Hacker knacken Server des Roten Kreuzes

REUTERS/Alexander Ermochenko
Das IKRK im Einsatz in der von Rebellen kontrollierten ukrainischen Stadt Donetsk im März 2021.
Schweiz
Bei einem Cyberangriff auf das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Genf haben Hacker Ende letzten Jahres sensible Daten von über 515.000 Menschen erbeutet. Das IKRK fordert, dass das humanitäre Völkerrecht auch für den Cyberraum gelten soll.

Die Daten, zu denen sich die Hacker Zugriff verschafft haben, gehören vor allem zu vermissten Personen und ihren Familien, aber auch zu Inhaftierten und zu Menschen, denen das IKRK angesichts bewaffneter Konflikte, Naturkatastrophen oder auch bei der Migration geholfen habe, wie die humanitäre Organisation mitteilt. Der Angriff erfolgte ab dem 9. November 2021, entdeckt wurde er erst 70 Tage später. Laut IKRK haben die Angreifer einen eigenen Programmcode geschaffen, um in den IKRK-Server einzudringen. 
Die erbeuteten Daten stammen von 60 nationalen Gesellschaften des Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes in der ganzen Welt und waren bei einem externen Unternehmen in der Schweiz gespeichert. Wer hinter dem Angriff steckt, scheint noch unklar.

Allerdings geht das IKRK davon aus, dass es sich nicht um eine Attacke von Kleinkriminellen handelt, die Geld erpressen wollten. Vielmehr sei der Angriff so raffiniert erfolgt, dass ein Staat oder eine staatsnahe Stelle dahinterstecken müsse. 

"Dieser Angriff führt zu Verunsicherung und Angst“

Die Mittel für das Eindringen in die Server „findet man nicht einfach auf dem Markt“, sagte IKRK-Präsident Peter Maurer in einem Interview. Er gehe davon aus, dass Daten kopiert wurden. Seine Organisation sei nicht mit Geldforderungen erpresst worden, und es gebe auch keine Hinweise, dass im Darknet mit entsprechenden Daten gehandelt würde. 

Für Fritz Brugger, Politikwissenschaftler an der ETH Zürich und Direktor des Zentrums für Entwicklung und Zusammenarbeit Nadel, kann die Attacke das Vertrauen in das Rote Kreuz erschüttern. „Das IKRK ist für die Betroffenen eine Quelle der Hoffnung und Verlässlichkeit. Dieser Angriff führt zu Verunsicherung und Angst.“ Je nachdem, welche Informationen die Daten enthielten und in welche Hände sie gelangten, könnte ein Staat sie nutzen, um Anschuldigungen gegen politische Gefangene zu erhärten oder neu vorzubringen. „Auch könnten kriminelle Akteure damit die Familien von politischen Gefangenen unter Druck setzen und allenfalls Geld erpressen.“ Denkbar ist laut dem Politikexperten auch, dass ein Staat die Daten verwendet, um mehr über die Inhaftierten und die Familien eines Kriegsgegners zu erfahren.

Dem Komitee wird gutes Krisenmanagement bescheinigt

Der Zentrale Suchdienst des Roten Kreuzes war 1870 in Basel gegründet worden. Er hat inzwischen das rechtliche Mandat der Genfer Konventionen. Pro Stunde werden durchschnittlich zwei vermisste Personen gefunden und jeden Tag 22 Familien wiedervereinigt, die durch Gewalt oder Naturkatastrophen getrennt wurden. Von Nutzen sein wird der Suchdienst jetzt auch im Krieg in der Ukraine. In Kriegen müssen die Parteien die Daten von gefangenen Soldaten und Zivilisten dem Suchdienst übergeben. 

Immerhin habe das IKRK das Leck sofort nach Entdecken kommuniziert und das Problem gut gemanagt, findet Brugger. So wurden die Menschen, deren Daten gehackt wurden, rasch informiert, sei es per Telefon, Hotline, Brief oder sogar mittels persönlicher Besuche. Auch IT-Fachleute bescheinigen dem IKRK ein gutes Krisenmanagement. 

Noch hat die humanitäre Organisation keine Strafanzeige eingereicht. Auch wenn man wüsste, wer dahintersteckt, würde man kaum zu diesem Mittel greifen. „Wir müssen die Verletzlichkeit unserer (IT)-Systeme eruieren und schleunigst beheben“, machte der IKRK-Direktor Maurer dagegen klar. 

Das IKRK verzichtet grundsätzlich darauf, einzelne Staaten öffentlich zu kritisieren. Maurer möchte jedoch, dass der Schutz der Genfer Konventionen auch für die virtuelle Welt gelten soll. „Ohne Cyberspace können wir unsere Arbeit nicht verrichten“, sagte er. Im Rahmen der UN haben sich die Schweiz und andere Staaten dafür eingesetzt, dass das humanitäre Völkerrecht explizit auch für den Cyberraum gelten soll. Das haben sie bisher nicht durchsetzen können.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2022: Streiten für die Menschenrechte
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