Als sie in die Büroräume des langjährigen entwicklungspolitischen Sprechers der SPD-Fraktion einzog, wurde Sanae Abdi von Büronachbarn gefragt, ob dies auch politisch ein Vorzeichen sei. Sascha Raabe war nicht mehr zur Wahl angetreten, und die Juso-Kandidatin Abdi, die in Köln ein Direktmandat errungen hat, ist an dem Politikfeld interessiert. Aber wer in den Ausschüssen welche Rolle spielen wird, entscheiden die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen – und das erst, sobald Ministerien und Ämter in der neuen Regierung verteilt sind.
Sicher gehört die 35-Jährige aber zu der Generation, die neuen Eifer für globale Gerechtigkeit mitbringt. In der 206 Mitglieder starken SPD-Fraktion sind von über 100 Neuen 49 Jusos. Die Fraktion ist weiblicher und jünger geworden, das Durchschnittsalter beträgt 45 Jahre, rund fünf Jahre jünger als in der vergangenen Legislaturperiode. Gut die Hälfte ist unter 40 Jahre alt, ein Viertel sogar unter 30. Die Jungsozialisten werden einen linkeren Kurs einfordern als ihre Fraktionsspitze.
Eine diversere und buntere Volksvertretung
Abdi ist von der überparteilichen Initiative BrandNewBundestag für eine diversere und buntere Volksvertretung zu einem der „progressiven Köpfe von morgen“ im Bereich soziale Gerechtigkeit gekürt worden und peilt einen Sitz im Entwicklungsausschuss (AWZ) an. Die in Marokko geborene Juristin will international für besseren Klima- und Umweltschutz und faire Arbeitsbedingungen eintreten und kann dabei an Berufserfahrung anknüpfen: Sie war als Projektmanagerin bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zuständig für nachhaltige Lieferketten in der Textilindustrie.
Gute Chancen für einen Einzug in den AWZ dürfte sie schon deshalb haben, weil alle fünf bisherigen SPD-Vertreter dem Bundestag nicht mehr angehören. Das hat sich auch in den Koalitionsverhandlungen bemerkbar gemacht: Gestandene Entwicklungspolitikerinnen und -politiker waren rar. Im Verhandlungsteam für den Bereich Außen-, Verteidigungs-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik sprachen etwa Vizefraktionschefin Gabriela Heinrich und die Menschenrechtsbeauftragte Bärber Kofler für die Thematik.
Globale Gerechtigkeit gehöre "zur grünen DNA"
Auch beim künftigen Partner Bündnis 90/Die Grünen wird für bisherige Kompetenz Ersatz gesucht. Der entwicklungspolitische Sprecher, Uwe Kekeritz, der Vorsitzende des Unterausschusses Zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung, Ottmar von Holtz, sowie die Menschenrechtsexpertin Margarete Bause sind ausgeschieden. Im Verhandlungsteam vertrat die stellvertretende Fraktionschefin für Internationales, Agnieszka Brugger dieses Bündel von Interessen.
Neuen Elan für künftig vier Sitze im AWZ zu finden, werde aber ein leichtes sein, hieß es aus der Fraktion. Globale Gerechtigkeit gehöre schließlich zur grünen DNA. Intern haben zwei Neulinge den Finger gehoben: Die 27-jährige Deborah Düring, Jugendsprecherin in Hessen, ließ beim Klimagipfel in Glasgow auf Twitter Parteikollegen aus Afrika zu Wort kommen, weil der Süden dort „krass unterrepräsentiert war“. Jan-Niclas Gesenhues (30) kam über die Umweltpolitik und bedrohte Artenvielfalt zu den Grünen, promovierte über die Energiewirtschaft in Mosambik und betreute beruflich Bildungsprojekte des Handwerks mit der GIZ in Südafrika.
Entwicklungspolitische Kontinuität in den Reihen der FDP
Beim künftigen Regierungspartner FDP zeigt sich dagegen entwicklungspolitisch Kontinuität – vorausgesetzt Christoph Hoffmann, Olaf in der Beck und Jens Beeck bleiben dem AWZ treu. Auch Gyde Jensen, zuletzt Vorsitzende im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, ist wiedergewählt – ebenso wie die bisherigen SPD-Vertreter Aydan Özoguz und Frank Schwabe sowie Kai Gehring von den Grünen.
Was die künftige Opposition betrifft, so haben die herben Verluste der Linken auch verhindert, dass versierte Expertinnen wie die entwicklungspolitische Sprecherin Helin Evrim Sommer oder Eva-Maria Schreiber die Ampelregierung kritisch begleiten. Leiter des Arbeitskreises Internationales ist der neu gewählte Ali Al-Dailami, im Jemen geboren, 1990 nach Deutschland geflüchtet und seit 2018 stellvertretender Parteivorsitzender. Weiter dabei ist die bisherige friedenspolitische Sprecherin Kathrin Vogel.
Auch aus den Reihen der Union sind einige in Nord-Süd-Fragen aktive Politiker ausgeschieden, darunter Frank Heinrich, Johannes Selle oder Peter Stein. Weiter engagiert bleiben dürften Fraktionsvize Hermann Gröhe und Markus Grübel, bisher Beauftragter für Religionsfreiheit, der zusammen mit von Holtz im Unterausschuss Krisenprävention den Kontakt zu den Kirchen pflegte.
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