Bevor die „Strategie zur Internationalen Zusammenarbeit 2021-2024“ im Februar 2020 im Parlament verabschiedet wurde, hatte der Bundesrat (die Regierung) sie vor zwei Jahren erstmals in die sogenannte Vernehmlassung geschickt. Parteien, Kantone und zivilgesellschaftliche Organisationen reichten daraufhin Stellungnahmen ein, insgesamt 249. Diese neue Vorgehensweise hatte zum Zweck, innenpolitische Diskussionen vorwegzunehmen und eine größere Unterstützung in der Zivilgesellschaft und im Parlament zu erwirken. Die Rechnung des zuständigen Außenministers Ignazio Cassis ging auf.
Dass die Strategie mitsamt ihrem Budget von 11,25 Milliarden Franken vergangenes Jahr ohne Kürzungen und weitere Änderungen im Parlament angenommen wurde, wertet Patricia Danzi, Chefin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), als Zeichen dafür, dass die internationale Zusammenarbeit (IZA) Teil der Schweizer Identität sei. „Links wie rechts“ herrsche bei Parlamentarierinnen und Parlamentariern „ein gewisser Stolz“ über die humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, sagt sie.
Die Verlässlichkeit, die „Kontinuität der Geldflüsse“ und die langjährige Erfahrung in den Partnerländern bildeten den Mehrwert der Schweizer IZA, sagt Danzi. Zudem sei sie nicht an geopolitische Bestrebungen gebunden. Die schweizerische Entwicklungshilfe hatte ihre Anfänge in den 1950er Jahren in Lateinamerika. Dort läuft nun die bilaterale Hilfe bis 2024 aus. Danzi findet dennoch: „Wir haben einen langen Atem.“
Den hat die ehemalige olympische Siebenkämpferin und langjährige Mitarbeiterin des Internationalen Rotkreuz-Komitees auch. Seit ihrem Antritt im Mai 2020 ist sie oft in den Schweizer Medien präsent, Kommunikation ist ihr wichtig. Das ist gut, denn sie muss auch ein Jahr nach der Annahme der Strategie 2021–2024 und trotz der Vernehmlassung und anschließenden Anpassungen und Präzisierungen immer noch kritische Fragen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Politikern und den Medien beantworten. Das sind insbesondere die zur Verknüpfung von Migrationspolitik und internationaler Zusammenarbeit und zur Zusammenarbeit mit dem Privatsektor.
Strategische Verknüpfung mit der Migrationspolitik
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So wie der UN-Sonderberichterstatter zum Recht auf Entwicklung in einem 2019 veröffentlichten Bericht kritisieren auch Schweizer Entwicklungsorganisationen, dass die Schweiz weiterhin Kosten für die Betreuung von Asylsuchenden den öffentlichen Entwicklungsausgaben anrechnet und gegenüber der OECD und der Schweizer Bevölkerung als solche ausweist. Dadurch würden die knappen Mittel für die internationale Zusammenarbeit buchhalterisch aufgebläht, bemängelte Alliance Sud, die Dachorganisation von sechs Schweizer Entwicklungsorganisationen, in der Vernehmlassung.
Alliance-Sud-Geschäftsleiter Mark Herkenrath begrüßt zwar im Prinzip, dass die Mittel für Klima- und Umweltschutz von 300 Millionen auf 400 Millionen Franken aufgestockt worden seien. Er kritisiert aber, dass auch diese Mittel aus dem IZA-Budget kommen und nicht zusätzlich bereitgestellt wurden.
Die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor identifiziert Herkenrath als Megatrend in der internationalen Zusammenarbeit. Einig sind sich Herkenrath und Danzi, dass es ohne den Privatsektor nicht geht, sei es die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele, sei es die Bewältigung von Krisen, insbesondere jener, die vom Klimawandel verursacht werden. Bei der Zusammenarbeit mit dem Privatsektor müsse aber sichergestellt werden, dass die Schweizer internationale Zusammenarbeit weiterhin ihren Auftrag zur Armutsbekämpfung im Fokus hat, sagt Herkenrath.
