"Die Gleichstellung der Frau muss immer mitgedacht werden“

Entwicklungspolitik im Deutschen Bundestag
Sanae Abdi ist neu im Bundestag und in der SPD-Fraktion zuständig für Entwicklungspolitik. Wie ist ihr erster Eindruck, was hat sie sich vorgenommen? Auftakt einer Interviewreihe mit den entwicklungspolitischen Sprecherinnen und Sprechern der Fraktionen.

Sanae Abdi, Jahrgang 1986, hat 2021 in Köln ein Direktmandat für die SPD errungen. Jetzt ist sie entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion. Davor war die Juristin unter anderem für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit im Controlling und für Wirtschaftskanzleien tätig.
Frau Abdi, Sie sind jetzt drei Monate entwicklungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag. Was hat Sie an der parlamentarischen Arbeit besonders überrascht? Und was hat Sie bisher am meisten beschäftigt? 
Am meisten überrascht hat mich die sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Ampelkoalition mit den Kollegen und Kolleginnen der anderen Fraktionen. Es gibt viel Rücksprache, viel Austausch und wirklich auch die Zielsetzung, die Themen aus dem Koalitionsvertrag gemeinsam voranzubringen. Am meisten beschäftigt haben mich seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges die weitreichenden entwicklungspolitischen Folgen sowohl für die Ukraine als auch weltweit. 

Wie muss die Bundesregierung reagieren, wenn Moskau zum Beispiel auch Hunger als Waffe einsetzt? 
Die Ukraine ist einer der größten Getreidelieferanten weltweit, und damit sind die Folgen des Krieges für den globalen Süden enorm, insbesondere für viele arabische Länder. Wir bemühen uns im Austausch mit Organisationen vor Ort um möglichst konkrete Zahlen und Prognosen. Wir müssen dem Problem der vom Krieg verschärften Nahrungsmittelknappheit entgegenwirken – etwa indem man mögliche andere Exporteure fördert. 

Das Welternährungsprogramm kauft die Hälfte des Getreides für seine humanitäre Hilfe in der Ukraine. Jetzt muss es das zu stark steigenden Preisen auf dem Weltmarkt tun – das muss sich aber schon im nächsten Bundeshaushalt niederschlagen, oder? 
Wir müssen auf jeden Fall die notwendigen Mittel bereitstellen und brauchen ein stärkeres multilaterales Engagement, um die Folgen abmildern zu können. Gleichzeitig sollte es aber auch Ziel sein, dass Länder in der Ernährungssicherung selbstständiger agieren können. Aber gerade bei den am wenigsten entwickelten Ländern gibt es dafür überhaupt nicht die Bedingungen. Ich verstehe sozialdemokratische Entwicklungspolitik vor allem als langfristig denkende Politik. Deswegen dürfen in Zukunft die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit nicht schrumpfen, sondern müssen aufrechterhalten werden und steigen. Auch die Krise der Corona-Pandemie ist ja noch nicht vorbei – mit großen Auswirkungen auf den globalen Süden. Und jetzt der Krieg dazu, der zusätzlich enorme Konsequenzen haben wird. Wir sollten Entwicklungszusammenarbeit auch aus einer sicherheitspolitischen Perspektive betrachten. Und dafür müssen die Mittel ganz klar angehoben werden. 

Sollte der nächste Haushalt aus Ihrer Sicht generell andere Gewichtungen erfahren als unter einem CSU-Minister? Vielleicht auch in Richtung einer feministischen Entwicklungszusammenarbeit? 
Bundesministerin Svenja Schulze hat sehr deutlich gemacht, dass die Gleichstellung der Geschlechter ein essenzielles Element aller entwicklungspolitischen Vorhaben sein muss. Sie muss immer mitgedacht werden, aus der Perspektive von Frauen und natürlich auch für die Perspektive von Frauen. Es geht um Stärkung der Rechte, der Repräsentanz und natürlich auch der Ressourcen von Frauen und Mädchen, um damit auch gesellschaftliche Diversität zu fördern. 

Kann das schon konkret Eingang finden in einen Haushalt? 
Es gibt bereits eine Kennzeichnungspflicht für Projekte, in denen Gender-Fragen adressiert werden. Ich kenne das aus meiner Arbeit bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Das ist aber nur der erste Schritt. Wenn drei außenpolitisch tätige Ressorts in der Bundesregierung mit Frauen besetzt sind, kann das auch dazu dienen, in den Haushalt einzuwirken und dort die Perspektiven zu ändern. Das wird man im ersten Haushaltsentwurf noch nicht direkt sehen, aber wir werden versuchen, an den Stellen, an denen wir die Schwerpunkte setzen können, eine Gewichtung vorzunehmen. Darüber hinaus verfügt das Entwicklungsministerium (BMZ) ja bereits über einen Gender-Aktionsplan, der jetzt erneuert und entsprechend mit finanziellen Mitteln unterlegt werden soll. Ebenso will das Auswärtige Amt einen Aktionsplan für feministische Außenpolitik vorlegen. 

Welchen Einfluss haben Sie aus dem Bundestag heraus auf die Gestaltung von Politik in den Ministerien? 
Es hat mich überrascht, wie intensiv der Austausch ist. Zum BMZ haben wir eine gute Leitung. Wir haben unter anderem kurzfristig zu einer Sondersitzung zum Ukraine-Krieg eingeladen und der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit (AWZ) hat alle nötigen Informationen bekommen, die für uns relevant waren, um die Situation einordnen zu können. Die parlamentarischen Staatssekretäre aus dem BMZ kommen regelmäßig in den Ausschuss, wir tauschen aber auch mit anderen Vertretern der Ampel auf Zuruf Informationen aus. 

Was haben Sie sich selbst als Arbeitsschwerpunkte vorgenommen? 
Wenn wir im Ausschuss über Delegationsreisen sprechen, möchte ich gerne Mittel- und Südamerika in den Fokus nehmen. Es ist bedauerlich, dass unter dem vorherigen Entwicklungsminister Gerd Müller die Verbindungen stark gekappt wurden. Da kann man vielleicht neue Schwerpunkte setzen, auch vor dem klimapolitischen Hintergrund. Persönlich ist für mich das Thema nachhaltige Lieferketten noch lange nicht erledigt und die Frage, wie wir den EU-Vorschlag gut umsetzen. Ein weiterer Schwerpunkt für mich liegt im Bereich Klimaschutz und Umwelt und wie beides sozialverträglich erreicht werden kann. Und in der Haushaltsdebatte wird es jetzt sehr wichtig, dass wir deutlich machen, dass es gerade in Krisenzeiten eine starke und finanziell gut ausgestattete Entwicklungszusammenarbeit braucht. Dafür habe ich in den letzten Wochen in der Fraktion viel gekämpft, und das werde ich auch im Plenum so vertreten. 

Das Gespräch führte Marina Zapf.

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