Es ist heiß, es ist laut, es ist schnell. Die Fahrt im Matatu durch die kenianische Hauptstadt Nairobi fühlt sich an wie ein Rausch. Amerikanischer Hip-Hop wummert aus den Boxen, der Bass dringt bis ins Mark. Die Fensterscheiben sind dunkel getönt. Der Verkehr steht, das Sammeltaxi nicht. Das Selbstbewusstsein des Stärkeren. Innerhalb einer Minute wechselt der Fahrer mehrmals zwischen den vier Spuren des Highways, hupt kleine Autos und Motorradfahrer aus dem Weg. Wer bremst, hat verloren, denn Zeit ist Geld. Fußgänger weichen beim Versuch, die Straße zu überqueren, verängstigt zurück. Keine Gnade.
Nicht umsonst zahlen die Passagiere in diesem gepimpten Bus mit High-End-Musikboxen, riesigen Bildschirmen und Kunstleder-Innenausstattung 20 Prozent mehr als in den normalen Kleinbussen – je nach Verkehrslage, Wetter und Benzinpreisen kann die Gebühr variieren. Wer aussteigen will, gibt ein kurzes Zeichen. Dann lehnt sich der Conductor, quasi der Schaffner, aus der offenen Tür und klopft dreimal von außen mit einer Münze an den Bus, der Fahrer hupt kurz zur Bestätigung. Kurzer Stopp, dann wieder Vollgas. In den Kurven werden die Passagiere alle in eine Richtung gedrückt, eine Achterbahnfahrt ist nichts dagegen.
Charles Gachunji ist Ende 20, fährt seit zehn Jahren Auto und steuert seit einigen Jahren die ganz großen Matatus, die in den Osten der Stadt fahren. „Man muss schnell reagieren können, auf Zack sein, gut manövrieren“, sagt er. Seine Dreadlocks trägt er zum Zopf gebunden. Je nach Betrieb verdient er in seiner fünfstündigen Schicht 1000 bis 2000 Kenia-Shilling, umgerechnet etwa 6 bis 12 Euro.
Auf 1000 Einwohner kommen nur 30 bis 40 Autos
Wenn Charles auf sein Gaspedal tritt, dringen dunkle Abgaswolken aus dem Auspuff. Etwa 80 Liter Benzin verfährt ein Matatu am Tag – rund 10.000 Matatus düsen durch die Hauptstadt. Kenia hat in den vergangenen Jahren trotz der Versprechen, CO₂ zu reduzieren, Infrastruktur vor allem für Autos gebaut. Straßen werden um mehrere Spuren erweitert. Das letzte große staatliche Infrastrukturprojekt, finanziert mit Krediten aus China, war eine mautpflichtige Straße Richtung Flughafen, die sich nur Leute mit viel Geld leisten können.
Der städtische Nahverkehr ist so wichtig, weil in Kenia auf 1000 Einwohner nur 30 bis 40 Autos kommen. In Deutschland sind es 583. Doch öffentlichen Nahverkehr gibt es kaum, die meisten Busse gehören privaten Investoren. Versuche, ein öffentliches Schnellbussystem einzuführen, sind gescheitert. Der Matatu-Sektor hat einen schlechten, chaotischen Ruf. Aber in den vergangenen Jahren haben sich durchaus Strukturen etabliert: Die Busse bestimmter Linien sind in sogenannten Saccos organisiert, kurz für „Savings and Credit Cooperative“. Diese Kooperativen sind genossenschaftliche Zusammenschlüsse von Matatu-Besitzern, die die Linie, die sie befahren, gemeinsam verwalten.
Matatus sind nicht nur Fortbewegungsmittel, sie sind Jugendkultur, Trendsetter, Ausdruck einer Lebensweise. Stolz der Hustler, die Tag für Tag ums Überleben kämpfen. An der Front und den Seiten von Charles Matatu ist in großen Lettern „G-UNIT“ zu lesen – der Kleinbus ist nach der Hip-Hop-Gruppe „G-Unit“ des Rappers 50 Cent benannt, die in den frühen 2000er Jahren aktiv war. Darunter sind Graffiti von 50 Cent und seinen Kollegen in Kapuzenpullis und Basecaps. Charles hat das Design mit entworfen. Die Musikvideos laufen im Matatu auf so vielen Bildschirmen, dass man gar nicht weiß, auf welchen man gucken soll. Wie in den Videos sind auch bei den Conductoren und Fahrern Silberzähne im Trend. Auf anderen Matatus prangen die Konterfeis von Fußballstars, NBA-Spielern oder auch Jesus.
