Alle zwei Wochen neue Modekollektionen, die neuesten T-Shirts und Tops für wenige Euro, und die Hersteller versprechen trotzdem Nachhaltigkeit, weil sie Kleidung aus recycelten Materialien anbieten: So funktioniert Fast Fashion. Kritiker nennen die schnelllebige Mode auch Wegwerfmode. Denn so schnell wie die Kleidungsstücke gekauft sind, landen sie im Müll – oder werden nicht getragen.
Im Schnitt kauft jeder und jede Deutsche pro Jahr 60 Kleidungsstücke, gleichzeitig hängt ein Drittel unserer Garderobe für mindestens ein Jahr ungetragen im Schrank. Die weltweite Produktion von Kleidungsstücken hat sich zwischen den Jahren 2000, als die Fast Fashion aufkam, und 2014 verdoppelt. 2014 wurden laut Greenpeace 100 Milliarden Kleidungsstücke produziert, 2019 waren es schon 183 Milliarden und für das Jahr 2030 werden mehr als 200 Milliarden prognostiziert. China ist mit Abstand der größte Kleidungsproduzent vor Bangladesch, Vietnam und Indien.
Ob man das Kleidungsstück nach dem Kauf nur drei Mal oder drei Jahre trägt: Es muss erst mal produziert werden. Das ist eine ziemlich schmutzige, umweltbelastende und gesundheitsschädliche Angelegenheit, vor allem für die Arbeiterinnen und Arbeiter im globalen Süden. Abgesehen von vielfältigen sozialen Problemen in den Fabriken – geringe Löhne, Kinderarbeit oder sexuelle Belästigung – setzen sie beim Umgang mit gefährlichen Chemikalien auch ihre Gesundheit aufs Spiel.
Chemie schon beim Anbau
Die Textilproduktion beginnt mit der Herstellung natürlicher oder synthetischer Fasern. Bei Baumwolle sind China und Indien die größten Produzenten, und es wird schon beim Anbau Chemie eingesetzt: Zwischen 10 und 20 Prozent aller Pestizide weltweit werden auf konventionellen Baumwollfeldern versprüht, die nur 2,5 Prozent der weltweiten Agrarfläche ausmachen. Auch der Wasserverbrauch ist riesig. Biobaumwolle schneidet bei der Ökobilanz viel besser ab, doch noch ist ihr Anteil an der Gesamtproduktion gering. Die meisten Textilien bestehen aus Polyester, einer Chemiefaser, die aus Erdöl gewonnen wird. Auch hier ist China der größte Produzent.
In den weiteren Produktionsschritten kommen dann vielerlei Chemikalien zum Einsatz. Bevor die Fasern zu Garn gesponnen werden, werden sie unter anderem gewaschen. Je nachdem, ob die Faser vor dem Spinnen zu glatt oder zu rau ist, werden Haft- oder Gleitmittel eingesetzt. Aus dem Garn werden die Stoffbahnen gewebt, die mit sogenannten Alkylphenolethoxylaten (APEO), die teils als giftig gelten, vorbehandelt werden. Sie sollen den Stoff widerstandsfähiger machen und dafür sorgen, dass etwa Farben gut vom Material aufgenommen werden. Bei den Nassprozessen, also dem Bleichen und Färben, werden die giftigsten Chemikalien verwendet, zum Beispiel Peroxide und synthetische Azofarbstoffe. Einige davon können Substanzen abspalten, die im Verdacht stehen, bei Hautkontakt Krebs auszulösen. Nach dem Färben werden die Textilien eventuell noch bedruckt, auch das funktioniert mit Chemikalien. Gerade für die Nassprozesse sind Unmengen Wasser nötig, das später – wenn es nicht gereinigt wird – als kontaminiertes Abwasser in den umliegenden Gewässern und Flüssen landet.
