Versorgt ein großer Teil der Süßwasserquellen mehrere Länder?
Ja. 310 Flussbecken, also Flussläufe samt Zuflüssen und Quellgebieten, erstrecken sich über zwei oder mehr Staaten. Vor rund dreißig Jahren waren es noch etwas mehr als 240. Aber inzwischen sind aus manchen Staaten mehrere entstanden; außerdem können wir mit Satelliten Wasserläufe genauer vermessen als früher. Die 310 grenzüberschreitenden Flüsse versorgen zusammen rund 42 Prozent der Weltbevölkerung mit Wasser. Auch dieser Anteil nimmt zu, weil die Bevölkerung dort wächst. Daneben gibt es über 500 grenzüberschreitende Grundwasserleiter, sogenannte Aquifere. Auch sie sind wichtige Wasserquellen, aber man kann sie nicht wie Flüsse offen sehen und es gibt nur ganz wenige Abkommen zwischen beteiligten Staaten über den Umgang damit.
War Konkurrenz um Wasser bisher öfter eine Ursache von Kriegen zwischen Staaten?
Statistisch gesehen nicht. Streit um Wasser zwischen Staaten wird viel öfter mit Abkommen geregelt, als mit Kriegen ausgetragen. Es gab einige internationale Kriege, die in gewissem Maß mit Wasserfragen verbunden waren wie der zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten 1967. Aber Staaten haben für einen Krieg nie nur einen einzigen Grund.
Streit um Wasser kann zu Kriegen zwischen Staaten beitragen, ist aber nie die alleinige Ursache?
Genau. Nehmen Sie den Krieg in der Ukraine seit Februar 2022. Sein Hauptgrund ist Putins Absicht, mindestens Teile der Ukraine zu annektieren oder aus dem Staat herauszulösen. Aber schon in den ersten Tagen des Krieges hat die russische Armee die Sperre in dem Kanal zerstört, der Wasser aus dem Dnipro auf die Krim leitet. Die Regierung der Ukraine hatte 2014 diesen Kanal blockiert, weil Russland die Krim besetzt und annektiert hatte. Als Folge war dort Wasser knapp, und nach Beginn des Krieges 2022 hat Putin als Erstes den Kanal geöffnet. Wasser kann also ein zusätzlicher Kriegsgrund gewesen sein.
Staaten finden aber meistens eine Verständigung über die Nutzung gemeinsamer Wasserquellen?
Historisch haben sie in den meisten Fällen gemeinsamer Wasserressourcen ein Abkommen dazu geschlossen – auch wenn in jüngster Zeit nur wenige neue zustande gekommen sind. Es gibt ein Abkommen zum Nil, eins zum Amazonas, einige zu Euphrat und Tigris, sogar eins zwischen den verfeindeten Ländern Pakistan und Indien. Die meisten sind allerdings unterzeichnet worden, um neue Dämme zu bauen und damit das Wasser der Flüsse noch stärker zu nutzen.
So dass beide profitieren?
Richtig, auch wenn neue Dämme nicht immer sinnvoll sind. Hinzu kommt: Viele Flüsse haben mehr als zwei Anrainer – der Nil zum Beispiel elf, der Mekong sechs – und viele Abkommen werden nur von den wichtigsten zwei oder drei geschlossen. In der Regel hat die vorherrschende Macht in der Region den Hauptnutzen.
Am Nil und an Euphrat und Tigris erwarten Beobachter mehr Konflikte zwischen Anrainerstaaten, weil es infolge des Klimawandels trockener wird, aber der Wasserbedarf wächst. Teilen Sie das?
Bedingt. Es stimmt, dass die Bevölkerung gewachsen ist, die Landwirtschaft ausgeweitet wurde, neue Dämme gebaut wurden. Dies, mehr Dürren und das Fehlen einer Verständigung können zusammen Kriege wahrscheinlicher machen. Aber diese Warnungen sind nicht neu, darüber wird seit 40 Jahren diskutiert. Am Nil sind am Abkommen von 1959 nur der Sudan und Ägypten beteiligt. Die Weltbank hat Ende der 1990er Jahre alle Anrainer an einen Tisch geholt, aber sie arbeiten nicht wirklich zusammen. Äthiopien kontrolliert 87 Prozent des Wassers, das den Nil speist, und hat am Blauen Nil, dem größten Zufluss, den größten Staudamm Afrikas gebaut, den Grand Ethiopia Renaissance Dam. Der soll vor allem Strom erzeugen, das heißt, der Abfluss wird auf Dauer nicht stark verringert.
Will Äthiopien das Wasser nicht für Bewässerung in der Landwirtschaft nutzen?
Bisher geht es nur um Wasserkraft. Aber die Sorge vor Folgen des Klimawandels erschwert tatsächlich eine Verständigung Äthiopiens mit Ägypten und dem Sudan: Wenn dort eine langanhaltende Dürre auftritt und Äthiopien nicht die Tore öffnen und den Abfluss aus dem Stausee erhöhen will, dann gibt es ein Riesenproblem. Im Fall Euphrat und Tigris muss man sehen, dass Syrien und der Irak aus über zehn beziehungsweise zwanzig Jahren Krieg und Bürgerkrieg herauskommen. Inzwischen hat die Türkei am Oberlauf beider Flüsse eine Serie von Staudämmen gebaut und entnimmt auch Wasser für Bewässerung, so dass weniger im Irak und Syrien ankommt. Dort herrscht immer stärker Dürre. Wie konfliktträchtig das wird, hängt meiner Ansicht nach davon ab, wie sich das Verhältnis der Türkei zu Syrien entwickelt.