Matatu kommt vom Wort Tatu, drei. Drei Münzen kosteten die Fahrten früher. Heute sind es ein paar mehr. Oder Mobile Money. Das G-Unit-Matatu gehört einer Geschäftsfrau, die mehrere Tausend Euro in die Aufrüstung mit Lichtern, Musikboxen und Bildschirmen investiert hat. Die will sie wieder reinholen. Aber viele Leute in Kenia sind wie überall auf der Welt von der Inflation betroffen und sparen, wo sie können. Deshalb sind besonders die Matatus erfolgreich, die zu Dumpingpreisen fahren. Die Mitarbeiter werden deshalb noch schlechter bezahlt als sonst.
Im Osten der Stadt fährt Charles über eine Brücke, und mit einem Mal blickt man auf die Hochhäuser der Innenstadt. Die letzten Sonnenstrahlen brechen durch die Wolken und erleuchten die Skyline. Das Matatu leert sich, und Charles fährt auf schnellstem Weg wieder Richtung Stadt, sammelt nur einzelne Passagiere ein. Unterwegs gehen alle paar Minuten Anrufe bei ihm ein – Fans in der Szene, die schon in der Stadt warten.
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Zu ihnen gehört auch Brian Wanyama. Er schiebt sich durch Gehwege, auf denen Obsthändlerinnen und Verkäufer von Secondhand-Klamotten ihre Waren ausgelegt haben. Seine Liebe zu Matatus kommt aus der Kindheit: Im Mittelschichtsstadtteil Buruburu aufgewachsen, waren für ihn als Jungen Matatus und ihre Crews die Krönung der Coolness. Mittlerweile ist er Ende 20, hat Grafikdesign studiert und sich auf die Fahnen geschrieben, die Matatu-Kultur zu fördern. „Matwana“ heißt sein Design-Label, ein nicht so gebräuchliches Suaheli-Wort für Kleinbus. Er designt selbst Matatus, dokumentiert die Szene auf Social Media und organisiert Kampagnen, wenn ein neues Matatu auf die Straßen von Nairobi kommt. Auch das, das Charles fährt, hat er mit promoted. Ein Passagier lehnt sich aus einem anderen Matatu und filmt das G-Unit-Matatu von Charles im Vorbeifahren. Leute wie Brian tragen dazu bei, dass die Kunst und Kultur rund um die Matatus gesehen werden. Das gibt den Fahrern und Mitarbeitern Identität und Selbstbewusstsein und auch die Anerkennung, die sie sonst kaum bekommen.
Elektrobusse sind noch rar, aber beliebt
Szenenwechsel. Es ist früh am Morgen, der Dunst der Nacht hängt noch über der Innenstadt von Nairobi, dazu die Abgase der morgendlichen Rushhour. An der Straßenecke vor dem großen, gelben Gebäude der Zentralbank steht Annick Kathambi und ruft „Kabiria, Kabiria“. Das ist die Endstation der Route des Kleinbusses, in dem sie gleich das Fahrgeld einsammeln wird. Und „Beba, beba!“, alle einsteigen.
Der Bus, für den sie heute zuständig ist, ist anders als die anderen. Er ist ein bisschen kleiner, sieht neuer aus und vor allem: Er macht keinen Lärm. Es ist ein Elektrobus. Viele gibt es davon noch nicht in Nairobi. Aber sie sind beliebt, sagt die Schaffnerin. Die 26 Sitze füllen sich innerhalb weniger Minuten, dann geht die Fahrt los in den Westen der Stadt.
Annick Kathambi und der Fahrer Enock Makoli unterhalten sich gedämpft, sonst ist es leise im Bus. Die Passagiere sind in ihre Handys vertieft, lesen Nachrichten über die neuesten Pläne des Präsidenten William Ruto, arrangieren ihre Abendpläne, bevor sie gleich ihren Arbeitstag beginnen. Passagierin Nancy ist froh, dass sie hier ein bisschen mehr Platz hat als in anderen Matatus. Auch das Aufheulen des Dieselmotors der schweren Maschinen beim Anfahren vermisst sie nicht. Sie arbeitet im Verkauf in einem der großen Einkaufszentren der Stadt. Morgens hat sie schon öfter den Elektrobus erwischt. Wenn sie die Wahl hat, entscheidet sie sich für die neuen Busse. „Sie sind effizienter, man kommt bequemer ans Ziel“, sagt die 25-Jährige. Es gibt W-Lan und Handyladebuchsen.
