In den Kolonialismus verstrickt

picture alliance / ullstein bild/Haeckel Archiv
Koloniale Vergangenheit: Gottesdienst in einer Kirche im heutigen Tansania im Jahr 1910.
Missionswerke
Das Leipziger Missionswerk will der Frage nachgehen, was „Mission postkolonial“ bedeutet. Es geht darum, wie Rassismus und Herrschaftsverhältnisse bis heute in der Partnerschaftsarbeit wirken.

Das Leipziger Missionswerk blickt auf eine stattliche Geschichte zurück. Gut 400 Missionare, darunter rund 100 Frauen, entsandte die Einrichtung ab 1838, erst nach Australien, später nach Indien und Papua-Neuguinea und gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch ins deutsche Kolonialgebiet nach Ostafrika. Das Werk bemüht sich bereits seit vielen Jahren, Leben und Wirken der einzelnen Missionare kritisch zu beleuchten. Doch die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit sollte an diesem Punkt nicht stehen bleiben, findet Missionsdirektor Ravinder Salooja. Mission dürfe kein abgeschlossenes Kapitel sein. Vielmehr gehe es darum zu prüfen, inwieweit Denkmuster und Strukturen, die in einem kolonialen Kontext angelegt wurden, heute noch in die allgemeine Wahrnehmung hineinspielen.

„Nichts, was im Kolonialismus geschehen ist, ist vorbei“, sagt Salooja. Zum Beispiel habe der Rassismus, wie wir ihn heute erleben, seine Ursprünge in der Kolonialgeschichte. „Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass die Tätigkeit der Leipziger Mission im Kontext imperialer Aufbrüche Europas ihren Anfang nahm. Sie hat in kolonialen Kontexten stattgefunden, in denen ein Macht-Ohnmacht-Gefüge herrschte.“ Wenn beispielsweise die deutsche Schutztruppe nach dem Mord an zwei Missionaren aus Rache schreckliche Aktionen gegen die lokale Bevölkerung verübt habe, wie es 1896 nach dem Tod der Leipziger Missionare Ewald Ovir und Karl Segebrock im Norden Tansanias geschehen sei, „dann zeigt das, dass wir damals nicht frei waren von Verwicklungen mit der Kolonialmacht“, sagt Salooja. 

Aufarbeitung auch für junge Freiwillige wichtig

Das Leipziger Missionswerk will deswegen in den kommenden drei Jahren mit internen und öffentlichen Veranstaltungen sensibel machen für Zusammenhänge von heutigen Macht-Ohnmacht-Gefügen in einer Gesellschaft. Das sei eine Frage, der sich alle Mitarbeitenden in dem Werk stellen müssten. Eine solche Sensibilisierung sei zudem für die jungen Freiwilligen wichtig, die das Werk über das weltwärts-Programm in Partnerkirchen schickt, sagt Salooja. 

Das Missionswerk will außerdem Gruppen ansprechen, die seine Arbeit seit vielen Jahren aus Verbundenheit zur klassischen Missionsarbeit unterstützen. Aus solchen Kreisen muss Salooja sich den Vorwurf gefallen lassen, dass diese Form der Aufarbeitung die eigene Geschichte entwerte. Schließlich habe die Mission mit dem Aufbau von Schulen und Krankenhäusern ja auch Gutes getan, so das Argument der Partnerschaftsgruppen.

Frommer Selbstbetrug?

Es ist ein sehr großer Schritt vom Leben in einem großen bayerischen Pfarrhaus auf eine entlegene Missionsstation im Busch von Papua-Neuguinea (PNG). Der Pfarrer Peter Trapp ist ihn mit seiner damaligen Frau ...

Salooja weist diesen Einwand zurück. Es greife zu kurz, Mission zwar im kolonialen Umfeld zu verorten, diesen Umstand aber mit dem Hinweis zu relativieren, sie habe ja auch Gutes hervorgebracht. „Zu leicht wird dabei ausgeblendet, dass Mission nur stattfinden konnte, weil es dieses Macht-Ohnmacht-Gefüge im kolonialen Kontext gab.“ Wichtig sei, diese Ambivalenz in der Missionsgeschichte wahrzunehmen, auszuhalten und zu schauen, wo es solche Strukturen und Denkmuster auch heute noch gibt, sagt Salooja. „Wir müssen uns fragen, wo wir heute noch anderen unseren Willen oder unsere Sichtweise aufdrücken wollen, und wie wir uns denjenigen gegenüber verhalten, die wir ,geistig erobern‘ wollen.“ Das sei für ein Missionswerk, in dessen Leipziger Umfeld sich nur noch zehn bis 15 Prozent der Menschen als religiös bezeichnen, eine zentrale Frage.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2021: Sport im Süden
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