Ein bisschen merkwürdig war es am Anfang schon, dass ich so gar nichts gesehen habe“, gibt Sami Chabir zu. Auch seine Nachbarn gucken immer wieder mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis auf den trocken wirkenden Acker am Rande der Autobahn in Amarat im Südosten Tunesiens, nahe der Küstenstadt Gabes. Denn weder Chabir noch seine Nachbarn sehen das Wasser, mit denen die Olivenbäume versorgt werden. Deutlich zu erkennen ist allerdings, dass die inmitten der ockerfarbenen, kargen Landschaft bestens gedeihen. Die Blätter der erst vor zwei Jahren eingepflanzten Setzlinge sind sattgrün und glänzen, ganz anders als die fahlen Bäume des Nachbarn, denen Hitze und Wassermangel deutlich zu schaffen machen.
Dabei bekommen die 2700 Olivenbäume, um die Chabir sich kümmert, sogar weniger Wasser als die auf dem angrenzenden Feld. Doch sie bekommen es unterirdisch, und das macht den Unterschied, ist der Tunesier überzeugt. Er hat vergrabene Wasserverteiler auf dem Gelände installiert, ein System zur Unterflurbewässerung in der Landwirtschaft, bei dem den Pflanzen in regelmäßigen, aber großen Abständen unter der Erde große Mengen Wasser zugeführt werden.
Am Anfang sei es noch ein bisschen schwierig gewesen, herauszufinden, was genau nicht funktioniert, wenn bei dem eigentlich wartungsarmen System etwas nicht so lief wie geplant. „Wenn zum Beispiel die Oberfläche feucht ist oder an einer Stelle Unkraut wächst, weiß ich, dass da irgendwas verstopft sein muss“, sagt Chabir. Inzwischen habe er den Dreh raus.
Vergrabene Tonamphoren mit Wasser als Vorbild
Erfunden hat den unterirdischen Diffusor Bellachheb Chahbani. Nach einem Studium in Belgien und an der Sorbonne in Paris arbeitete der Tunesier seit den 1980er Jahren am staatlichen Institut der ariden Regionen in Medenine in Südtunesien. Dort forschte er damals schon zur Nutzung von Wasserressourcen – auch wenn die Klimakrise und langanhaltende Dürreperioden zu Beginn seiner Karriere noch längst nicht so eine große Rolle gespielt haben. Heute gehört Tunesien zu den 25 Ländern der Welt mit den geringsten Trinkwasservorkommen. Mehr als drei Viertel davon fließen in die Landwirtschaft.
Die Idee zu Chahbanis Bewässerungssystem gründet in einer Kindheitserinnerung. „Ich komme aus Djerba und habe gesehen, wie mein Großvater Tonamphoren neben den Olivenbäumen vergraben und sie mit Wasser gefüllt hat.“ Nach und nach gaben die Gefäße das Wasser auf Höhe der Wurzeln an die umliegende Erde ab. Diese alte Bewässerungstechnik, die in vielen Ländern der Region so oder so ähnlich genutzt wird, hat über Jahrhunderte funktioniert. Doch sie ist anfällig für Probleme und die Wassermenge lässt sich nicht regulieren. „Die Amphoren zerbrechen oder die Poren der Gefäße verstopfen durch Salzablagerungen. Dann funktioniert es nicht mehr.“ Am Forschungsinstitut entwickelte Chahbani daher eine moderne Variante. Vor dem Ruhestand kaufte er dem Institut das Patent seiner Erfindung ab, entwickelte die Technik weiter und brachte sie auf den Markt.
