Der Weltgebetstag gehört zu den großen ökumenischen Basisbewegungen. Seit fast hundert Jahren feiern in mehr als 150 Ländern Frauen – und mittlerweile auch einige Männer – immer am ersten Freitag im März einen Gottesdienst nach einer Liturgie, die aus einem lang vorher bestimmten Land kommt. Darin geht es um die Situation der Frauen in dem jeweiligen Land, um die gesellschaftlichen Probleme, um die lokale Kultur – um alles, was das Leben der Gläubigen vor Ort ausmacht. Allein in Deutschland machen nach Angaben des deutschen Weltgebetstagskomitees 800.000 Frauen mit.
Vor sieben Jahren hat das internationale Weltgebetstagskomitee entschieden, dass die Gottesdienstordnung für 2024 von Frauen in Palästina geschrieben werden soll. 2021 machten sich palästinensische Christinnen aus verschiedenen Kirchen ans Werk. Ein Jahr später lag ihre Gottesdienstordnung auf Englisch vor und konnte nun in die jeweiligen Landessprachen übersetzt werden.
Dass es mit einer Gottesdienstordnung aus Palästina in Deutschland nicht einfach werden würde, war allen Beteiligten von Anfang an klar. Als die offizielle deutsche Übersetzung zu Beginn 2023 vorlag, wurden informell Antisemitismusbeauftragte in den Landeskirchen, Vertreterinnen des jüdisch-christlichen Gesprächs und andere Nahostkennerinnen angefragt, ob sie problematische Formulierungen in der Liturgie finden würden. Keiner legte ein Veto ein.
Nach dem 7. Oktober 2023 war alles anders
Doch dann kam der 7. Oktober – und alles stand plötzlich in einem anderen Licht, auch der Weltgebetstag. Ende Oktober warf der Deutsche Koordinierungsrat für die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (DKR) dem Weltgebetstag vor, „antisemitische, israelfeindliche Stereotype in unverantwortlicher Weise zu bedienen“. Unter anderem kritisierten sie, die palästinensischen Frauen hätten nicht ausdrücklich betont, dass Jesus Jude war; zudem hätten sie den für den Gottesdienst vorgeschlagenen Psalm 85 nicht dezidiert als ein Gebet aus der jüdischen Tradition eingeführt. Zurückgefragt werden muss an dieser Stelle, in welchen Gemeinden in Deutschland eigentlich diese Spezifizierung jeden Sonntag stattfindet.
Der Bochumer Theologe Günther Thomas nahm die Kritik des DKR auf und warf dem Weltgebetstag in einem Brief an die damalige EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus „eliminatorischen Antisemitismus“ und „Israel-Dämonisierung“ vor. Seine Kritik machte er an dem Motto-Bild des Weltgebetstags der palästinensischen Künstlerin Halima Aziz fest. Es zeigt drei betende Frauen, die als Schmuck einen Schlüssel tragen – das Symbol des Rechts auf Rückkehr der 1948 vertriebenen Palästinenserinnen und Palästinenser – sowie Mohnblüten, die Nationalblume Palästinas, deren Rot für das Blut der im Kampf für Palästina gestorbenen Menschen steht. Thomas setzte diese seit langem bekannten Symbole des palästinensischen Widerstands mit dem heutigen Hamas-Terror gleich und forderte die EKD auf, sich sofort vom Weltgebetstag zu distanzieren.
Um den Weltgebetstag aus der Schusslinie zu bringen, zog das Komitee die bereits gedruckte und vieltausendfach versandte Liturgie zurück, um sie für den deutschen Kontext zu überarbeiten. Seit Anfang 2024 liegt diese neue Fassung vor, die auf den 7. Oktober eingeht, die israelischen Opfer erwähnt und die Wurzeln des christlichen Glaubens im Judentum betont.
In den Reihen des jüdisch-christlichen Gesprächs fand das Gefallen. Diejenigen hingegen, die sich schon lange in der Advocacy-Arbeit für Palästina engagieren, reagierten verärgert. Passagen, in denen Israel als Besatzungsmacht kritisiert wurde, waren in neutralere Formulierungen geändert worden. Das waren nicht mehr die Worte der palästinensischen Christinnen.
Scharfe Kritik von palästinensischen Christinnen
Auch in Jerusalem fühlte man sich düpiert. In einem offenen Brief an das deutsche Weltgebetstagskomitee kritisierten die palästinensischen Frauen Mitte Januar „sinnentstellende Umstellungen, Einfügungen, Streichungen und Ergänzungen“, die nicht kenntlich gemacht worden seien. „Es ist unser Anliegen, darauf hinzuweisen, dass diese Bearbeitungen nicht von uns autorisiert, gebilligt oder freigegeben wurden“, heißt es in dem Brief.
Das deutsche Komitee reagierte seinerseits mit einer Entschuldigung. Man verstehe, dass die Veränderungen aus palästinensischer Sicht „ein Ausdruck mangelnden Respekts gegenüber Euren Erfahrungen sind und ,die grundlegenden Prinzipien‘ des Weltgebetstags zu untergraben drohen. Beides tut uns leid und ist sicher nicht beabsichtigt!“ Die Ergänzungen seien nötig gewesen, weil sich die Diskussion in Deutschland nach dem 7. Oktober 2023 polarisiert habe. Die deutschen Gemeinden, die sich am Weltgebetstag beteiligen, müssen sich nun entscheiden, ob sie nach der originalen Liturgie feiern wollen, um die Stimmen der palästinensischen Frauen so authentisch wie möglich zu Gehör zu bringen, oder ob sie die überarbeitete Fassung nehmen.
Grundsätzlich Rückendeckung bekommt der Weltgebetstag von anderen Basisbewegungen. Der Tag biete „eine Chance, sich über die Situation in Palästina zu informieren und mit christlichen Palästinenserinnen zusammen zu beten“, sagt Wiltrud Rösch-Metzler, die Sprecherin der katholischen pax christi-Nahostkommission. Doch dürfe das Interesse für die Frauen in Palästina und die Unterstützung für ihre Arbeit nach dem 1. März nicht nachlassen. „Die palästinensischen Frauen haben mit dem fürchterlichen Angriff auf Israel am 7. Oktober mit über 1200 Todesopfern nichts zu tun. Ihre Lebensrealität hat sich seitdem in existenzieller Weise verschlechtert“, sagt Rösch-Metzler.
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