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Laut einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik verbraucht eine durchschnittlich große Textilfabrik etwa 1,6 Millionen Liter Wasser täglich, um acht Tonnen Stoff zu erzeugen. Je erzeugter Tonne fertiger Kleidung entstehen 200 bis 350 Kubikmeter chemisch verseuchter Abwässer. Allein für die Produktion einer einzigen Jeans werden laut Angaben des UN-Umweltprogramms mehr als 7500 Liter Wasser benötigt und 2700 Liter für ein T-Shirt – so viel trinkt ein Mensch in zweieinhalb Jahren. Die Modeindustrie ist laut dem „New Textiles Economy Report“ der Ellen-McArthur-Stiftung für ein Fünftel der globalen Industrieabwässer verantwortlich.
Knitterfrei, schwer entflammbar – und teilweise krebserzeugend
Im nächsten Schritt der Textilproduktionskette werden die Stoffe veredelt. Hier werden Chemikalien aufgetragen, die zum Beispiel für ein knitterfreies Hemd sorgen (Formaldehyd), Textilien schwer entflammbar machen (bromierte Flammschutzmittel) oder sie wasser- und schmutzabweisend imprägnieren sollen (Perfluoride). Die Umweltschutzorganisation Greenpeace spricht von 3500 verschiedenen Chemikalien, die bei den Nassprozessen und der chemischen Behandlung von Garnen und Stoffen eingesetzt werden. Etwa zehn Prozent davon gelten als nachweislich gesundheitsschädlich, sie können zum Beispiel Krebs verursachen oder den Hormonhaushalt stören und sind deswegen in der Europäischen Union größtenteils verboten.
Auch wenn wir Kunden die Kleidung dann waschen, wird in Form von Mikroplastik noch Gift ins Wasser gespült. Da 60 bis 70 Prozent der Kleidung aus synthetischen Fasern wie Polyester sind, landen laut Schätzungen jedes Jahr durchs Waschen 500.000 Tonnen Mikroplastik in den Ozeanen.
Detox-Kampagne für ungiftige Mode
Doch es bewegt sich etwas in der Branche. Diese Bilanz zieht Greenpeace, das vor zehn Jahren die Kampagne „Detox my fashion“ (Entgifte meine Kleidung) gestartet hat. 80 internationale Textilhersteller und Zulieferer hatten sich daraufhin verpflichtet, bis 2020 in ihren Lieferketten ohne gefährliche Chemikalien auszukommen und Transparenz über nachgewiesene giftige Substanzen in den Abwässern ihrer Fabriken herzustellen. Außerdem beteuerten sie, ab 2014 die Probleme Überproduktion und Müll, also weggeworfene Kleidung, anzugehen sowie Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus ihrer Kleidung zu übernehmen. 29 Markenfirmen dieser Detox-Gruppe haben sich darüber hinaus verpflichtet, Fortschrittsberichte für die gesamte Lieferkette zu erstellen. Dazu gehören unter anderem die Sportkleidungshersteller Puma, Nike und Adidas, die Modemarken H&M, C&A, Benetton und Levis, Luxusmarken wie Valentino und Burberry, Outdoormarken wie Vaude und Paramo sowie Discounter und Einzelhändler wie Lidl, Aldi, Rewe und Tchibo.
Nach zehn Jahren nun vermeldet Greenpeace Erfolge, zumindest was die Entfernung von giftigen Chemikalien aus den Lieferketten angeht: „Zum Start der Kampagne wurde Greenpeace verlacht, von Unternehmen, von Politikern, von Fachleuten“, erinnert sich Viola Wohlgemuth, Pharmazeutin und mitverantwortlich für die Detox-Kampagne der Umweltschutzorganisation. „Doch die Kampagne hat gezeigt, dass mit genug Druck und Willen der Unternehmen Veränderung möglich ist.“ Wer die Lieferketten unter Kontrolle habe, könne alles verändern.
Gefährliche Chemikalien verbannt – Schwermetalle aber nicht
Um zu „entgiften“, hätten die Firmen zuerst eine Liste der giftigsten Chemikalien erstellt, die es zu verbannen galt. Zudem haben 18 der beteiligten Unternehmen die ZDHC-Gruppe (Zero Discharge of Hazardous Chemicals) gegründet, die seit 2011 gemeinsam am Ziel arbeitet, keinerlei giftige Chemikalien in der Textilproduktion mehr freizusetzen.
