Die Ukraine und Russland zählen zu den fünf wichtigsten Weizenexporteuren, auf beide Länder zusammen entfallen rund 30 Prozent der weltweiten Ausfuhren. Im Moment wirke sich der Krieg nur auf einige Länder aus, die besonders viel Getreide von dort beziehen, sagt Francisco Marí vom evangelischen Hilfswerk Brot für die Welt. „Die meisten Länder, die aus der Ukraine und Russland importieren, müssten gegenwärtig noch genug in den Lagern haben“, sagt der Fachmann für Agrarhandel und Welternährung. Hingegen dürfte es in Krisen- und Konfliktstaaten wie Libanon und Syrien, aber auch in Tunesien jetzt schon zu Lieferengpässen kommen.
Zudem steigen in allen Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens die ohnehin hohen Brotpreise mit dem Krieg weiter. Wenn der Krieg und die Sanktionen über den Erntesommer 2022 anhalten, sagt Marí, muss die Weltgemeinschaft insbesondere im Welternährungsausschuss „Antworten finden, wie die ständige Krisenanfälligkeit infolge von Preissteigerungen oder Ernteausfällen abgebaut werden kann“. Das werde nur funktionieren, indem in bislang stark importabhängigen Staaten die Eigenversorgung gestärkt werde.
Ägypten deckt seinen Weizenimport zu 80 Prozent aus Russland und der Ukraine
Vor allem die Länder Nordafrikas sind abhängig von Weizenimporten aus Russland und der Ukraine. Ägypten etwa deckt seinen Bedarf zu 80 Prozent von dort. In Afrika südlich der Sahara hingegen spielen laut Marí Importe aus der Ukraine kaum eine Rolle, wohl aber aus Russland. „In Ländern mit wachsender Mittelschicht wie Kenia und Nigeria wird Weizen zunehmend wichtig. In Kenia etwa ist das Standardgericht Ugali, ein fester Brei aus Maismehl. Aber immer Leute wollen jetzt auch Toastbrot und Kekse.“ Kenia importiert 80 Prozent seines Weizenbedarfs, vor allem aus Russland. Die Ukraine exportiert außer Weizen zudem auch Mais und Sonnenblumenöl. Das ist etwa für Indien sehr wichtig, das bei Weizen und Reis mittlerweile wieder Selbstversorger ist.
Das Hauptproblem derzeit ist der Preis, sagt Marí: Jetzt würden die Verträge für die nächsten Lieferungen geschlossen und müssten die Rechnungen für künftige Ernten beglichen werden. „An der Weizenbörse in Chicago ist der Teufel los: Da wird wild spekuliert, auch von denen, die gar nicht wirklich Weizen kaufen, sondern darauf wetten, dass die Preise steigen, wenn der Krieg andauert und der Boykott gegen Russland ausgeweitet wird. Seit Jahren fordern wir, dass die Spekulation mit Grundnahrungsmitteln stärker reguliert wird.“
Ein Drittel der europäischen Weizenernte wird verfüttert
Die Tonne Weizen kostet Marí zufolge derzeit rund 390 US-Dollar, fast doppelt so viel wie in normalen Zeiten; das habe es nicht einmal während der Ernährungskrise in den Jahren 2006/2007 gegeben. Das stelle ein importabhängiges Land wie Ägypten vor große Probleme. „Sie können den Preisanstieg nicht einfach an die Bevölkerung weitergeben“, sagt Marí. Der übliche Weg bestehe darin, Importzölle zu senken, die Mehrwertsteuer auf Brot zu streichen und den Brotpreis stärker zu subventionieren und dann – wie im Senegal seit Jahresbeginn – die Bäcker auf Festpreise zu verpflichten.
Mit Blick auf die Versorgung mit Weizen im Laufe des Jahres sagt Marí, es bleibe abzuwarten, ob etwa Argentinien und die USA weniger Weizen für Biosprit und Futter und mehr Brotweizen auf den Markt bringen und damit Einbußen infolge des Krieges wettmachen können. Und Europa? Fast ein Drittel der europäischen Weizenernte wird laut Marí verfüttert und buchstäblich verheizt. Der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Martin Häusling, fordert deshalb, als Reaktion auf den Krieg das Verheizen und das Verfüttern zu reduzieren und stattdessen Weizen aus den Reserven zu verkaufen, um den Preis auf dem Weltmarkt zu stabilisieren und die erforderlichen Mengen bereitzustellen.
Lokale Produktion stärken, statt Krokodilstränen vergießen
Zudem könne geprüft werden, ob Russland gewissermaßen aus humanitären Gründen am Boykott vorbei Weizen verkaufen darf. Das Geld würde auf ein Sperrkonto gezahlt, so dass die Regierung keine Waffen damit kaufen könne. Russland exportiere 30 Millionen Tonnen Weizen jährlich. „Es kann nicht sein, dass das in den Lagern verkommt“, sagt Marí.
Langfristig, sagt Marí, müssen Länder im globalen Süden so wie Indien nach der letzten Ernährungskrise unabhängiger von Importen werden und die öffentliche Lagerhaltung wieder hochfahren. Die jetzige Krise könnte insofern wieder einmal eine Chance bieten – so wie der Ernährungskrise vor 15 Jahren: Bauern etwa in Westafrika, die Hirse anbauen, könnten angesichts der hohen Preise jetzt leichter verkaufen und sich Märkte zurückerobern. „Das haben wir 2006/2007 erlebt: Bauern haben damals Land gepachtet in der Hoffnung, mehr zu verkaufen.“ Die Entwicklungszusammenarbeit müsse Ländern dabei helfen, die lokale Produktion für lokale Märkte zu stärken.
Das allerdings passt den großen Agrarexporteuren nicht. „Russland, die Ukraine, die USA, Kanada und die EU verhindern in der Welthandelsorganisation und der Welternährungsorganisation immer wieder Initiativen, Länder unabhängiger von Importen zu machen“, sagt Marí. Das räche sich jetzt, und insofern „weinen die USA und die EU jetzt auch einige Krokodilstränen“. Sobald Länder wie der Senegal Initiativen für mehr Agrarökologie vorbringen, sagt Marí, merken die USA sofort an, das dürfe die Interessen der Agrarexporteure nicht verletzen – und die russische Regierung ist immer einträchtig dabei.
Ägypten
Ja, und Ägypten hat heute verfügt, dass ab morgen keine agrarischen Produkte wie Linsen, Bohnen etc. mehr exportiert werden. Das soll jetzt mal für die nächsten drei Monate gelten. Da wird offenbar der Speisenplan drastisch umgestellt.
Neuen Kommentar hinzufügen