Eine Gemeinde erkämpft sich Frieden

picture alliance / Demotix
Agustin Vera Ramirez, ein Bürger von Santa Maria Ostula, berichtet 2015 seinen Mitbürgern über eine bewaffnete Attacke des Drogenkartells, bei der mehrere Zivilisten, darunter auch ein Kind, getötet wurden.
Mexiko
Der Fotograf Heriberto Paredes begleitet seit mehr als zehn Jahren das Leben der indigenen Nahua-Dorfgemeinde Santa María Ostula im Landkreis Aquila, Bundesstaat Michoacán, und beschreibt es als „Traum vom Paradies“. Doch dem Paradies ging die Hölle voraus.

Es ist auf den ersten Blick ein perfektes Idyll: Kilometerlange pazifische Sandstrände, Pelikane und Reiher ziehen über das Meer, im Hintergrund steiles, waldbedecktes Küstengebirge. Der auf 135 Meter Höhe gelegene Ort Santa María Ostula mit seinen gut tausend Einwohnern liegt eingebettet in üppige Vegetation. Das Klima hier ist fruchtbar, so dass Kokospalmen, Papayafrüchte, Tamarinde, Hibiskusblüten, Melonen und das Grundnahrungsmittel Mais gedeihen. Der sich aus den Bergen windende Ostula-Fluss versorgt die über das weite Gemeindeterritorium verstreuten Siedlungen mit ausreichend Wasser. Fische gibt es im Überfluss. Ein überschaubarer und kontrollierter Tourismus verschafft der Gemeinde wichtige zusätzliche Einnahmen. 

Der Fotograf Heriberto Paredes begleitet seit mehr als zehn Jahren das Leben der indigenen Nahua-Dorfgemeinde Santa María Ostula im Landkreis Aquila, Bundesstaat Michoacán, und beschreibt es als „Traum vom Paradies“. Doch dem Paradies ging die Hölle voraus. Bis 2009 schien Ostula das Schicksal vieler anderer Dorfgemeinden zu teilen. Das Drogenkartell „Tempelritter“ nutzte die durch sein Territorium führende Bundesstraße nach Belieben für Transporte als Verbindung zum Hafen Lazaro Cárdenas, einem berüchtigten Umschlagplatz für das Rohmaterial synthetischer Drogen. Landinvasoren, die mit dem Kartell zusammenarbeiteten, vereinnahmten den Küstenstreifen Ostulas. Pläne für einen von der Gemeinde nicht gewollten luxuriösen Hotelkomplex, eine Hafenanlage, die Expansion eines internationalen Bergbaukonzerns sowie illegaler Einschlag von Edelhölzern in den Gemeindewäldern schienen unaufhaltbar. Die der Landkreisregierung von Aquila unterstehende Kommunalpolizei war eine Komplizin dieser Interessen. Wer dem Kartell im Weg stand, wurde ermordet.

Verschwundene und ermordete Gemeindemitglieder

Als der Leidensdruck der Gemeinde unerträglich wurde, besann man sich auf alte Strukturen: die Vollversammlung des Dorfes und eigene Wachen, die von den Einwohnern aller Siedlungen und des Hauptortes gestellt wurden. „Teilweise mobilisierte sich praktisch die gesamte Gemeinde gegen das Drogenkartell“, erinnert sich der kaum zwanzigjährige Pedro Mercado. Er erlebte diese Zeit als Heranwachsender. Heute ist er ein von der Vollversammlung bestätigtes Mitglied im Kommunikationsausschuss der Dorfgemeinde.

Autor

Gerold Schmidt

ist freier Journalist in Mexiko.
Die Mobilisierung bedeutete mehrfach die direkte bewaffnete Konfrontation mit den Tempelrittern und ihren Auftragsmördern. In einem schmerzhaften Prozess mit zunächst ungewissem Ausgang gelang es Santa María Ostula, Mitte 2015 die vollständige Kontrolle über das eigene Territorium wiederzugewinnen. Der Preis dafür war hoch. Drei Dutzend Gemeindemitglieder waren ermordet worden, sechs gelten bis heute als verschwunden. Doch Santa María Ostula hat Frieden wiedergefunden. Wo die Landinvasoren Marihuana und Schlafmohn gepflanzt hatten, gründete die Gemeinde eine neue Siedlung und baut ihre traditionellen Produkte an. In den umliegenden Städten hat sie dafür einen kleinen Absatzmarkt. 

Gemeinde mit Modellcharakter

Anders als in anderen Landkreisen, in denen sich von Gemeindestrukturen unabhängige Selbstverteidigungsgruppen im Laufe der Zeit in dubiose paramilitärische Gruppen verwandelt haben, erfüllen die aus der Gemeinde stammenden Wachen in Ostula heute einfache Ordnungsfunktionen. „Dazu gehört, bei traditionellen Feiern in den Siedlungen präsent zu sein, ab und zu ein Auge auf einen Betrunkenen zu werfen“, erklärt Pedro Mercado. Auf die Frage, warum er und andere junge Leute sich entschieden haben, in der Gemeinde zu bleiben, antwortet er entwaffnend: „Weil wir hier alles haben: Wasser und ausreichend Land. Außerdem ist jeder ab 18 Jahren in die Gemeindeversammlung eingebunden.“ 

Für den Fotografen Heriberto Paredes hat die weitgehende Selbstverwaltung von Santa Maria Ostula durchaus Modellcharakter. Aber er gibt zu, dass die Gemeinde in einer Region, in der zerstörte Dorfstrukturen und organisiertes Verbrechen vorherrschend sind, „in einer Sicherheitsblase lebt“.

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