Die Verteiler sind handtellergroße flache Plastikbehälter, die mit einem Schlauch miteinander verbunden sind. Je nach Art, Größe und Alter der Pflanzen werden zwei bis vier Verteiler in gleichmäßigem Abstand um den Baum herum in rund 50 Zentimeter Tiefe eingesetzt. Dies soll garantieren, dass sich der Wurzelballen gleichmäßig in alle Richtungen entwickelt und nicht wie bei Tröpfchenbewässerung entlang der Schläuche in die Länge. Zusammen mit dem Wasser kann über das System auch Flüssigdünger und Sauerstoff zugeführt werden. Im Gegensatz zu anderen Systemen der Unterflurbewässerung, die im Boden entlang der Schläuche kontinuierlich geringe Mengen Wasser abgeben, geben Chahbanis Verteiler in kurzer Zeit und nur im direkten Umkreis der Wurzeln eine große Menge Wasser ab, von einmal monatlich bis einmal jährlich jeweils den Anteil, den die Pflanzen aufs Jahr gerechnet benötigen.
Im Vergleich mit der weit verbreiteten Tröpfchenbewässerung habe der vergrabene Verteiler eine ganze Reihe an Vorteilen, sagt Chahbani. Da das Wasser direkt an den Wurzeln ankommt und nicht die Hälfte verdunstet wie bei oberirdischer Bewässerung, ist der Wasserverbrauch im Vergleich bis zu zwei Drittel niedriger. Und auch die Erträge sind nach ersten Studien deutlich höher.
Die Unterflurbewässerung spart auch Energie. Sami Chabirs Pumpe hat gerade einmal zwei PS. „Bei der Tröpfchenbewässerung reicht das für 100 Bäume. Bei uns für 5000.“ Das Wasser wird aus dem Brunnen in eine kleine Entsalzungsanlage gepumpt und von dort in einen Wasserturm mit 50 Kubikmetern Volumen. Aus drei Metern Höhe fließt es von der Schwerkraft getrieben zu den Verteilern unter der Erde. Da das Gelände abschüssig ist mit einer Höhendifferenz von sieben Metern, geht dies ohne weitere Pumpen. Aber selbst auf flachem Gelände, wo eine Pumpe benötigt wird, spart das System im Vergleich zur Tröpfchenbewässerung Energie, weil der benötigte Wasserdruck niedriger ist.
Übliche Tröpchenbewässerung nährt auch das Unkraut
Wenn Sami Chabir auf den Acker seiner Nachbarn schaut, zu den Oliven aus den 1980er Jahren, dann sieht er nicht nur die Folgen des Wassermangels, sondern auch einen runden Kreis von Unkraut am Fuß jedes Baumes: eine Folge der Tröpfchenbewässerung. Er dagegen muss kein Unkraut jäten und hat keine Schädlinge. Das spart Pestizide und Arbeitskraft. Und noch einen Vorteil hat das unterirdische System: Da nicht ständig Wasser durch die Schläuche fließt, halten diese länger. „Bei über 40 Grad im Schatten kommen sonst im Sommer immer wilde Hunde oder Wildschweine, die Durst haben. Sie können das Wasser riechen und zerbeißen die Schläuche.“
Autorin
Sarah Mersch
ist freie Journalistin und lebt in Tunis. Ihr Beitrag ist zuerst in etwas anderer Form im Rahmen der Reihe „Lessons from Africa“ auf der Online-Plattform Riffreporter erschienen. Die Recherche wurde vom European Journalism Center gefördert.Als Ahmed Ayed auf seinem Stück Land auf der Halbinsel Cap Bon im Nordosten Tunesiens steht, gut 300 Kilometer nördlich von Chabirs Olivenplantage, fängt es heftig an zu regnen. Ein kalter Wind fegt über den freiliegenden Hang. Es ist Mitte November. „Viel zu spät. Das ist erst der zweite Regen seit März.“ Normalerweise gibt es in Nordtunesien spätestens im September die ersten Starkregenfälle, doch seit einigen Jahren leidet das kleine nordafrikanische Land zunehmend unter wiederkehrenden, langen Dürreperioden.
