Herr Zattler, will Entwicklungsministerin Schulze die Weltbank zu einer Bank für die Bearbeitung globaler Krisen umbauen?
Die Weltbank hat natürlich weiterhin die Aufgabe, Länder dabei zu unterstützen, ihre eigene Entwicklung voranzutreiben und die Armut zu bekämpfen. Aber das kann man immer weniger von globalen Aufgaben trennen. Entwicklungsländer sind etwa vom Klimawandel häufig am stärksten betroffen und können sich am wenigsten dagegen schützen oder aus eigener Kraft ambitionierte Klimaziele erreichen. Wir brauchen die Weltbank, um einen sozial gerechten Umbau der Weltwirtschaft hin zur Klimaneutralität herbeizuführen. Diese Idee hat durch die aktuellen Krisen noch einmal stark an Fahrt gewonnen, denn alle diese Krisen hängen mit globalen öffentlichen Gütern zusammen: die Klimakrise, das Artensterben, die Auswirkungen von Konflikten und Gewalt sowie die Covid 19-Pandemie. All das muss gezielter und effizienter bearbeitet werden.
Die Ministerin hat gesagt: „Das bisherige Modell der Weltbank, das vor allem auf der Nachfrage ausleihender Länder beruht, passt nicht mehr in eine Zeit globaler Krisen.“ Das klingt so, als solle es in Zukunft nicht mehr in erster Linie um die Bedürfnisse der armen Länder gehen, sondern um unser aller Probleme, also auch um meine und Ihre.
Unser aller Probleme sind mit denen ärmerer Länder immer stärker verflochten. Deshalb gibt es Handlungsbedarf. Die Frage ist doch: Wenn ein Land mit Geld von der Weltbank etwas tut, was nicht bloß seiner eigenen Entwicklung dient, sondern auch anderen nutzt, warum soll es dann das Geld zu den gleichen Konditionen erhalten wie für ein herkömmliches Projekt? Wir sprechen hier von „Co-Benefit-Bereichen“. Da fehlt es an Anreizen. Ein Beispiel: Wenn ein Land seinen Tropenwald schützt, dann tut es das für sich und zugleich für die Weltgemeinschaft. Muss es dafür nicht günstigere Konditionen bei der Kreditvergabe bekommen? Ein anderes Beispiel ist der Umbau der Energieversorgung: Das nutzt einerseits den Ländern, die wissen, dass sie keine andere Chance haben als auf erneuerbare Energien zu setzen, weil sie sonst in der Sackgasse landen. Andererseits nutzt das gleichzeitig dem Klimaschutz, also uns allen.
Die Idee ist also, in der Weltbank eine Fördermöglichkeit für solche „Co-Benefit“-Vorhaben zu schaffen?
Ja, wobei wir uns noch nicht festgelegt haben, wie das am Ende aussieht. Wir haben nur gesagt, wir müssen das Anreizsystem, die Finanzkapazitäten der Bank und ihre Instrumente entsprechend überprüfen. Es gibt dazu ein sogenanntes Non-Paper, das alle G7-Staaten sowie auch andere Länder unterstützen.
Haben Sie auch mit Entwicklungsländern darüber gesprochen?
Ja, zum Beispiel mit Uruguay. Erste Sondierungen haben ergeben, dass es dafür auch bei Entwicklungsländern Sympathien gibt. Zudem werden einige dieser Themen ja schon länger in der Weltbank diskutiert. Es gab schon bei der letzten Kapitalerhöhung 2018 einige Fortschritte, als etwa ein Finanzierungsfenster für globale öffentliche Güter geschaffen wurde. Das haben damals etliche Entwicklungsländer unterstützt. Vor allem Länder mit mittlerem Einkommen wollen von der Weltbank eine qualitativ hochwertige Unterstützung, zu der nicht zuletzt auch Wissen gehört.
Wie groß ist die Gefahr, dass mit einem neuen Fokus auf globale Aufgaben Mittel umgeschichtet werden: weg von den ärmsten Ländern hin zu Ländern mit mittlerem Einkommen?
Ich sehe das nicht. Es geht bei der Reform ja vor allem um den Weltbank-Arm IBRD, also eigentlich nur um die Gruppe der Länder mit mittlerem Einkommen. Für die Länder mit niedrigem Einkommen haben wir den Weltbank-Arm IDA, der ganz anders funktioniert und von der Reform nicht betroffen wäre.
