seien die Vorgaben der Verordnung eventuell schwer zu stemmen, sagt sie auf Anfrage: „Ich bleibe hier skeptisch.“ Die EU habe die Pflicht, die betroffenen Länder dabei zu unterstützen, die Vorgaben zu erfüllen.
Die EU-Maßnahmen nicht nur verdammen
Länder im globalen Süden beklagen mit Blick auf den CBAM und die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten, dass die EU auf unilaterale Maßnahmen setze statt auf internationale Verhandlungen, um die angestrebten umwelt- und klimapolitischen Ziele zu erreichen. Immerhin: Anfang des Jahres hat die EU ein internationales „Bündnis von Handelsministern zum Thema Klima“ ins Leben gerufen, dem außer den EU-Mitgliedern bislang weitere knapp 30 Staaten aus allen Weltregionen angehören. Das Bündnis soll sich um Handelsmaßnahmen bemühen, die helfen können, den Klimawandel zu bewältigen.
Fachleute wie der Ökonom Dani Rodrik appellieren unterdessen an Entwicklungs- und Schwellenländer, die Green-Deal-Maßnahmen der EU nicht nur zu verdammen. Sie sollten zum einen anerkennen, dass die EU legitime globale Ziele wie den Klimaschutz verfolge, die auch ihnen selbst nutzen. Zum anderen sollten sie – mit Unterstützung aus Europa – daran arbeiten, ihre Wirtschaften vereinbar mit den EU-Vorgaben zu machen, weil das langfristig ihre Chancen auf globalen Märkten verbessere.
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