Ayed hat während des ersten Lockdowns in der Corona-Pandemie beschlossen, sein Leben zu ändern. Er arbeitet in der zwei Stunden Fahrt entfernten Hauptstadt Tunis in der Textilindustrie. Jetzt will er sich hier bei dem Weiler Aksar ein neues Leben aufbauen und seine Energie und seine Lebensmittel selbst produzieren – auch mit Hilfe von Chahbanis Bewässerungssystem. Er hat Mandeln, Äpfel- und Birnbäume gepflanzt, Oliven und Guaven und natürlich verschiedene Zitrusfrüchte, die typisch sind für die Region.
Der Anfang sei nicht einfach gewesen, gibt er zu. Die Bäume seien über den Sommer so schnell gewachsen, dass die ursprüngliche Wassermenge bei der nächsten Bewässerung drei Monate später nicht ausgereicht habe. Erfahrungswerte zu den Bewässerungsmengen für Obstbäume gibt es im Gegensatz zu Oliven beim unterirdischen Verteiler noch wenige. Die Pflanzen, die seine Anfängerfehler überlebt haben, gehen inzwischen gut an.
Mit zunehmenden Extremwetterlagen in Tunesien funktioniert der traditionelle Regenfeldbau immer weniger. Dies betrifft landesweit fast die Hälfte der Fläche für Obst- und Olivenanbau. „Die Bauern fällen hier am Cap Bon teilweise schon ihre Oliven- und Zitrusbäume“, erzählt Ahmed Ayed. Für sie ist es rentabler, das Holz zu verkaufen, als die Bäume zu bewässern. Doch die Nachfrage nach den unterirdischen Verteilern wächst. Nach dem Hitzesommer 2022 mit Ernteausfällen wollen zwei von Ayeds Nachbarn jetzt ebenfalls das System nutzen.
Im Sommer verdunstet das Wasser aus den Speicherbecken
Wenn es doch mal regnet, führt das oft zu Überschwemmungen, denn das Erdreich ist so trocken, dass es das Wasser gar nicht aufnehmen kann. Zwar gibt es in Nord- und Zentraltunesien Hunderte Kleinstspeicherbecken. Doch im Winter wird nicht bewässert und das überschüssige Wasser ins Meer abgeleitet. Sobald es dann wärmer wird und man es brauchen könnte, ist es schnell verdunstet. „Tunesien verliert so große Mengen an verfügbarem Süßwasser“, erklärt Erfinder Bellachheb Chahbani. Es möge zwar auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, aber am besten sei es, während der Regenzeit zu bewässern. Würde man die überschüssigen Niederschläge zur unterirdischen Bewässerung mit dem Verteiler nutzen, könnten die Bäume problemlos den Sommer überstehen. Dies könnte auch in anderen Regionen zum Beispiel in Subsahara-Afrika praktiziert werden, wo sich Überschwemmungen und Dürreperioden abwechseln.
Bellachheb Chahbani hat für den unterirdischen Verteiler in den letzten zwanzig Jahren einige Preise erhalten, sowohl in Tunesien als auch international, zum Beispiel von der Weltbank, der US-amerikanischen Entwicklungsagentur USAID oder der Unesco. Doch in Tunesien dominiert die Tröpfchenbewässerung den Markt. Wegen der Wirtschaftskrise schrecken viele Landwirte vor Investitionen zurück. Umgerechnet rund zehn Euro kosten die vier Verteiler pro Baum. Von seiner Produktionskapazität von fünf Millionen Teilen pro Jahr ist die Fabrik von Chahbani heute weit entfernt. „Im Moment produzieren wir rund 30.000 Stück pro Jahr.“ Diese verkauft er vor allem in Tunesien. Langsam macht sich seine Lösung einen Namen. Im vergangenen Winter hat Chahbani neue Anlagen auf zwei Olivenplantagen im äußersten Süden des Landes installiert.
