Chinas Einfluss in den Häfen der Welt

Chinas Präsident Xi Jinping und Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotaki, beide in dunklen Anzügen und von hinten im Profil zu sehen, blicken auf ein Hafenbecken mit beladenen Containerschiffen.
Orestis Panagiotou/EPA/Bloomberg via Getty Images
Chinas Präsident Xi Jinping (links) und Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis besuchen im November 2019 das COSCO-Containerterminal im griechischen Hafen von Piräus. China hält daran eine Beteiligung von mehr als zwei Drittel. 
Seehandel
Riesige Summen hat China unter dem Projekt „Neue Seidenstraße“ in Seehäfen anderer Länder investiert. Das nutzt dem eigenen Außenhandel und dient auch der Sicherung von Rohstoffen.

Den Startschuss für die „Neue Seidenstraße“ hat Chinas Staatspräsident Xi Jinping im Jahr 2013 gegeben. Das außenpolitische Prestigeprojekt hat sich seitdem zu einer der größten Infrastrukturmaßnahmen der modernen Geschichte entwickelt. Das Ziel ist, global die Infrastruktur zu entwickeln und damit die Entwicklungsstrategien der Partnerländer nicht zu ersetzen, sondern zu ergänzen. 

Die Neue Seidenstraße heißt im Chinesischen „Ein Gürtel, eine Straße“, daher die englische Bezeichnung „Belt and Road Initiative“ (BRI). Den ökonomischen Gürtel stellt dabei das Straßen- und Schienennetz dar, das Süd- und Südostasien und China über die zentralasiatischen Binnenstaaten und die arabische Halbinsel mit Europa verbindet; die „maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts“ sind die Seewege vom Indischen Ozean durch den Suezkanal zum Mittelmeer. Gemeinsam sollen sie die wirtschaftliche Entwicklung und den globalen Handel ankurbeln. Nach dem Vorbild der historischen Seidenstraße, die wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen gebracht hat, soll die Neue Seidenstraße auch die Zusammenarbeit zwischen den Partnerländern verbessern, Handel und Finanzgeschäfte fördern sowie Menschen miteinander in Kontakt bringen.

Inzwischen haben sich 152 Länder der Initiative angeschlossen. Nicht alle liegen an den BRI-Korridoren, die sich auf Asien und den Nahen Osten konzentrieren – auch viele in Afrika südlich der Sahara, Europa und Amerika sind darunter. Die bisher geschlossenen Verträge über Bauprojekte haben ein Finanzvolumen von insgesamt 2 Billionen US-Dollar. China hat in herkömmliche Infrastrukturprojekte investiert wie Häfen, Flughäfen, Straßen, Eisenbahnen, Brücken, Dämme, Gas- und Ölpipelines sowie Kraftwerke, expandiert aber auch in Bereiche wie Datenverkehr und Berufsausbildung. Die Neue Seidenstraße hilft China dabei, neue Absatzmärkte für seine beträchtlichen industriellen Überkapazitäten zu erschließen, den Handel mit Partnerländern zu steigern, die Rolle der chinesischen Währung Renminbi im internationalen Zahlungsverkehr zu stärken und seinen geopolitischen Einfluss auszubauen.

Der maritime Teil der Neuen Seidenstraße

Für das Ziel, die Handelsbeziehungen auszuweiten, ist der maritime Teil der Neuen Seidenstraße der wichtigste. 90 Prozent der weltweit gehandelten Güter werden über die Weltmeere transportiert, schätzungsweise 53 Prozent davon über Häfen in Ländern entlang der Neuen Seidenstraße. Der Seehandel ist für China besonders wichtig, weil viele seiner Nachbarländer über den Landweg nur schwer zu erreichen sind. So wird beispielsweise fast der gesamte Frachtverkehr zwischen China und den zehn Ländern des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN), seit 2020 Chinas größter Handelspartner,  trotz geografischer Nähe über den Seeweg abgewickelt.

Globaler Handel erfordert nicht nur eine gut ausgebaute Infrastruktur; kosteneffizienter Transport setzt auch die sehr gute Logistik voraus. China wickelt etwa 95 Prozent seines internationalen Handels über den Seeweg ab, aber es ist von Ländern mit nur geringer Anbindung an die globalen Schifffahrtsnetze und mit schwach ausgebauter Logistik umgeben. Daher sind Chinas Investitionen in die maritime Seidenstraße von entscheidender Bedeutung für den Zugang des Landes zu wichtigen Rohstoffen und für die Sicherung seiner Dominanz in der Handelsschifffahrt.

Bislang hat China rund um den Globus über hundert Häfen gebaut, sie erweitert oder sonst in sie investiert; 90 dieser Vorhaben auf sechs Kontinenten werden noch weiterverfolgt. Die Hafenprojekte mit den größten chinesischen Investitionen finden sich in Süd- und Südostasien, an der afrikanischen Atlantikküste, in Israel und im südöstlichen Mittelmeerraum. An 13 Hafenprojekten weltweit halten chinesische Unternehmen die Mehrheitsbeteiligung.

