Liberia scheint 20 Jahre nach Ende des Bürgerkriegs politisch stabil. Welche Rolle hat dabei die Transport-Infrastruktur gespielt?
Eine sehr, sehr wichtige. Als der Krieg im Sommer 2003 zu Ende ging, erwarteten die Menschen eine Friedensdividende: Mittel, die zuvor für Kämpfe und Militär ausgegeben worden waren, sollten nun dem (Wieder-)Aufbau des Landes zugutekommen. Es galt den Frieden zu festigen, die Wirtschaft wiederzubeleben, rechtsstaatliche Strukturen zu stärken – und dafür ein funktionstüchtiges Verkehrsnetz zu schaffen. Ohne Straßen keine Versorgung, weder mit Nahrung, Dünger oder öffentlichen Gütern im Bereich Gesundheit oder Bildung. Und ohne Versorgung kein Vertrauen in die neue Regierung und keine Legitimität. Dass Liberia nach dem Krieg vor allem mit Hilfe der EU und der Weltbank in Infrastruktur investiert hat, hat wesentlich dazu beigetragen, den Frieden zu sichern und die Stabilität der Regierung. Aber es gibt immer noch jede Menge zu tun.
Wie wichtig ist Straßenverkehr in Afrika im Vergleich zu Schiff und Schiene?
Bis zu 90 Prozent der Personen und Güter werden über Straßen transportiert. Ein nennenswertes Bahnnetz gibt es nicht, es wäre über die riesigen Strecken auch zu aufwendig, vor allem wenn es elektrisch betrieben würde. Viele Flüsse Afrikas wiederum sind nicht schiffbar. Autoverkehr ist für Wirtschaft und Handel der Transportweg schlechthin.
Wie sieht es denn mit dem Zugang beispielsweise in Liberia aus?
Knapp die Hälfte des Landes ist in der Regenzeit von Mai bis November vom Autoverkehr ausgeschlossen, weil die Straßen dort nicht gepflastert sind und zu Schlammpisten werden. Dort heißt das: kein Güterverkehr, kein Handel, keine wirtschaftliche Entwicklung – und die Preise für Güter steigen enorm. Es ist Sache der Regierungen, feste Straßennetze zu schaffen, aber in vielen afrikanischen Ländern fehlt es am nötigen Geld für Asphalt, Zement und die Instandhaltung solcher Straßen.
Ein klassischer Fall für die Entwicklungszusammenarbeit (EZ), oder?
Ja, und da läuft natürlich auch einiges, vor allem über die Weltbank. Dennoch spielt Straßenbau in den aktuellen Entwicklungsdebatten keine große Rolle. Das Thema ist nicht sexy genug, und in den Geberländern wird der Autoverkehr im Zuge des Klimaschutzes ohnehin immer kritischer betrachtet. Dass er für die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas unerlässlich ist, wird dabei oft ausgeblendet. Die Straßennetze wurden aber schon vor der Klimadebatte vernachlässigt.
Wie meinen Sie das?
Die westliche Entwicklungshilfe zog sich in den 1990er Jahren aus der harten Infrastruktur zurück. Dieser Trend hatte schon gegen Ende der 1970er Jahre begonnen und verstärkte sich mit der lateinamerikanischen Schuldenkrise der 1980er Jahre, als viele US-Banken, die zuvor Kredite zur Finanzierung von Infrastrukturen vergeben hatten, Geld verloren. Damals scheiterten auch viele Infrastrukturprojekte in Entwicklungsländern – Kostenüberschreitungen und Korruption waren an der Tagesordnung. Gleichzeitig wuchs das Interesse an sozialer Infrastruktur – Gesundheit, Bildung, Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Situation von Frauen und anderen unterprivilegierten Gruppen. Aber die Hebelwirkung von Bildung und Gesundheit funktioniert nur, wenn Menschen und Waren von A nach B kommen.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Nach dem Krieg errichtete man in Liberia ein großes Krankenhaus. Das Tapita Krankenhaus lag bewusst im Zentrum des Landes, so dass auch die Menschen aus dem Südosten dorthin gelangen konnten. Es ist aber während der Hälfte des Jahres, in der Regenzeit, für kaum jemanden erreichbar, weil keine festen Straßen dorthin führen. Gesundheitszentren und Bildungseinrichtungen sind nur so gut wie die Straßen, die die Menschen mit ihnen verbinden.
