Anders als beim deutschen Gesetz soll die gesamte Lieferkette überwacht und eine zivilrechtliche Haftung eingeführt werden. Außerdem werden grundsätzlich mehr Unternehmen als in Deutschland erfasst, weil das Gesetz schon für Unternehmen ab 500 Beschäftigte gelten soll, im Risikosektor wie der Textilbranche oder der Rohstoffgewinnung sogar ab 250. Das deutsche Gesetz, das nächstes Jahr in Kraft tritt, gilt erst für Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern. Zudem sind Unternehmen verpflichtet, die Klimafolgen ihrer Betriebe zu analysieren und ihre Strategien an den grünen Wandel anzupassen.
Was halten Sie von dem Entwurf?
Ich glaube, das Gesetz ist ein Meilenstein. Es kann die Umsetzung von weltweiten Menschenrechten entscheidend voranbringen. Ich sehe viele wichtige Punkte darin, die wir auch als Europäisches Parlament und als Grüne immer wieder gefordert haben. Besonders die Vorgaben für eine Haftungsklausel sind wichtig, damit Opfer leichteren Zugang zu Gerichten haben und auf Schadensersatz klagen können. Außerdem ist es sehr gut, dass die Kommission die umweltbezogene Sorgfaltspflicht aufgenommen hat. Das deutsche Gesetz ist dabei etwas limitiert, denn es nimmt nur auf drei internationale Konventionen Bezug, nämlich das Minamata-Übereinkommen zur Eindämmung von Quecksilber-Emissionen, das Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe und das Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle.,
Wo würden Sie das Gesetz noch strenger machen? Immerhin sind 99 Prozent der Unternehmen in Europa aufgrund der Mitarbeiterzahl nicht betroffen…
Einer der größten Mängel ist für mich, dass kleine und mittlere Unternehmen pauschal ausgeschlossen sind. Wir im Europaparlament hatten gefordert, dass die kleinen und mittleren Unternehmen, die in Risikosektoren tätig und an der Börse gelistet sind, ebenfalls Sorgfaltsprüfungen durchführen müssen. Denn eigentlich sollte nicht die Zahl der Beschäftigten entscheidend sein, sondern das Geschäftsfeld eines Unternehmens. Wenn zum Beispiel ein kleines Unternehmen Rohstoffe bezieht, die im Kongo abgebaut werden, kann es auch Probleme in der Lieferkette geben. Da kleine und mittlere Unternehmen allerdings von der Richtlinie ausgeschlossen sind, sind sie nicht verpflichtet diese Probleme aufzudecken oder zu beheben.
Problematisch ist auch, dass Unternehmen aus Drittstaaten, die in der EU tätig sind, nicht die gleichen Regeln befolgen müssen, wie die europäischen. Desweiteren sind Klimaauflagen nicht bei den eigentlichen Sorgfaltspflichten eingeschlossen, sondern eine separate Pflicht, die nicht unter den Haftungsmechanismus fällt. Es gibt also noch ein paar kleinere Schwachstellen, aber im Großen und Ganzen ist es ein guter Vorschlag, gerade wenn man weiß, wie viel Lobbyismus es im Vorfeld gab, um das Gesetz zu verwässern und zum Beispiel die Haftungspflicht rauszunehmen.
Welche Hürden muss das Gesetz nun noch nehmen?
Im Europäischen Parlament folgt der übliche Gesetzgebungsprozess – die Fraktionen können Änderungsanträge stellen, die dann verhandelt und abgestimmt werden. Das dauert ein knappes Jahr. Gleichzeitig legen die Mitgliedsstaaten im Rat ihren gemeinsamen Standpunkt fest. Wenn Rat und Parlament jeweils ihre Position gefunden haben, geht das Ganze in den Trilog, bei dem Parlament und Rat zusammensitzen. Die Kommission ist dabei und hilft Kompromisse zu schmieden. Am Ende müssen Rat und Parlament einen gemeinsamen Standpunkt finden und dann tritt das Gesetz – eventuell nach einer Übergangszeit – in Kraft.
Wie positionieren sich die einzelnen Parlamentsfraktionen zu dem Gesetz?
Das Europaparlament hat sich vergangenes Jahr in seiner gesamten Breite – auch mit den Fraktionen der Christdemokraten (EPP) und der Liberalen (Renew) zusammen – sehr weitreichend zum europäischen Lieferkettengesetz positioniert. Dennoch waren in den Verhandlungen zu dieser Resolution – vor allem für die Fraktionen von Renew und der EPP – bestimmte Dinge besonders schwierig, etwa die Haftungsfrage oder die Unternehmensgröße. Die progressive Seite wie die Grünen wollte ein möglichst lückenloses und effektives Gesetz. Anhand dieser Konfliktlinien werden die Verhandlungen wieder laufen. Aber ich glaube, es hilft, dass das Europaparlament schon mal gemeinsam fraktionsübergreifend eine starke Position hatte. Darauf kann man sich immer wieder beziehen.
Was werden die strittigsten Punkte in den Verhandlungen sein?
Es wird darum gehen, wie streng oder wie lax das Gesetz wird. Und das kann man anhand verschiedener Parameter messen: an Haftung oder Nichthaftung, am Anwendungsbereich, also für wen und ab wann die Pflichten gelten, an Klimaauflagen, ob wirklich die gesamte Lieferkette überwacht werden soll oder nur Zulieferer, mit denen bereits eine etablierte Geschäftsbeziehung besteht. Das sind die Knackpunkte.
In Deutschland haben ja Wirtschaftsverbänden und Lobbyisten erfolgreich ihre Anliegen durchgesetzt und das Gesetz dadurch entschärft. Befürchten Sie das auch beim EU-Gesetz?
Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, grundsätzlich geht das Parlament oft weiter als der Rat. So ging auch die Resolution, die wir letztes Jahr verabschiedet hatten, weiter als der jetzige Entwurf. Aber wie das Gesetz am Ende aussieht, hängt natürlich nicht nur vom Parlament ab. Ich kann nur sagen, dass wir Grüne und ich persönlich mich dafür einsetzen werde, es zu verschärfen und einige dieser Schlupflöcher noch auszuräumen.
Das Gespräch führte Melanie Kräuter.
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