Greenpeace hat 2017 und 2021 mit Unternehmensbefragungen sowie Analysen öffentlicher Daten geprüft, inwieweit die Selbstverpflichtung eingehalten wurde. Ergebnis – auch aus den Abwasserdaten der Nassverarbeitungsbetriebe: Vielen der 29 Firmen, die die gesamte Lieferkette kontrollieren können, sei es gelungen, gefährliche Chemikalien aus mehr als 90 Prozent ihrer Produktionsstätten vollständig zu eliminieren. „Es kann also niemand mehr sagen, es geht nicht“, sagt Wohlgemuth. Dennoch täten sich die Firmen schwer damit, auch die Schwermetalle komplett aus den Abwässern und aus der Produktion zu beseitigen, die ebenfalls gesundheitsschädlich sind. Die Intransparenz kritisiert Wohlgemuth ebenfalls: Verbraucher könnten die Abwasseruntersuchungsberichte und weitere Daten in der Regel nicht einsehen, da die Plattform ZDHC nicht alle Daten frei verfügbar macht. Das müsse sich ändern.
Beim Chemikalienmanagement habe Greenpeace den Stein ins Rollen gebracht und einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Allerdings: Die 80 Firmen aus aller Welt, die sich seit der Detox-Kampagne zum Entgiften verpflichtet haben, repräsentieren gerade mal 15 Prozent der weltweiten Modeindustrie. Doch dadurch, dass Greenpeace sich gezielt die wichtigsten Konzerne in den jeweiligen Sektoren rausgesucht habe, seien jetzt auch andere in Zugzwang, glaubt Wohlgemuth.
Die Chemieindustrie arbeitet an Innovationen
Es sei gar nicht so einfach, in der Textilproduktion die mehr als 200 giftigen Chemikalien, die auf der MRSL-Liste (Manufacturing Restricted Substances List) stehen – einer für alle ZDHC-Mitglieder verbindlichen Liste verbotener Substanzen –, schrittweise durch unbedenkliche Alternativen zu ersetzen. Das gibt die ZDHC-Gruppe offen zu, denn schließlich erfüllen ja alle einen bestimmten Zweck. „Die Beseitigung einiger dieser Chemikalien wäre so, als würde man aus einer Laune heraus beschließen, das Backpulver in seinem Lieblingskeksrezept wegzulassen“, schreibt Frank Michel, Geschäftsführer des ZDHC und Autor des Buches „Detoxing the Fashion Industry“. „Wahrscheinlich würde das Endergebnis dann nicht den Erwartungen entsprechen.“
Aber auch die Chemieindustrie hat den Entgiftungstrend in der Modeindustrie erkannt und arbeitet an Innovationen. So bietet zum Beispiel die amerikanische Firma Huntsman eine wasserabweisende Beschichtung aus Pflanzenfasern an, die den ZDHC-Kriterien entspricht, ebenso wie die deutsche Rudolf Group mit ihrem Bionic Finish. Auch andere mechanische oder physikalische Lösungen können den Einsatz von gefährlichen Chemikalien reduzieren. So lässt sich zum Beispiel mit Laser die obere Schicht des Jeansstoffes abtragen und mit deutlich weniger Chemie als vorher der getragene „Shabby“-Look schaffen, schreibt Frank Michel.
Nachholbedarf in punkto Überproduktion
Doch die Erfolge beim Entgiften der Textilproduktion würden durch Fast Fashion wieder aufgefressen, kritisiert Viola Wohlgemuth von Greenpeace. „Wir werden solche Mengen an Klamotten nicht nachhaltig herstellen können.“ Bei der zweiten Selbstverpflichtung, der Überproduktion und der Verantwortung für den Kleidungskreislauf, sieht Greenpeace daher bei allen fast „Detox-Unternehmen“ noch großen Nachholbedarf. Weltweit wird nur ein Prozent der gebrauchten Textilien recycelt.