Der Mehrheitseigner eines Hafens kann theoretisch dessen gesamte Operationen kontrollieren – vom Hafenbetreiber über die Fragen, welche Schiffe anlegen dürfen, welche Dienstleistungen erbracht werden und welche Preise gelten. In der Praxis ist es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass der Mehrheitseigner eines Hafens Kunden ausschließt oder willkürlich die Preise ändert. Es liegt im Interesse eines Hafens, für ein faires, effizientes und berechenbares Geschäftsumfeld zu sorgen, um mehr Kunden anzulocken und so die Profite des Hafens sowie die Rendite der Anteilseigner zu erhöhen.

Der „Kopf des Drachens“ 

Von den weltweit 50 Häfen mit dem höchsten Containerumschlag liegen 18 in China selbst; an 11 weiteren ist die Volksrepublik mit erheblichen Investitionen beteiligt oder hat sie sogar neu gebaut. Etliche dieser Häfen, beispielsweise Singapur und Hamburg, waren bereits zuvor florierende maritime Umschlagplätze, andere wie Piräus in Griechenland haben infolge des chinesischen Engagements erheblich ihre Leistungsfähigkeit und Kapazität gesteigert.

Autorin

Nadia Clark

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für internationale politische Ökonomie beim Council on Foreign Relations (CFR) in den USA.

Der maritime Teil der Seidenstraße war ursprünglich konzentriert auf Investitionen entlang der Seekorridore, die China mit dem Indischen Ozean und durch den Suezkanal mit dem Mittelmeer verbinden. Chinas Investment im Hafen von Piräus ist zum Aushängeschild für den Erfolg dieser Initiative geworden; Xi Jinping hat ihn sogar als „Kopf des Drachens“ bezeichnet, als Eckpfeiler der chinesischen Investitionen in Seewege. Im Jahr 2009 pachtete die COSCO – damals die staatseigene Großreederei China Ocean Shipping Company – Teile des Hafens von Piräus für einen Zeitraum von 35 Jahren; 2016 erwarb sie dann 51 Prozent des Umschlagplatzes. 2021 erhöhte COSCO, die nach einer Fusion mit der China Shipping Group nun China COSCO Shipping Corporation heißt, ihren Anteil auf 67 Prozent. Unter der Führung von COSCO ist Piräus zum am schnellsten wachsenden Containerhafen der Welt geworden – der jährliche Frachtumschlag dort hat sich zwischen 2009 und 2022 mehr als verdreifacht.

Vor der Übernahme durch COSCO rangierte Piräus auf der Liste der größten Häfen der Welt auf Platz 93. 2022 war der Hafen auf Platz 24 geklettert, war der viertgrößte Hafen Europas und der größte im Mittelmeerraum. Seine Lage gibt ihm einen strategischen Vorteil gegenüber den größeren Häfen Nordeuropas, da er Schiffen aus Asien eine einwöchige Fahrt und damit Kosten von zwei Millionen Dollar erspart. Mit der Übernahme und dem Ausbau von Piräus hat COSCO den Hafen zu einem wichtigen Ziel- und Umschlaghafen für chinesische Waren in Europa gemacht und damit Einnahmen von anderen Umschlagplätzen im südöstlichen Mittelmeerraum abgezogen.

Erweiterung über die traditionellen Schifffahrtsrouten hinaus

Investitionen in Häfen sind aber nicht nur wichtig, um Handelsflüsse zu erhöhen. Sie dienen auch dazu, Handelsrouten zu diversifizieren und damit geopolitische Schwachstellen auszugleichen. Chinas strategische Investition von über einer Milliarde US-Dollar in den pakistanischen Hafen Gwadar, das ein wichtiges Element des Wirtschaftskorridors China-Pakistan ist, zeigt, wie sehr Peking daran gelegen ist, sein maritimes Netzwerk über die traditionellen Schifffahrtsrouten hinaus zu erweitern. Vor dem Bau des Hafens Gwadar liefen Chinas Seeverbindungen nach Europa, Afrika und den Nahen Osten überwiegend durch die Straße von Malakka, die Meerenge zwischen Thailand und Indonesien. Vier Fünftel der Öleinfuhren Chinas nehmen diesen Weg. Da China der größte Ölimporteur der Welt ist, hängt seine Energiesicherheit stark von der Freiheit der Durchfahrt durch die Malakka­straße ab. Würde die im Fall eines Konfliktes blockiert, dann würde das China in eine Energiekrise stürzen und seine Wirtschaft lahmlegen.

Der Hafen von Gwadar ermöglicht es der Volksrepublik nun, Öl unter Umgehung der Malakkastraße auf dem Landweg in die nordwestchinesische Provinz Xinjiang zu transportieren. Das ist erheblich teurer als der Tankertransport, aber die Kosten werden möglicherweise sinken, sobald andere Projekte wie die Eisenbahnverbindung zwischen dem Hafen Gwadar und Kaxgar in der Provinz Xinjiang fertiggestellt sind. Trotz der strategischen Vorteile seiner Lage und der großen Investitionen hat sich der Hafen von Gwadar bislang allerdings nicht im von Pakistan und China erhofften Maße zum regionalen Drehkreuz entwickelt. Er wird nicht stark genutzt, weil andere Infrastruktur wie Straßen, Flughäfen und Kraftwerke noch fehlt.