Annick Kathambi ruft die Stationen „Prestige“ – eine Shoppingmall – und „Coptic“ – ein Krankenhaus – aus. Dann schlängelt sie sich geübt durch den Bus und sammelt das Geld der Zugestiegenen ein. 60 Shilling kostet die Fahrt, umgerechnet 45 Cent. Viele bezahlen über das Handy.
Der E-Matatu fährt sich leichter als der Dieselmatatu
Ein Passagier steigt unterwegs dazu. Als er die Tür hinter sich schließen will, wird er von einem anderen Mitfahrer belehrt: „Die geht automatisch.“ „Die hier sind die Zukunft“, sagt der Fahrer Enock Makoli. Leichter und entspannter fährt es sich für ihn, und er fährt auch entspannter und ruhiger als in den Dieselmatatus. „Aber wir brauchen größere Busse.“ Und eine größere Reichweite sollen sie haben, damit man tagsüber keine Ladepause machen muss, findet Makoli. Der Fahrer und die Schaffnerin verdienen etwa 1300 Shilling am Tag, umgerechnet knapp 10 Euro. Nach einer dreiviertel Stunde Fahrt vorbei an Wohnblöcken, Gemüseständen und Garküchen am Straßenrand erreichen sie ihre Endstation.
Seit fünf Uhr morgens sind die beiden schon unterwegs. Sie haben den Bus von der Ladestation der Firma geholt, die die Busse aus China nach Kenia importiert, BasiGo. Dort, etwas außerhalb, im Industriegebiet Richtung Flughafen, hat auch Moses Nderitu sein Büro. Er koordiniert bei BasiGo alles, was mit Kunden zu tun hat. 21 Busse sind für ihn auf den Straßen von Nairobi unterwegs, unterschiedliche Verkehrsgenossenschaften leasen sie von dem Start-up. So auch MetroTrans, die Kooperative, die die Linie betreibt, auf der Annick Kathambi und Enock Makoli unterwegs sind. BasiGo stellt die Ladeinfrastruktur bereit und wartet die Busse. „Wir verkaufen nicht einfach Busse. Wir arbeiten mit den Kunden, damit die Busse so effizient wie möglich im Einsatz sein können“, sagt Nderitu.
Das ist auch notwendig. Denn bei einer neuen Technologie, die gerade erst eingeführt wird, will kein Busbetreiber das Risiko tragen. Elektrofahrzeuge sind in der Anschaffung mindestens doppelt so teuer, im Betrieb am Ende aber viel günstiger als die Dieselalternativen. BasiGo hat deshalb unterschiedliche Modelle. Entweder man kauft den Bus und least die Batterie – oder man least den gesamten Bus, für eine etwas höhere monatliche Gebühr.
Ersatzteile müssen noch aus China geliefert werden
Die Warteliste ist lang, die Nachfrage nach den Elektrobussen steigt. 420 Busse hätten direkt einen Abnehmer, wenn sie in Kenia ankämen, sagt Moses Nderitu. 2024 erwartet er bis zu 200 neue Busse, bis 2026 sollen, wenn es nach Nderitu geht, 1000 BasiGo-Busse durch die kenianische Hauptstadt fahren. Letztes Jahr hat BasiGo angefangen, die Komponenten der Busse vor Ort in Kenia zusammenzusetzen, weil dann die 25 Prozent Importsteuer entfallen. Eine zweite Firma, Roam, geht ähnlich vor. Bis jetzt gibt es keine direkten Herstellerverkäufe in Kenia, auch keine Werkstätten, die sich damit auskennen. In der BasiGo-Werkstatt im Industriegebiet steht einer der ersten Busse, die sie in Kenia auf die Straße gebracht haben, und wartet auf ein Ersatzteil, das aus China geliefert werden muss.