Inzwischen scheinen viele afrikanische Staaten im Bereich Infrastruktur vor allem auf China zu setzen.
Ja, China hat schon in den 1990er Jahren und damit lange vor dem Projekt der Neuen Seidenstraße begonnen, Straßenprojekte in Afrika aufzuziehen und damit die Lücke zu füllen, die sich aufgrund der geänderten EZ-Politik westlicher Geberstaaten auftat. China ist heute in Sachen Infrastruktur der größte Investor in Afrika, danach kommen die Entwicklungsbanken und dann erst die EU. Ein Großteil der chinesischen Finanzierung lief und läuft allerdings über Kredite. In den kommenden Jahren müssten die ersten von ihnen zurückgezahlt werden. Ich bin gespannt, ob und in welcher Form das geschieht, denn die Regierungen haben ja nach wie vor kein Geld. Einen weiteren Vorteil der chinesischen Investitionen sehen afrikanische Regierungen darin, dass China, anders als der Westen, im Gegenzug keine politischen oder wirtschaftlichen Reformen verlangt und ihnen schon gar nicht mit Menschenrechten kommt.
Sehen Sie darin einen Vorteil gegenüber dem Ansatz der westlichen Demokratien?
Ich denke, eine Mischung wäre ideal! Natürlich sollte die EZ keine verbrecherischen Regime fördern, und auch die Forderung nach wirtschaftlichen Reformen und Vorkehrungen gegen Korruption – beispielsweise Regelungen zur Transparenz von Ausschreibungen – sind sinnvoll, schon damit Investitionen sich langfristig lohnen. Aber die Forderungen müssen realisierbar bleiben. In Liberia haben wir das so gelöst, dass wir überschaubare Regierungs- und Wirtschaftsbereiche im Sinne der westlichen Geber reformiert haben, aber wir haben eben nicht das ganze System umgekrempelt. Fest steht nämlich auch: In Liberia besteht – wie im übrigen Afrika – eine riesige Finanzierungslücke für Verkehrswege, und so lange sich das nicht ändert, können die Länder sich wirtschaftlich nicht weiterentwickeln.
Können Sie das beziffern?
Die Afrikanische Entwicklungsbank spricht davon, dass dem afrikanischen Kontinent 68 bis 108 Milliarden US-Dollar jährlich für eine funktionierende Infrastruktur fehlen – an der Verkehrswege einen hohen Anteil haben. Alle, die sich in dem Bereich ein bisschen auskennen, wissen das auch. Die Crux ist: Straßenbau und -instandhaltung sind zwar für die Entwicklung von Staaten elementar, aber sie erfordern hohe Investitionen, die sich erst langfristig rechnen. Damit hadern nicht nur private, sondern auch staatliche Investoren.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen wir den „Liberia Compact“ der Millenium Challenge Corporation (MCC) aus dem Jahr 2015. Diese vom US-Kongress gegründete Auslandshilfeorganisation wollte damit die Armut im Land bekämpfen und die wirtschaftliche Entwicklung befördern. Unsere Regierung bat damals darum, vor allem in die Verbesserung des Straßennetzes zu investieren. Die MCC investierte dann aber in das Stromnetz der Hauptstadt Monrovia, denn dort sahen sie einen besseren kurzfristigen Return on Investment.
Ihr Rat an die EZ wäre also, mehr in den Straßenbau zu investieren?
Ja, aber nicht nur. Es geht auch darum, Innovationen und örtliche Möglichkeiten für billigere Materialien zu nutzen – so ließen sich die Kosten vielerorts um rund 30 Prozent senken.
Wie das?
Man kann beispielsweise Straßen auch ohne teuren Asphalt stabilisieren, wie ein Blick auf Norwegen zeigt. In den 1950er Jahren, vor dem Ölboom, war Norwegen kein reiches Land. Die meisten Straßen waren Schotterpisten und im Winter kaum befahrbar – ein großes Hemmnis für die Wirtschaft. Dann entwickelte man dort eine billige Asphalt-Variante aus Silikon, genannt „Otta Seal“, und befestigte die Straßen damit. Das verbesserte die Verkehrssituation schlagartig. Erst in den 1980er Jahren, als Norwegen wohlhabender wurde, ließ die Regierung die Straßen asphaltieren. Das zeigt: Innovationsgeist ist genauso wichtig wie ein langer Atem bei Investitionen.
Das Gespräch führte Barbara Erbe.
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