Großprojekte zur Erweiterung von Häfen gab es auch in Regionen, die nicht an den traditionellen Seewegen der Neuen Seidenstraße liegen, aber mit der Konkurrenz um den Zugang zu wichtigen Rohstoffen an Bedeutung gewonnen haben. Ein Beispiel ist der Ausbau des angolanischen Hafens Lobito durch China für 1,2 Milliarden Dollar. Das geschah mit Blick auf den Bau einer neuen Eisenbahnverbindung namens Lobito-Korridor, über die Kupfer, Kobalt und andere für die Energiewende wichtige Rohstoffe aus der Demokratischen Republik Kongo und Sambia zum Hafen Lobito transportiert werden sollen. Bisher werden sie zu erheblich höheren Kosten per Lastwagen Richtung Osten zum Hafen Dar es Salaam in Tansania oder zum Hafen von Durban in Südafrika gebracht. 

Arbeiter der China Railway Corporation bei Wartungsarbeiten an der Benguela-Bahn in Lobito (Angola) 2019. Über diese Eisenbahnstrecke sollen Rohstoffe aus der DR Kongo und Sambia zum Hafen Lobito transportiert werden.

Laut manchen Schätzungen sollen 2030 etwa 80 Prozent aller in der DR Kongo und Sambia geförderten Mineralien über den Lobito-Korridor transportiert werden. Das würde Lobito zu einem wichtigen Drehkreuz am Atlantik machen und zur Alternative für die Häfen der Ostküste Afrikas am Indischen Ozean. China wird in hohem Maße von dieser neuen Schifffahrtsroute profitieren; es hält allein in der DR Kongo 15 der 19 Schürfkonzessionen für Kupfer und Kobalt. Mit der Investition in den Hafen von Lobito hat China also seinen Zugriff auf die Lieferketten für kritische Rohstoffe im südlichen Afrika deutlich gefestigt.

Peking hebt stets hervor, sein Kooperationsmodell sei für alle Beteiligten von Vorteil. Aber China profitiert in der Regel am meisten von diesen Projekten. Sobald chinesische Unternehmen den Betrieb eines Hafens übernehmen, scheinen sich die Handelsströme zum Nachteil früherer Handelspartner in Richtung China zu verlagern. Mit zunehmender Kontrolle Chinas über einen Hafen wächst auch das Handelsvolumen zwischen dem Investitionsland und China. Dagegen verstärkt sich der Handel mit der übrigen Welt meist nur vorübergehend, vor Fertigstellung des Hafens. 

Künftig besser „klein und schön“ als groß und teuer

Dass vor allem China von den Projekten der Neuen Seidenstraße profitiert, hat international Unmut ausgelöst. Peking reagiert darauf im zweiten Jahrzehnt seiner Initiative mit einem neuen Ansatz: Künftig setzt es weniger auf traditionelle gigantische Bauvorhaben und verstärkt auf „grüne“ Projekte und Dateninfrastruktur. Das ist auch eine Folge der Abkühlung der Konjunktur in China; damit werden die Mittel für Auslandfinanzierung knapper und die Entscheidungsträger konzentrieren sich stärker auf die Wiederbelebung der Binnenwirtschaft. Zudem hat Xi Jinping nach einer Reihe spektakulär fehlgeschlagener Projekte, die Neuverhandlungen über dafür ausgereichte Kredite nötig machten, die Devise ausgegeben, künftige Projekte der Neuen Seidenstraße sollten eher „klein und schön“ ausfallen. So sollen sie sich stärker auf erneuerbare Energien, umweltfreundliche Verkehrsmittel und nachhaltige Finanzen konzentrieren. 

Peking erweitert seine Pläne um die Komponente einer „digitalen Seidenstraße“: Die Partnerstaaten sollen ermutigt werden, gemeinsam mit China die Infrastruktur für den Datenverkehr auszubauen und die Zusammenarbeit in den Bereichen Wissenschaft, Technologie, Industrie und Finanzen zu vertiefen. Bislang haben 26 Länder in Lateinamerika, Afrika südlich der Sahara, im Nahen Osten, in Osteuropa sowie in Asien mit China entsprechende Vereinbarungen unterzeichnet oder Projekte in Angriff genommen. Während Peking weiter Möglichkeiten sucht, sein globales Infrastrukturnetz auszubauen, werden neue BRI-Projekte den herkömmlichen Ausbau von Häfen, Straßen und der Energieversorgung mit digitaler und ökologischer Modernisierung ergänzen. 

Es gibt nun Versuche, Chinas Dominanz in der globalen Infrastrukturentwicklung etwas entgegenzusetzen – zum Beispiel den 2023 von den USA, Indien, europäischen Ländern sowie Golfstaaten ins Leben gerufenen Wirtschaftskorridor Indien-Nahost-Europa. Doch sie entfalten bislang wenig Wirkung. Der große Einfluss Pekings auf die wichtigsten globalen Handelsrouten, vor allem die Seewege, ist für Konkurrenten schwer zu brechen.

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2024: Von Fahrrad bis Containerschiff
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