Die Länder mit mittlerem Einkommen (middle income countries, MICs) bilden eine vielfältige Gruppe, wie die Studie des European Centre for Development Policy Management (ECDPM) verdeutlicht. Die Weltbank zählt zurzeit rund 110 MICs, darunter beispielsweise Albanien und Algerien, China und Nepal, Nicaragua, Vanuatu und Simbabwe. Ein Teil von ihnen gehört zugleich zu den von den Vereinten Nationen so klassifizierten am wenigsten entwickelten Ländern (least developed countries, LDCs) beziehungsweise zu den fragilen Staaten. In Afrika zählen laut der Studie neun MICs auch zu den am wenigsten entwickelten Ländern, 16 sind auch fragil. Manche von ihnen wie Angola und Mauretanien seien alles auf einmal.
Die EU hat die Ländergruppe im vergangenen Jahrzehnt zwar durchaus differenziert behandelt, so die ECDPM-Analyse. Das sei aber oft ohne erkennbares Konzept geschehen und nicht auf die Situation im jeweiligen Land abgestimmt gewesen. Die Förderpolitik sei stärker von den unterschiedlichen Regeln der einzelnen Fördertöpfe als von der Situation in einem Land bestimmt gewesen.
Kritik: EU hat ärmere Länder vernachlässigt
Auch „künstliche Differenzierungen“ aufgrund der Geografie haben laut den Autoren eine Rolle gespielt. Das bezieht sich offenbar auch auf die Politik gegenüber den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik). Sie hatten als Empfänger von Hilfe aus dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) bislang eine privilegierte Position. Die Studie kritisiert zudem, die EU habe sich zu sehr auf die Untergruppe der Länder mit höherem mittlerem Einkommen (upper middle-income countries) konzentriert und die ärmeren MICs vernachlässigt.
Darüber hinaus habe die EU gegenüber Ländern unglücklich agiert, die aus der bilateralen Entwicklungshilfe herausgewachsen seien und nur noch Mittel aus regionalen und thematischen EU-Programmen erhalten konnten. Hier herrscht laut Mariella Di Ciommo, eine der Autorinnen der Studie, bei Regierungen in manchen MICs und in EU-Institutionen der Eindruck, dass Kommunikationskanäle verloren gegangen seien und die EU an Bedeutung eingebüßt habe.
Interessen und Werte der EU stehen im Vordergrund
Die Studie hält Besserung für möglich. Zum einen wurden rund ein Dutzend Geldtöpfe einschließlich des EEF zum Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI) verschmolzen; die Förderpolitik wird nun nicht mehr von den unterschiedlichen Regeln einzelner Geldtöpfe bestimmt.
Zum anderen stellt sich die EU konzeptionell neu auf. Die MICs seien schon 2016 in der globalen Strategie und 2017 im Konsens für Entwicklungspolitik als wichtige Partner erkannt worden. Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen setze auf einen globaleren Ansatz und eine stärkere Verteidigung der Interessen und Werte der EU, wobei sie die MICs als Partner gut gebrauchen könne.
Künftig zählt nicht nur die Wirtschaftsleistung
Die EU-Außenminister haben im Juni Schlussfolgerungen zu den Ländern mit mittlerem Einkommen verabschiedet. Darin werden diese als „Schlüsselpartner“ gewürdigt, die „angesichts gemeinsamer Werte und Interessen“ zur Verwirklichung der nachhaltigen Entwicklungsziele und des Pariser Klimaabkommens beitragen könnten. Die Außenminister anerkennen zudem die Vielschichtigkeit von Entwicklung. Es dürfe nicht nur die Wirtschaftsleistung pro Kopf betrachtet werden, sondern auch andere Dimensionen wie etwa die Ungleichheit innerhalb von Ländern und die Folgen des Klimawandels.
Das ECDPM sieht die EU damit auf gutem Weg. Die Autoren plädieren für eine umfassende Zusammenarbeit mit den MICs über Finanztransfers hinaus. Mit bestimmten Ländern wie Kolumbien und Südafrika seien die Beziehungen schon fortgeschritten. Für wertvoll hält die Studie auch die Expertise aus den EU-Mitgliedstaaten, insbesondere von staatlichen Stellen. Sie sei gegenüber MICs besonders angebracht, weil diese entwickelte Verwaltungen besäßen, in denen diese Expertise fruchtbar gemacht werden könne.
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