Haben Sie Rückmeldungen von IDA-Ländern zu den Reformplänen bekommen?
Ja, und einige Länder sind natürlich besorgt. Die sagen: „Wir sind zwar stark betroffen vom Klimawandel, aber wir haben einen anderen Zeithorizont. Wir müssen morgen und übermorgen überleben.“ Insofern gibt es da schon Bedenken, dass Mittel umgeleitet werden könnten. Das muss man ernst nehmen und diskutieren. Zugleich haben wir aber auch Vorschläge gemacht, die genau auf die ärmsten Länder abzielen, etwa den für einen Globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken. Der wird zur Klimakonferenz gestartet, und da ist auch die Weltbank dabei.
Manche Fachleute vertreten die Position, die Weltbank sollte sich nicht um Klimaschutz kümmern, sondern ausschließlich um Armutsbekämpfung und Entwicklung. Es sei nicht fair, arme Länder zum Klimaschutz zu drängen, bevor grundlegende Entwicklungsprobleme gelöst sind. Was halten sie davon?
Gar nichts. Man kann Klimaschutz und Entwicklung nicht voneinander trennen – nach dem Motto: Wir entwickeln uns fossil und wenn wir reich sind, dann steigen wir um auf erneuerbare Energien. Das geht nicht, und das wird auch in Afrika so gesehen. Das kriegen wir in unseren Klimapartnerschaften mit, etwa mit Südafrika. Den Ländern ist klar, dass sie raus müssen aus den Fossilen. Und wir müssen ihnen dabei helfen, den Übergang zu finanzieren und sozial abzufedern.
Sollten Länder in Afrika für die Übergangszeit dabei unterstützt werden, ihre fossilen Energiequellen zu nutzen?
Man muss die jeweilige Situation in den Ländern betrachten. Es gibt Länder, die haben kaum erneuerbare Energien, aber billige Gasvorkommen – da kann man nicht von heute auf morgen auf fossile Energie verzichten. Ich denke, die Aussage, Gas darf auf keinen Fall mehr genutzt werden, ist zu wenig differenziert. Aber die Frage ist dann: Muss das mit Entwicklungsgeldern finanziert werden oder sollte das nicht der Privatsektor übernehmen? Wenn man im Ausnahmefall etwa mit multilateralen Entwicklungsbanken Gasinfrastruktur fördert, dann muss darauf geachtet werden, dass keine „stranded assets“ geschaffen werden – also Investitionen, die irgendwann nichts mehr wert sind, weil fossile Energien nicht mehr verkauft werden können. Neue Gasvorkommen zu erschließen, ist schon nicht mehr mit den Pariser Klimazielen vereinbar. Solche Infrastruktur sollte so gebaut werden, dass sie zum Beispiel auf grünen Wasserstoff umgerüstet werden kann.
Klimafinanzierung und Entwicklungsfinanzierung kommen in den meisten Geberländern in der Regel aus einem Topf. Geht das angesichts sinkender Entwicklungsetats bei vielen Gebern tendenziell zu Lasten der Finanzierung von Armutsbekämpfung und Entwicklung?
Ich hatte dazu neulich ein Gespräch mit der französischen Entwicklungsbank AFD, wie man das in Zukunft organisieren könnte, also ob man zum Beispiel unterschiedliche Zielmarken einführt. Manche sagen ja, es müssen 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für reine Entwicklungshilfe sein und dann noch etwas obendrauf für Klimaschutz. Ich finde das schwierig, weil man das nicht voneinander trennen kann – Stichwort „Co-Benefit“. Zum anderen: Sie weisen darauf hin, dass die Ausgaben für Entwicklung sinken. Die Frage ist: Wo lägen wir heute, wenn wir mit dem Entwicklungsbudget nicht auch globale Ziele verfolgen würden? Ich bin sicher: In Deutschland wären die Ausgaben für Entwicklungspolitik in den vergangenen Jahren nicht so stark gestiegen, wenn wir nicht hätten sagen können, dass das auch für den Klimaschutz, für den Erhalt der Biodiversität und überhaupt für den Schutz der ökologischen Grundlagen ist. Ich denke, wir müssen darauf hinweisen, dass die globalen Aufgaben weiter zunehmen werden und wir deshalb tiefer in die Taschen greifen müssen, um eine menschenfreundliche Zukunft für alle Länder zu ermöglichen.
Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.
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