Immerhin: Der schwedische Modekonzern H&M gibt auf seiner Webseite unter dem Punkt Nachhaltigkeit Tipps, wie man Kleidung repariert, verschönert oder umgestaltet, um länger daran Freude zu haben. Auch wird bei allen Teilen der Kollektion „Circular Fashion“ beschrieben, dass sie aus recyceltem Plastik oder Zellulose-Acetat oder durch Textil-zu-Textil-Recycling, also aus wiederverwendeten Stoffen, hergestellt wurden.
Gerade Mode aus recyceltem Plastik wird inzwischen von vielen Modekonzernen als nachhaltig angepriesen. Doch das ist falsch, sagt Wohlgemuth. Denn von allen Arten Plastikmüll könnten die PET-Flaschen, aus denen die Mode gemacht wird, am besten wiederverwertet werden. Würden daraus aber Fasern hergestellt, die mit anderen Typen von Fasern zusammen als Mischgewebe zu Kleidung werden, lande sie nach ihrer Nutzung wieder auf Deponien oder werde verbrannt. Denn Mischgewebe könne nicht recycelt werden. Um all diese Probleme anzugehen, müsse die Modeindustrie ihr Geschäft entschleunigen und schlichtweg weniger, dafür höherwertigere Kleidung produzieren, die langlebig, reparabel und vielfach verwendbar ist, heißt es im Detox-Report. Hin also zu Slow Fashion. So stellt sich Wohlgemuth vor, dass man in Zukunft Kleidung lieber ausleiht als kauft. „Wir brauchen einen Reparaturladen, wir brauchen einen Secondhandladen, wir brauchen Miet- und Verleihmodelle. Und die Läden müssen in der Innenstadt neben den Läden mit Fast Fashion stehen und genauso attraktiv sein“, sagt die Greenpeace-Expertin.
Auch die Politik will die von der Modeindustrie verursachten Probleme angehen: Zum Beispiel mit der EU-Textilstrategie, die Anfang 2022 von der EU-Kommission verabschiedet werden soll. Sie ist Teil des „Green Deal“ und soll die Textilproduktion in eine klimaneutrale Kreislaufwirtschaft transformieren. Hauptpunkte sind dabei Abfallvermeidung, besseres Recycling und Chemikalienmanagement. Gerade in Bezug auf giftige Chemikalien gibt es zwar schon die EU-Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorization and Restriction of Chemicals), die dafür sorgen soll, dass keine „giftigen“ Kleidungsstücke in die EU importiert werden, und internationale Abkommen wie den Strategischen Ansatz zur internationalen Regulierung von Chemikalien (SAICM). Das Problem ist, dass sie entweder wie SAICM nicht rechtlich bindend sind oder wie REACH in den Ländern, in denen die Textilien mit giftigen Chemikalien produziert werden, nicht gelten oder missachtet werden.
Die Macht der Käuferinnen und Käufer
Dennoch haben auch wir als Konsumenten eine gewisse Macht: Zwar sagen die Kleidungsetiketten nichts darüber, welche giftigen Chemikalien in der Produktion eingesetzt wurden, aber es gibt verschiedene Siegel, die bescheinigen, dass kein Gift verwendet wurde. Besonders strikt sind zum Beispiel das GOTS-Siegel (Global Organic Textile Standard) oder IVN Best (Internationaler Verband der Naturtextilwirtschaft). Beide Organisationen prüfen die gesamte textile Wertschöpfungskette vom Baumwollanbau bis zum fertigen Produkt, allerdings nur von Naturtextilien. Das Unternehmen Bluesign zertifiziert hingegen auch Kunstfasern, die für Outdoor-Kleidung verwendet werden.
Die schwächsten Anforderungen stellt laut Greenpeace der weitverbreitete Öko-Tex-Standard 100 (Textiles Vertrauen), er ist weniger streng als andere Siegel der Öko-Tex-Gruppe. Denn hier wird nur überprüft, ob sich Schadstoffrückstände im Endprodukt finden. Das ist zwar gut für uns als Verbraucher, ändert aber nichts an der möglicherweise giftigen Herstellung der Kleidung mit all ihren Folgen für Umwelt und Gesundheit. Am nachhaltigsten ist es also, im Secondhandladen zu shoppen, eine Kleidertauschparty zu besuchen oder ungetragene Kleidung im Schrank neu zu entdecken.
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