Armutsbekämpfung bleibt oberstes Ziel
Dass die Armutsbekämpfung in der neuen Strategie oberstes Ziel der schweizerischen Entwicklungshilfe bleibt, freut einige Parteien und viele NGOs. Auch, dass es bei den vom Außendepartement (EDA) im Zusammenhang mit der neuen Strategie oft genannten „Interessen der Schweiz“ vorwiegend um das langfristige Interesse an einer stabilen, friedlichen Welt geht und nicht nur um kurzfristige wirtschafts- oder migrationspolitische Interessen, sagt Herkenrath.
Trotz der Erläuterungen aus der DEZA bleiben nichtstaatliche Hilfsorganisationen gegenüber der Zusammenarbeit mit dem Privatsektor kritisch. Die Kritik der NGOs, die auch in der Vernehmlassung mehrmals zum Ausdruck kam, richte sich insbesondere an die „neue und kontroverse“ Zusammenarbeit mit globalen Großkonzernen wie Nestlé oder dem Rohstoffkonzern Glencore, sagt Danzi. „Wir streben eine Hebelwirkung an. Wir wollen zusammen mit diesen Akteuren zu Lösungen von globalen Problemen beitragen, die viele Menschen betreffen und viel Geld brauchen.“ Die Herstellung und Verteilung von Impfstoffen zur Bewältigung der Corona-Pandemie sei ein aktuelles Beispiel dafür.
Die DEZA hat in einer Kommunikationsinitiative Leitlinien für die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor erarbeitet, die der Forderung nach klaren Kriterien entgegenkommen sollen. Ob sich diese Zusammenarbeit „immer an den Rechten und Bedürfnissen der ärmsten Menschen orientiert“, wie Entwicklungsorganisationen verlangen, wird sich erst mit der Zeit erweisen. „Wir werden daran gemessen, wie wir diese Leitlinien umsetzen, ob wir es schaffen, dass mehr Menschen von unserer Unterstützung profitieren und wir neue Akteure für globale Probleme engagieren können“, sagt Danzi.
Zusammenarbeit mit dem Privatsektor
Zu kaum einem anderen Thema hat sie sich häufiger geäußert als zur Zusammenarbeit mit dem Privatsektor – in den Medien, mit Partnerorganisationen und innerhalb der DEZA. Außer vielleicht zur kontroversen Entscheidung des Außendepartements nach dem knappen Scheitern der Konzernverantwortungsinitiative Ende 2020. Die Initiative wollte erreichen, dass Schweizer Konzerne für im Ausland verursachte Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden haften. Sie gewann nach einer großangelegten Kampagne die Mehrheit der Volksstimmen, scheiterte aber an der Kantonsmehrheit. Das knappe Abstimmungsresultat habe bürgerlichen Kreisen in der Politik Kopfschmerzen bereitet, sagt Herkenrath. Daraufhin versuchten diese Parteien mit verschiedenen Vorstößen politische Aktivitäten von NGOs zu unterbinden. Der Bundesrat wies die Vorstöße zurück, aber das Außendepartement verbot Hilfsorganisationen, die von der DEZA Programmbeiträge erhalten, diese Mittel für die Informations- und Sensibilisierungsarbeit im Inland einzusetzen.
Für Ausstellungen oder Unterrichtsmaterialien müssten die NGOs nun private Spendengelder einsetzen, sagt Herkenrath. Das sei für viele eine große finanzielle Herausforderung. Lobbyarbeit mit staatlichen Geldern war bereits vor der Entscheidung nicht erlaubt, sagt Danzi, aber die beispiellose Kampagne der Befürworter der Initiative habe die Frage aufgeworfen, wo die Grenze zwischen Lobbyarbeit und Sensibilisierung verläuft. Die politisch aufgeheizte Debatte fiel genau in die Zeit, in der die DEZA die zweijährigen Programmbeiträge an die NGOs vergeben hat. Die Beiträge seien jedoch nicht gekürzt worden, betont Danzi.
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