Jubiläum in einer Zeit der Krisen

Hermann Bredehorst
Beim Festakt zum 60-jährigen Jubiläum der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit sprachen auch Adriana Sri Adhiathi von der indonesischen Organisation Tapol, einem Partner von Brot für die Welt, und Salah Ahmed aus dem Nordirak von der Jiyan-Stiftung, einem Partner von Misereor.
Entwicklungszusammenarbeit
Die deutschen Kirchen arbeiten seit 60 Jahren mit der Regierung in der Entwicklungspolitik zusammen. Doch auch das Jubiläum stand im Schatten des Ukraine-Krieges. Gewarnt wurde vor einer Verlagerung von Mitteln aus der Entwicklungszusammenarbeit in die Rüstung.

Es ist ein Festakt in gedrückter Stimmung: Die katholische und die evangelische Kirche sowie das Entwicklungsministerium (BMZ) müssen das 60. Jubiläum ihrer Kooperation in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) im Schatten des Ukraine-Kriegs feiern.

Den Ton setzt Staatssekretär Nils Annen aus dem BMZ mit einer nachdenklichen Rede auf dem Festakt in Berlin am 18. Mai. Die Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele von 2015, sagt er, ist aufgrund eines „Krisengeflechts“ fundamental gefährdet: Schon der Klimawandel und die Corona-Pandemie hätten sie in Frage gestellt, nun komme der Krieg in der Ukraine mit seinen Folgen für die globalen Nahrungsmärkte hinzu. Dabei habe die EZ davor viel erreicht, etwa bei der Verringerung der absoluten Armut. Er hoffe, dass die Kirchen weiter dazu beitrügen, dafür Öffentlichkeit in Deutschland zu schaffen.

Der Krieg in der Ukraine führt laut Annen zu einer neuen Eiszeit in der globalen Zusammenarbeit. Das müsse man aufhalten und die EZ sei dafür das wichtigste Instrument. Deutschland habe hier eine Führungsrolle – wenn Berlin sich bewege und Geld auf den Tisch lege, „bewegen sich andere auch“. Die Kirchen sind dafür als Mitstreiter und auch Antreiber der Regierung gefragt – sie bringen die Stimmen der global Benachteiligten ein, sagt Annen.

Kritik an "Verlagerung von Mitteln aus der EZ in die Rüstung"

Um ihrer Führungsrolle gerecht zu werden, müsse die Bundesregierung dann aber mehr Geld für Entwicklungspolitik bereitstellen, betont Dagmar Pruin, die Präsidentin von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe. „Wir nehmen jetzt eine Verlagerung von Mitteln aus der EZ in die Rüstung wahr“, sagt sie. „Aber wir haben verloren, wenn wir Sicherheit nur über Rüstung denken.“ Der Etat des BMZ müsse steigen – das sieht der Bundeshaushalt für die kommenden Jahre bisher nicht vor.

Ein Beispiel für die Auswirkung des „Krisengeflechts“ auf den globalen Süden nennt Adriana Sri Adhiathi von Tapol; die von Brot für die Welt geförderte Organisation setzt sich für Menschenrechte in Indonesien und besonders in der Provinz West-Papua ein. Die Regierung Indonesiens habe die Pandemie benutzt, um in West-Papua den Spielraum ziviler Organisationen einzuschränken, sagt sie. Es sei auch schwieriger geworden, Geld für Menschenrechts- oder auch Umweltschutz-Kampagnen einzuwerben.

Befürchtung: „Rückfall in alte Rezepte"

Salah Ahmad aus dem Nordirak mahnt, über den Krieg in der Ukraine die in vielen anderen Teilen der Welt nicht aus dem Blick zu verlieren. Er hat mit der von der Jiyan-Stiftung, einem Partner von Misereor, Behandlungszentren für Folteropfer im Irak aufgebaut. Diese Arbeit werde aus dem Ausland nicht nur mit Finanzhilfe gestärkt, sondern vor allem davon, dass Partner – und auch Diplomaten – aus Europa offen hinter der Stiftung stünden; das, sag Ahmad, biete ihr Schutz.

Bernd Bornhorst, der Geschäftsführer von Misereor, plädiert dafür, die Häufung der Krisen auch zum Anlass für grundsätzliche Fragen zu nehmen: „Wir müssen darüber reden, was wir unter Entwicklung verstehen“, sagt er; das westliche Modell sei nicht global tragfähig. Ähnlich wie Dagmar Pruin befrchtet er jetzt einen „Rückfall in alte Rezepte“. Eine Gefahr sei, dass die in Krisen geforderte Nothilfe die eigentliche Aufgabe erschwere: die strukturellen Gründe von Armut und Not anzugehen.

Und wenn die Kirchen mehr Geld für EZ fordern, sind sie mit dem BMZ einig, sagt Bornhorst; sie stünden gemeinsam den Haushaltspolitikern und anderen Ressorts gegenüber. Da ist es ein Symptom für das Problem, dass an der lebhaften Debatte aus Anlass von 60 Jahren Zusammenarbeit der Kirchen mit dem BMZ keine Außen-, Verteidigungs-, Wirtschafts- oder Finanzpolitiker beteiligt waren.

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vielen dank für diese darstellungen.
ich begrüße jede stimme, die für zusammenarbeit plädiert,
statt alte denk-, handlungs-, feindbild-muster zu bemühen.

der sicherste frieden herrscht nicht dort, wo die meisten waffen kursieren.
[gesichert sind allerdings die horrenden einnahmen ihrer hersteller.]

jean ziegler nennt unsere [raubtierkapitalistische]
weltordnung seit langem zu recht "kannibalisch!"
wobei die sog. "entwicklungsländer" im globalen süden
seit jahrhunderten UNS im globalen norden entwickeln,
selbst aber, durch unsere unersättliche, verschwenderische
zerstörerische lebensweise, die hölle auf erden [er]leben.

solange wir diese konstellation nicht GRUNDlegend ändern,
wird "entwicklungshilfe" [die wir seit jahrzehnten betreiben,
ohne dass endlich global zumindest bescheidener wohlstand
eingekehrt wäre] nicht helfen, hungersnöte, vertriebenen-
ströme in millionenhöhe, klima- und andere katastrophen
im globalen süden dauerhaft abzuwenden.

in ihrer jetzigen form wird sie dem globalen norden
weiterhin mehr nutzen bringen als den menschen im süden.

"TEILEN STATT HERRSCHEN!" wäre die devise.
entschuldung, schluss mit waffenlieferungen für stellvertreterkriege,
gerechte handels- und wirtschaftspolitik, FAIRE PREISE für ALLE
rohstoffe und ressourcen, derer der norden sich im süden bedient,
SCHLUSS mit rohstoff- und lebensmittelspekulation, SCHLUSS mit
menschenhandel usf.. es gibt viele hebel, die man ansetzen könnte.

wenn man dies wirklich wollte.

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