Francia Márquez stellt im kolumbianischen Wahlkampf den Präsidentschaftskandidaten Gustavo Petro regelmäßig in den Schatten. Wenn der in Umfragen führende Linke seine Anwärterin für die Vizepräsidentschaft vorstellt, brandet Jubel auf. Die Afro-Kolumbianierin strahlt neben ihm in farbenfroher Kleidung und redet Tacheles: „Wir machen Geschichte in Kolumbien“, sagt sie unter Beifall. „Wir geben den Afro-Kolumbianern, Indigenen, Kleinbauern und Frauen eine Stimme.“
Schon jetzt ist die 40-jährige Umweltaktivistin weit mehr als die Nummer zwei im Wahlkampf für das Linksbündnis „Historischer Pakt“. Márquez verkörpert die Sehnsucht vieler Kolumbianerinnen und Kolumbianer, vor allem der jüngeren Generation, nach einem Politikwechsel. In den sozialen Netzwerken ist ein regelrechter Hype um die Anwältin und Frauenrechtlerin entstanden. Als US-Rapper Snoop Dogg die Kandidatin seinen 71 Millionen Followern in einer Instagram-Story vorstellt, vergrößert sich schlagartig die Fangemeinde von Márquez. „Kolumbiens Kamala Harris“ wird sie mit Verweis auf die erste schwarze Vizepräsidentin der USA in den Medien genannt.
Schon mit 13 Jahren engagierte sie sich bei Protesten gegen ein Staudammprojekt
Dabei hatte sich Petro, früherer Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá und Ex-Guerillero, erst nach einigem Zögern für Márquez entschieden. Doch die Frau mit der zugleich warmen und entschiedenen Ausstrahlung hatte bei den Vorwahlen überraschend nach ihm das beste Ergebnis erreicht. Das Duo will am 29. Mai einen Politikwechsel herbeiführen. Petro führt in Umfragen mit 38 Prozent deutlich vor dem Konservativen Federico Gutiérrez, der auf rund 24 Prozent kommt. Auch aus den Parlamentswahlen im März ging das Linksbündnis gestärkt hervor.
Márquez wurde im Norden der Provinz Cauca in einer afro-kolumbianischen Gemeinschaft geboren. Schon mit 13 Jahren engagierte sie sich bei Protesten gegen ein Staudammprojekt, das den Lebensraum ihres Dorfes bedrohte. Schnell führte sie weitere Proteste gegen illegalen Gold-Abbau an, bei dem chemische Rückstände die Flüsse verschmutzen. Nach einer Ausbildung als Agrartechnikerin leitete sie Kleinbauern in nachhaltiger Landwirtschaft an. Später studierte sie Jura an der Universität.
Marsch von 80 Frauen nach Bogotá
Landesweit bekannt wurde die mutige Frau 2014 durch einen von ihr organisierten 350 Kilometer langen Marsch von 80 Frauen nach Bogotá. Damit protestierten sie gegen illegalen Bergbau und die Umweltzerstörung in der Region La Toma in ihrer Heimatprovinz. Der Protest war erfolgreich: Alle illegalen Bergbauaktivitäten in La Toma mussten eingestellt werden. Márquez erhielt seitdem zahlreiche Morddrohungen von Paramilitärs und überlebte einen Anschlag.
An den historischen Verhandlungen zwischen der Farc-Guerilla und der Regierung, die 2016 in einem Friedensvertrag mündeten, nahm Márquez als Bürgerkriegsopfer teil. Für ihr umweltpolitisches Engagement wurde sie 2018 mit dem Goldman-Preis ausgezeichnet, der als Nobelpreis für Umweltschutz gilt.
Wenn sie im Wahlkampf in den vernachlässigten Regionen an der Pazifikküste oder im Landesinnern auftritt, mit der erhobenen linken Faust als Symbol, wird den Menschen schnell klar: Sie ist eine von ihnen. Márquez weiß, wie sehr die Kleinbauern unter der Vorherrschaft von paramilitärischen Banden, Drogengangs und Korruption in den Behörden leiden. Sie will ihnen das Vertrauen in die Politik zurückgeben. Sie kämpfe im Namen aller Frauen, die nichts haben, sagt Márquez und verspricht zusammen mit Petro, ihre Regierung werde ein Ministerium für Gleichheit einrichten.
Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik
Auch für einen Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik tritt die zweifache Mutter ein, indem sie den Anbau der Kokapflanze legalisieren will. Die bisherige Bekämpfung des Drogenanbaus habe sich als unwirksam erwiesen, argumentiert sie. Deshalb müsse die Nutzung von Kokablättern und Marihuana beispielsweise in der Pharmazie möglich werden. Kolumbien ist weltweit größter Koka-Produzent.
Trotz der Gefahr, in der sie zweifelsohne schwebt, hat Márquez nie darüber nachgedacht, das Land zu verlassen. „Hier ist mein Ursprung“, sagt sie, und verweist auf ihre versklavten Vorfahren, die ihr Leben für die Freiheit des Landes gegeben hätten. „Sei frühester Jungend war mir dieses Erbe Auftrag.“
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