Im kenianischen Staatsbudget 2023 stand: „Die Regierung wird die Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge in allen städtischen Gebieten entlang der Autobahnen ausbauen und Anreize für die Einführung elektrischer Nahverkehrssysteme in allen Städten und Gemeinden schaffen.“ Doch bisher ist der Großteil der Ladeinfrastruktur privat. Firmen haben ihre eigenen Stationen, es gibt erste Kooperationen mit Tankstellen.
Auch BasiGo baut Infrastruktur auf. Das kostet viel Geld. Dass BasiGo dieses Geld hat, liegt daran, dass die Gründer aus dem Ausland kommen – Jit Bhattacharya aus den USA und Jonathan Green aus dem Vereinigten Königreich. Damit haben sie leichteren Zugang zu Krediten und Fördergeldern aus ihren Heimatländern – sowohl die amerikanische Entwicklungshilfeagentur USAid als auch das Entwicklungsfinanzierungsinstitut British International Investment haben dem Unternehmen Kredite in Millionenhöhe zugesagt. Ob Elektromobilität in Kenia Erfolg hat, ist zurzeit von privaten Firmen abhängig – und davon, ob diese in der Lage sind, langfristiges Kapital aufzubringen, das erst in sechs bis acht Jahren Rendite bringt.
Nachhaltige Energie ist vorhanden, nachhaltige Finanzierung nicht
Moses Nderitu war im Vorstand der kenianischen Transportbehörde, bevor er vor drei Jahren zu BasiGo kam, wo er sich jetzt auch um die Beziehungen zur Regierung kümmert und sich für bessere Bedingungen für den Sektor, beispielsweise in Form von Steuererleichterungen, einsetzt. Ruanda sieht er als Vorbild, dort gibt es weder Importzölle noch Steuern auf Elektrofahrzeuge.
Das Potenzial für Elektromobilität sei in Kenia besonders groß, weil schon jetzt der Großteil der Energie im Stromnetz aus erneuerbaren Energien kommt. Vor allem aus Erdwärme, die 24 Stunden am Tag Turbinen antreibt. „Kenia hat ganz viel nachhaltige Energie – und nachts wird die kaum genutzt.“ Darin sieht Nderitu langfristig die Chance. In seiner Vision haben eines Tages alle größeren Malls Ladesäulen – und die Busse können nachts auf den Parkplätzen parken, die dann sowieso leer stehen. „Wenn wir den Nachtstrom mit Elektrofahrzeugen nutzen, könnten die Stromkosten im Land sinken, weil weniger Strom ungenutzt bleibt“, sagt Nderitu. Er sagt, mit 1000 Bussen auf den Straßen könnte man 25 Prozent des ungenutzten Nachtstroms zum Einsatz bringen. Und mit dem Geld, das der Netzbetreiber dadurch verdient, könnten die erneuerbaren Energien weiter ausgebaut werden. „Die Industrie ist auf dem Weg in die richtige Richtung“, sagt Moses Nderitu.
Der Sektor muss sich verändern, das findet auch Charles Aholi. Er leitet die Nichtregierungsorganisation „National Public Transport Alliance“. Doch für ihn ist das Wichtigste nicht der Antrieb der Fahrzeuge. Sondern nachhaltige Finanzierung, Sicherheit der Passagiere, bessere Arbeitsbedingungen und Umweltschutz. An diesen Stellschrauben müsse dringend gedreht werden. Der Sektor müsse weg von der privaten Finanzierung – denn die habe nur Gewinn im Blick, nicht aber die Sicherheit der Passagiere und die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Wir brauchen ein Umdenken“, sagt Aholi. „Die Regierung finanziert die staatliche Airline mit, die ständig am Bankrott kratzt – warum nicht auch Busse?“ Private Kredite zu horrenden Zinsen seien untragbar für ein so wichtiges Gut wie den öffentlichen Nahverkehr. Gut organisierte Kooperativen sollten von der Regierung Kredite bekommen für die Erweiterung ihrer Angebote, fordert er.
Und Matatufahrer Charles? Der hat sich bisher kaum mit E-Bussen beschäftigt. Ihm ist es wichtig, über den Dingen zu schweben, bequem zu sitzen, gesehen zu werden. Eine bessere Bezahlung und mehr gesellschaftliche Anerkennung wünscht er sich. Und in einer Sache ist er sich ganz sicher: „Matatus waren schon da, als wir Kinder waren. Ich bin mir sicher, dass die nächste Generation auch noch in klassischen Matatus mit Verbrennermotoren unterwegs sein wird.“
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