Vielversprechende Feldversuche
In diesen Tagen vergräbt der Erfinder seine Verteiler gerade an den Füßen von 8000 Mandelbäumen in Zentraltunesien. In wissenschaftlichen Studien in Tunesien und Katar wurde das System mit kleineren Verteilern für Gemüse beim Anbau von Tomaten und Paprika in Gewächshäusern getestet und mit anderen Bewässerungstechniken in Hinblick auf Ertrag, Gesundheit der Pflanzen und Salzgehalt der oberen Bodenschicht verglichen. Dabei konnte unter anderem nachgewiesen werden, dass Tomaten im Vergleich zur Tröpfchenbewässerung deutlich weniger von Pilzen befallen wurden oder ihre Wurzeln verfaulten. Beim Paprikaanbau fiel der Ertrag gleich hoch aus, allerdings wurde erheblich weniger Wasser verbraucht und die Bodenqualität verbesserte sich.
Andere Feldversuche mit verschiedenen Gemüsesorten wie Auberginen laufen derzeit in Usbekistan. 2022 hat Chahbani dort in einem Pilotprojekt die Mitarbeitenden des staatlichen Innovationszentrums in der Nutzung geschult. Finanziert hat das Ganze das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP). Die ersten Ergebnisse der Feldversuche seien vielversprechend. Ein erfolgreicher Abschluss des Projekts nach zwei Jahren könne ihm international Türen öffnen, hofft Chahbani, der sich auch in Richtung der Golfstaaten und ins Afrika südlich der Sahara orientiert.
Doch der Sprung ins internationale Geschäft und der Zugang zu Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit ist für den Erfinder mit vielen Hürden versehen. Bei der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO, beim UNDP und anderen müsse ein Mentalitätswechsel stattfinden. „Die Organisationen, die sich um Agrarpolitik, Wüstenbildung und Klimafolgenanpassung kümmern, nutzen vor allem etablierte Technologien wie die Tröpfchenbewässerung, für die es schon sehr viele Daten gibt.“ Bei mehreren angefragten deutschen Hilfsorganisationen ist Chahbanis Technik nicht bekannt. Die Welthungerhilfe gab an, in ihrer Projektarbeit Tröpfchenbewässerung zu nutzen. Brot für die Welt erklärte, dass Partnerorganisationen die traditionelle Methode, also eingegrabene Tontöpfe, zur Bewässerung nutzen und andere Systeme wegen des benötigten Kapitalaufwands und der Plastikentsorgung kritisch sehen.
Für Vertrieb im großen Stil fehlen Chahbani die Mittel
Außerdem fehle es ihm im Moment schlicht an Ressourcen. „Es ist zu viel geworden, ich kann das nicht mehr alles alleine machen.“ Am liebsten würde der Rentner den kaufmännischen und administrativen Teil der Arbeit sowie die Vermarktung des kleinen Familienbetriebs abgeben und sich ganz auf die Weiterentwicklung des Bewässerungssystems konzentrieren. Doch das ist schwierig im Süden des Landes, weit weg von der Hauptstadt Tunis mit ihrer jungen Start-up-Szene und den entsprechenden Förderprogrammen. Im Moment kümmern sich Familienmitglieder nebenbei um die Webseite und die die geplante Weiterentwicklung des Verteilers.
Auf dem Gelände in Amarat hat Sami Chabir schon weitere Pflanzlöcher ausgehoben. Ein Streifen am Rande des Ackers ist noch leer. Am Ende sollen hier insgesamt 5000 Olivenbäume stehen. Wo einmal die Setzlinge hinkommen, stehen im Moment noch Holzstöcke als Platzhalter. Die Wasserschläuche sind schon verlegt, so dass er nur noch die jungen Bäume und die Verteiler selbst einsetzen muss. Er zeigt auf die andere Seite der Autobahn, über die eine schmale Brücke führt. In der Ferne ist ein ockerfarbenes, leeres Feld zu sehen. „Das sind auch noch einmal 20 Hektar.“ Platz für 5000 weitere Bäume. Sobald das Feld, auf dem wir gerade stehen, fertig bepflanzt ist, geht es dort weiter.
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