Berlin erwägt Exportstopp für hochgefährliche Pestizide

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Spritzen aus der Luft: Ein Landarbeiter in Brasilien füllt Pestizide in eine Drohne. In Lateinamerika werden besonders viele Pestizide eingesetzt.
Umwelt
Die Ampelkoalition will ernst machen mit einem Exportverbot für hochgiftige Pestizide. Es wäre eine Abkehr von der Praxis der Vorgängerregierung und ein wichtiges Signal, sagen Fachleute. 

Entwicklungsministerin Svenja Schulze hat in einem Interview angekündigt, die neue Bundesregierung wolle hochgiftige Ackergifte, die hierzulande bereits aus dem Verkehr gezogen sind, nicht mehr zum Export zulassen. „Wir sollten in Deutschland mit gutem und glaubwürdigem Beispiel vorangehen, was den Schutz von Natur und Gesundheit betrifft“, sagte die SPD-Politikerin der „Rheinischen Post“. 

In der Großen Koalition gab es gegen einen solchen Schritt noch Widerstände – es hieß, ein Wegfall deutscher Exporte würde auf dem Weltmarkt keinen großen Unterschied machen. Dem widersprechen allerdings Experten wie Peter Clausing, Toxikologe und Mitglied im Umweltverband Pestizid Aktionsnetzwerk (PAN). Die jährlichen Statistiken des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zeigten, dass Hunderte und Tausende Tonnen hochgefährlicher Wirkstoffe ohne EU-Zulassung exportiert würden. „Das ist schon relevant.“

Auch die Schweiz und Frankreich haben sich für Verbote ausgesprochen

Betroffen wären vor allem die Chemiekonzerne Bayer Crop Science und BASF, die laut dem von Umweltorganisationen im vergangenen Jahr veröffentlichten Pesti­zid­atlas mit hochgefährlichen Wirkstoffen knapp 37 beziehungsweise 25 Prozent ihres Umsatzes mit Pestiziden machen. Ebenfalls unter den fünf größten Produzenten der Welt ist die Schweizer Syngenta-Gruppe. Hauptabnehmer von Wirkstoffen, die als hochgefährlich gelten, sind Brasilien und die USA. Auf dem weltgrößten Markt China dominieren offenbar inländische Hersteller.

In Europa haben bislang nur die Schweiz und Frankreich für Verbote ausgesprochen. Aus den Erfahrungen lasse sich lernen, welche Schlupflöcher Deutschland von vorneherein schließen sollte, mahnt Clausing. So habe der Koalitionsvertrag für ein Verbot „im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten“ bereits die Tür geöffnet. Nun könne der Agrarminister über das Pflanzenschutzgesetz eine Verordnung erlassen; laut einem wissenschaftlichen Gutachten des Bundestags sei das möglich, wenn Gesundheitsrisiken in Drittländern drohten. PAN würde jedoch ein Gesetz vorziehen, sagt Clausing, weil das von einer künftigen Regierung schwerer wieder zu kippen wäre.

Europa hat im Jahr 2019 für knapp 16 Milliarden US-Dollar Pestizide exportiert

Es habe sich auch gezeigt, dass sich Hersteller Exportverboten mittels gewisser Verfahrenstricks bei der Einstufung von Substanzen in diese Kategorie durch das zuständige EU-Gremium entziehen, erläutert Clausing weiter. Und in Frankreich, wo seit diesem Januar Pflanzenschutzmittel ohne EU-Zulassung nicht mehr produziert und exportiert werden dürfen, erfasse das Gesetz nur Präparate, nicht aber einzelne Wirkstoffe, die Hersteller weiter handeln könnten. Auch das sei zu beachten. 

Europa hat im Jahr 2019 nach Angaben im Pestizidatlas für knapp 16 Milliarden US-Dollar Pestizide exportiert, darunter hochgefährliche Stoffe. In der EU haben Dutzende synthetische Wirkstoffe gegen Pflanzenschädlinge aufgrund ihrer schädlichen Wirkung auf Umwelt und Gesundheit die Zulassung verloren, werden aber in Drittstaaten weiter verkauft – darunter Atrazin (Syngenta), Trichlorfon (Bayer) und Fipronil (BASF). 

Das Pestizid Aktionsnetzwerk begrüßt ein Exportverbot 

Akuten Vergiftungen durch Pestizide sind fast ausschließlich Menschen in Entwicklungsländern ausgesetzt, wo Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz oft unzureichend sind. Den von der Industrie in die Welt gesetzten Begriff des sicheren Umgangs (safe use) mit gefährlichen Spritzmitteln hält der Toxikologe Clausing daher für illusorisch. Eine PAN-Studie kam 2020 zu dem Ergebnis, dass rund 385 Millionen Menschen jährlich unbeabsichtigt Vergiftungen durch Pestizide erleiden; die meisten in Süd-und Südostasien sowie Ostafrika. Etwa 11.000 davon verliefen tödlich, besonders häufig in Indien. Ausgehend von 860 Millionen in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen seien somit 44 Prozent Vergiftungen ausgesetzt. Langfristige Schäden wie Krebserkrankungen oder Missbildungen sind im wahren Ausmaß gar nicht erfasst.

Deshalb begrüßt das PAN-Netzwerk den neuen politischen Willen in Berlin. Wenn nach Frankreich auch Deutschland für Verbote eintrete, seien das zwei Schwergewichte, die den Weg zu einer europäischen Lösung auf Grundlage der Chemikalienstrategie der EU-Kommission ebnen könnten, sagt Clausing. Zudem steige die Motivation für ein globales Verbot in einem internationalen Abkommen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO und die FAO haben dafür bereits gemeinsam eine Definition von hochgiftigen Pestiziden – Highly Hazardous Pesticides, HHPs – ausgearbeitet.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2022: Streiten für die Menschenrechte
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