Schürt Wassermangel eher Gewalt in Staaten als zwischen ihnen?
Richtig. Auch Kämpfe innerhalb von Staaten haben allerdings viele Gründe. Ein wichtiger Faktor ist, ob es nationale Institutionen gibt, die Streit beilegen können. Wenn zum Beispiel das Oberste Gericht in den USA in einem Streit um Wasser zwischen zwei Bundesstaaten ein Urteil fällt, halten die sich daran. Passiert das in Indien, dann befolgen die Staaten es nicht. Auch wie sehr man der Regierung vertraut, beeinflusst, ob Konflikte gewaltsam ausgetragen werden. Manche Wasserprobleme, zum Beispiel Verschmutzung, sind zudem leichter zu lösen als andere; bei Wasserknappheit ist das schwieriger.
Unter welchen Umständen begünstigt Konkurrenz um knappes Wasser Bürgerkriege?
Gewaltkonflikte um Wasser sind eher wahrscheinlich in Entwicklungsländern, in denen die Institutionen schwach sind, wo es Spannungen zwischen ethnischen oder religiösen Gemeinschaften gibt und wo zusätzlich Wassermangel herrscht. Dass Leute arm sind und Wasser knapp ist, führt nicht an sich zu Konflikten. Sondern die entstehen, wenn eine Gruppe sich benachteiligt sieht und denkt, andere werden auf ihre Kosten bevorzugt – zum Beispiel wenn arme Bauern denken, ihr Wasser wird in Städte oder den Bergbau umgeleitet. Wenn dann politische Eliten Wasser zur Mobilisierung nutzen, steigt die Gefahr von organisierter Gewalt.
Besonders wenn andere Möglichkeiten des Lebensunterhalts fehlen?
Ja. Aus Gebieten mit starkem und wachsendem Wassermangel wandern die ab, die es können, aber die Armen sitzen dort in der Falle. Sie müssen mit dem Wasser auskommen, das noch da ist. Wenn dann Bergbaubetriebe oder auch ein anderer Staat am Oberlauf eines Flusses Wasser abzweigen, können lokale Gemeinschaften nichts dagegen tun. Und wo sie keine alternativen Möglichkeiten des Lebensunterhalts haben, die staatlichen Institutionen nicht funktionieren und die Gemeinschaften als unterschiedliche Gruppen organisiert sind, zum Beispiel Hirten und Bauern, da werden Konflikte um Wasser wahrscheinlicher. Das sieht man im Sahel, in Südasien und auch in Teilen Mittelamerikas. Hier vergiftet oft Bergbau die Wasserquellen, und die Leute kämpfen dann untereinander um das übrige Wasser.
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Kann es auch zu Kooperation zwischen Gruppen führen, wenn sie sich Wasservorkommen teilen müssen?
Ja. Das passiert sogar öfter als Kämpfe um Wasser. Ein Faktor – übrigens auch bei Streit zwischen Staaten – ist, dass alle sehen: Kämpfe würden die Wasseranlagen beider Seiten zerstören. Aber der Bau von Wasser-Infrastruktur kostet Zeit und die Anlagen sind für das Überleben wichtig, besonders in Agrargesellschaften. Eine Rolle spielt auch, ob Nutzungen einander ausschließen oder nicht. Zum Beispiel kommt Wasser, das in der Industrie genutzt wird, als Abwasser wieder raus; wenn man das reinigen kann, kann es für Landwirtschaft noch verwendet werden. Kooperation in Wasserfragen funktioniert aber nicht, wenn Menschen im Namen der Politik, der ethnischen Gruppe oder der Religion gegeneinander mobilisiert werden. Das heißt, sie hängt vom Verhalten der politischen Eliten ab: Wenn die Wasserknappheit nutzen, um Konflikte zu schüren, weil ihnen das politisch nützt, sind Kämpfe wahrscheinlicher.
Wie kann man von außen Wasserkooperation fördern?
Man muss die historischen und kulturellen Umstände im Einzelfall bedenken. Allgemein kann man sagen: Gute Regierungsführung ist entscheidend. Dazu gehört nicht nur gutes Management der Wasservorkommen, sondern die Behörden müssen auch das Vertrauen genießen, dass sie niemanden bevorzugen. Man kann Kooperation von außen unterstützen, zum Beispiel mit Technik zur Wasseraufbereitung, wenn Verschmutzung das Problem ist. Man sollte Hilfe im Wassersektor aber zusammen mit dem Staat leisten. Der Einfluss von außen ist begrenzt, solange es nicht gelingt, die staatliche Wasserverwaltung und Regierungsführung zu verbessern.
Kann gemeinsames Wassermanagement ein Ansatzpunkt sein, in einem Konfliktumfeld Frieden zu fördern?
Nach einem Krieg sind Projekte zur Wasserversorgung sehr wichtig, denn Vertriebene kommen zurück, sie treiben Landwirtschaft, man muss die Ernährung sichern. Wasserprojekte müssen aber gut gemanagt werden, damit sie Kooperation fördern. Und ob das dann vielleicht zu Vertrauen und Zusammenarbeit auch in anderen Gebieten führt, das wissen wir nicht. Einige lokale Wasserprojekte in Ruanda sollen geholfen haben, Frieden zu bringen. Auch aus dem Irak gibt es Beispiele, vor allem in den Sumpfgebieten im Süden. Wasser allein führt aber nicht zu Kooperation – ebenso wenig wie zu Konflikten.
Das Gespräch führte Bernd Ludermann.
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