Entwicklungspolitik nach der Zeitenwende

Katholikentag
Was Bundeskanzler Scholz auf dem Katholikentag zur Entwicklungspolitik gesagt hat, ist so beunruhigend wie bemerkenswert, meint Bernd Ludermann.

Bernd Ludermann ist Chefredakteur von „welt-sichten“.
Mehrfach hat Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Katholikentag großen Applaus erhalten – doch nicht jedes Mal zu Recht. Was er dort zur Entwicklungspolitik gesagt hat, ist so beunruhigend wie bemerkenswert. Denn Scholz hat ungeachtet der ihm eigenen Vagheit Hinweise geliefert, wie sich die „Zeitenwende“ auf dieses Politikfeld auswirkt.

Er hat zum einen dem Kirchenvolk in Aussicht gestellt, der Entwicklungshaushalt werde mehr „Nahrung bekommen“, also zumindest ein bisschen wachsen. Doch der Kontext lässt aufhorchen: Der Bundeskanzler will mit „Demokratien“ im globalen Süden „auf Augenhöhe gemeinsame Perspektiven entwickeln“, um zu verhindern, dass Wladimir Putin sie für eine Allianz gegen den Westen gewinnt. Bewusst habe er, Scholz, deshalb demokratische Länder aus dem Süden – Indien, Indonesien, Südafrika, den Senegal und Argentinien – zum Gipfel der sieben führenden Industriestaaten (G7) im Juli in Deutschland eingeladen.

Ein neuer Wettstreit der Systeme um Einfluss im globalen Süden

Das zeigt: Der Krieg in der Ukraine ist auch der Startschuss für einen neuen Wettstreit der Systeme um Einfluss im globalen Süden. Diesmal soll der „demokratische Westen“ gegen Russland sowie andere Autokratien stehen, besonders China. Nicht zufällig hat Scholz auch auf den Plan der EU verwiesen, Entwicklungsländern eine Alternative zu Investitionen Chinas in ihre Infrastruktur anzubieten. Der Kanzler will anscheinend die Entwicklungszusammenarbeit für den globalen Wettstreit in Dienst nehmen. Sie wird dann noch stärker als bisher geopolitischen Erwägungen unterliegen, ähnlich wie einst im Kalten Krieg.

Wie damals gilt aber: Will man wichtige Staaten auf Distanz zu Russland und China bringen, dann wird man bei deren Regierungsform im Zweifel mindestens ein Auge zudrücken. Zugleich tritt das Ziel weiter zurück, gerade in den ärmsten Ländern zu helfen. Dies sind vielfach fragile Staaten, in denen die Behörden schwach und von Klientelbeziehungen durchsetzt sind. Die Voraussetzungen für Demokratie nach unserem Modell sind dort schlecht, und geopolitisch bedeutsam sind viele auch nicht. Sie können leicht weiter ins Abseits geraten.

Viele Entwicklungsländer sind hochgradig verschuldet

Noch mehr Besorgnis erregt, was der Bundeskanzler zu Verschuldungskrisen im Süden gesagt hat: Diese Gefahr werde von den hohen Krediten aus China ausgelöst. Der Pariser Club – dort handeln große Gläubigerländer von Fall zu Fall mit Staaten in Rückzahlungsschwierigkeiten Schuldenerleichterungen aus – will laut Scholz deshalb auch China nun einbinden.

Doch hier ist nicht China das Hauptproblem, sondern die globale Finanzordnung. Viele Entwicklungsländer sind heute hochgradig bei Fonds oder anderen privaten Investoren verschuldet, zumeist solchen aus dem Westen. Die Staaten der G7 weigern sich weiterhin, auch diese zu Schuldenerleichterungen im Fall von Krisen zu verpflichten. Der Pariser Club ist Teil des Problems: Dort werden nur öffentliche Schulden verhandelt, und das in einem Verfahren, welches das Schuldnerland benachteiligt – schon weil es dem Kartell der Gläubiger allein gegenübersteht.

Notleidende Staaten im Süden haben von Deutschlands G7-Vorsitz wenig zu erwarten

Dass viele Länder des Südens, vor allem solche mit mittlerem Einkommen, vor einer Überschuldungskrise stehen, hat zudem mit der Zins- und Finanzpolitik in Europa, Nordamerika und Japan zu tun. Bei extrem niedrigen Zinsen dort ist viel Kapital auf der Suche nach höheren Renditen gen Süden geflossen; arme Staaten konnten sich billig verschulden und viele mussten das wegen der Corona-Pandemie tun – so wie reiche Länder auch. Jetzt aber erhöhen die Notenbanken im Norden die Zinsen, und das macht in vielen Ländern des Südens die Schuldenlast untragbar. Ein transparentes, faires und alle Gläubiger einbeziehendes Insolvenzverfahren wäre da überfällig.

All das ist dem früheren Finanzminister Olaf Scholz sicher bekannt. Doch entweder will er nichts daran ändern und scheut sich, private Investoren, die im Süden Gewinne gemacht haben, an den nun unvermeidbaren Verlusten zu beteiligen. Oder aber er sieht keine Chance, das international durchzusetzen. Anscheinend haben notleidende Staaten im Süden – ob demokratisch oder nicht – von Deutschlands G7-Vorsitz 2022 wenig zu erwarten.

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