„Die Bereitschaft Chinas, Menschenrechtsfragen zu diskutieren, hat in den vergangenen Jahren abgenommen“ steht in der China-Strategie, die der Bundesrat am 31. März präsentiert hat – und: „Die Unterdrückung von Minderheiten hat zugenommen.“ Abgesehen von solcher Kritik positioniert sich die Schweiz in dem Papier als „Brückenbauerin“ im neuen Ost-West-Konflikt und will weiterhin auf den Menschenrechtsdialog setzen, den sie seit den frühen 1990er Jahren mit Peking unterhält. Dieser liegt jedoch seit zwei Jahren auf Eis: Auslöser war ein Brief an den Präsidenten des UN-Menschenrechtsrates, den die Schweiz mitunterzeichnet hat und der die chinesische Regierung dazu aufruft, die willkürliche Inhaftierungen von Uigurinnen und Uiguren in der Provinz Xinjiang zu beenden.
Menschenrechtsorganisationen geht die neue Strategie denn auch nicht weit wenig genug. So bemängelt etwa die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), die sich für indigene Minderheiten einsetzt, dass den Worten keine Taten folgten. „Bis anhin wurden das Prinzip ,Wandel durch Handel‘ sowie der Menschenrechtsdialog mit China als Ausrede genutzt, um das Thema Menschenrechte in den Wirtschaftsbeziehungen auszuklammern“, sagt GfbV-Geschäftsführerin Angela Mattli in einer Stellungnahme. Sie kritisiert, das Freihandelsabkommen der Schweiz mit China biete keinerlei Handhabe, um den Import von Produkten, die in Bezug zu schweren Menschenrechtsverletzungen stehen, zu verhindern. So sind unter anderem Schweizer Textilfirmen weiterhin in Xinjiang tätig, wo Uigurinnen und Uiguren gemäß dem neuesten Bericht der US-Denkfabrik Center for Global Policy Zwangsarbeit auf Baumwollfeldern verrichten.
China ist der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz
Außerdem bemängelt die GfbV, dass in der China-Strategie keinerlei Sanktionen in Betracht gezogen werden. Tatsächlich pflegt die Schweiz seit Jahrzehnten ein freundschaftliches Verhältnis zur Volksrepublik. Als eines der ersten westlichen Länder hat die Schweiz 1950 die Volksrepublik China anerkannt und 2014 als erstes europäisches Land ein Freihandelsabkommen mit China unterzeichnet. Diese enge wirtschaftliche Verflechtung ist in den letzten Jahren gewachsen, mittlerweile ist China der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz – nach den USA und der EU.
Dieses enge Verhältnis wird nun auf die Probe gestellt. Auch unter Parlamentarierinnen und Parlamentariern wird der Ruf nach härteren Maßnahmen gegen Peking lauter. Einige forderten jüngst, die Schweiz solle sich an die Seite der Europäischen Union stellen: Diese hat nur wenige Tage nach Veröffentlichung der Schweizer Strategie gegen vier chinesische Behördenvertreter wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverstöße Sanktionen verhängt. Ständerat Damian Müller von den Liberalen (FDP) sagt: „Jetzt muss der Bund genau evaluieren, ob er sich den Sanktionen anschließt oder zumindest alles in die Wege leitet, damit die EU-Maßnahmen nicht via Schweiz umgangen werden können.“ Der Druck auf den Bundesrat steigt auch international: In einer am 19. April veröffentlichten Mitteilung forderte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch die internationale Gemeinschaft wegen der Verfolgung der muslimischen Minderheit der Uiguren in der Provinz Xinjiang zu härteren Sanktionen gegen China auf.
Weil sie nicht Mitglied der EU ist, entscheidet die Schweiz autonom über die Übernahme von Sanktionen. In der Vergangenheit ist sie Brüssel oft gefolgt. Ob sie diesmal dem Druck nachgeben wird, wird laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft derzeit „bundesintern diskutiert“. Außenminister Ignazio Cassis (FDP) sagte dazu in einem Interview gegenüber der Zeitung „NZZ am Sonntag“, die Frage werde zurzeit im Wirtschaftsdepartement analysiert. „Aber die Schweiz macht grundsätzlich eine eigenständige Außenpolitik. Das ist herausfordernd, aber das ist auch unser Wille.“
Neuen Kommentar hinzufügen