Ende August schrieb die Direktorin der UN-Organisation zur Bekämpfung von Aids (UNAIDS), Winnie Byanyima, auf Twitter, sie sei in Genf in einem privaten Park vom Sicherheitsdienst und von der Polizei rassistisch behandelt worden. Der Park gehört zu dem Haus, in dem Byanyima seit drei Jahren wohnt. „Das Sicherheitspersonal zielt immer wieder auf mich ab, nur weil ich hier trainiere“, schrieb die UNAIDS-Chefin. An diesem Tag hätte sie die Polizei gerufen. Diese habe sie dann unfreundlich beim Training unterbrochen: „Sie haben mich wie einen Eindringling in meinem eigenen Raum behandelt.“ Sie habe genug von der rassistischen Belästigung, so Byanyima.
Handelt es sich bei dieser Szene um einen Einzelfall oder hat die Genfer Polizei ein grundsätzliches Rassismusproblem? Die Genfer Polizei sagt auf Anfrage, dass sie dem Problem besondere Aufmerksamkeit schenke. In der Erstausbildung würden mehrere Stunden Schulung dem Thema Stereotype, Migration und Rassismus gewidmet, darüber hinaus stehe die Polizei in regelmäßigem Kontakt mit Interessenverbänden.
„Nicht jede Polizeikontrolle gegen schwarze Personen ist rassistisch motiviert“, sagt Adola Fofana von der Genfer Beratungsstelle Centre Ecoute contre le Racisme (C-ECR). „Aber es gibt immer wieder Fälle von rassistisch motivierten Polizeikontrollen.“ Wenn es um Rassismus bei der Polizei geht, ist in der Regel von „Racial Profiling“ die Rede. Dabei nehmen die Beamten ethnische oder religiöse Merkmale – etwa die Hautfarbe oder bestimmte Kleidung – zum einzigen Anlass, eine Person zu kontrollieren. Racial Profiling ist in der Schweiz nicht erlaubt: Die Polizei muss sich an das Diskriminierungsverbot halten und darf Menschen nicht aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Religion benachteiligen.
Beim Fall von Byanyima geht es zwar nur im weiteren Sinne um Racial Profiling, denn ursprünglich kontrollierte ein privater Sicherheitsdienst und nicht die Polizei die UNAIDS-Leiterin. Doch der Vorwurf der rassistischen Behandlung gegen die Polizei bleibt bestehen. „Psychisch sind solche Kontrollen oft ein Schock für die Betroffenen“, sagt Fofana.
Rassismus ist ein institutionelles Problem in der Schweiz
Genaue Zahlen zu Racial Profiling in Genf und in anderen Kantonen gibt es nicht. Dass es aber immer wieder vorkommt, zeigen die Meldungen bei den Opferberatungsstellen. Bei der Genfer Beratungsstelle C-ECR etwa hätten sich im letzten Jahr fünf Personen gemeldet, die nach eigenen Angaben Racial Profiling erlebt haben, so Fofana. Bei allen Beratungsstellen in der Schweiz, die Opfer von Rassismus unterstützen, betrafen 2022 rund 45 von 700 Meldungen Rassismus seitens der Polizei.
Eine mit Mitgliedern afrikanischer Herkunft besetzte UN-Expertengruppe kam letztes Jahr zum Schluss, dass Rassismus in der Schweiz ein institutionelles Problem sei. Den Kanton Genf lobte sie zwar für die zahlreichen Initiativen dagegen in den vergangenen Jahren, etwa dass die kantonale Menschenrechtskommission politische Gesetze auf Rassismus hin unterprüfen könne. Gleichzeitig stellte sie fest, die Hürden, gerichtlich gegen polizeiliche Übergriffe vorzugehen, seien in Genf und in der Schweiz insgesamt sehr hoch.
Es gibt eine zuständige Mediationsstelle
Die Genfer Polizei sagte gegenüber der Zeitung „Blick“, sie habe den von Byanyima beschriebenen Fall an ihre Ombudsstelle weitergeleitet. Diese einzig für Beschwerden gegen die Polizei zuständige Mediationsstelle ist in der Schweiz einmalig. Doch die Plattform humanrights.ch kritisierte, der Kompetenzbereich der 2016 geschaffenen Stelle sei zu klein. So sei etwa die Teilnahme an einer Mediation nicht verpflichtend, und Fälle körperlicher Gewalt fallen nicht in ihren Zuständigkeitsbereich.
Ein Strafverfahren gegen polizeiliches Fehlverhalten anzustrengen, ist überall in der Schweiz schwierig. Der Weg ist lang und teuer, und immer wieder gibt es Fälle, in denen die Polizei auf Anzeigen gegen Fehlverhalten mit Gegenanzeigen reagiert. Fast immer werden die Verfahren zugunsten der Polizei entschieden. Racial Profiling ist schwer zu belegen, in der Regel steht Aussage gegen Aussage. Häufig stellt sich die Polizei auf den Standpunkt, dass sich eine Person auffällig verhalten habe. „Und das ist ein sehr vager Begriff“, sagt Fofana. Weil aber die Beweislast beim Opfer liege, komme es fast nie zu einer Verurteilung wegen Racial Profiling.
Doch diskriminierende Polizeikontrollen schadeten letztlich auch der Polizei selbst, sagt Fofana: Denn wenn die Betroffenen sich ausgeliefert fühlten und behindert würden, sich gegen Diskriminierung zu wehren, verlören sie das Vertrauen in die Polizei.
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