Boniface Mabanza ist Philosoph, Literaturwissenschaftler und Theologe und stammt aus Kimbongo in der Demokratischen Republik Kongo. Er arbeitet seit 2008 bei der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) in Heidelberg.
Herr Mabanza, im Zuge der „Black Lives Matter“-Debatte haben schwarze Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter internationaler Organisationen von Rassismus am Arbeitsplatz berichtet. Geht es Ihnen ebenso?
Nein, ich erlebe hier, wo ich arbeite, keinen Rassismus. Aber es gibt in der deutschen Entwicklungsszene Vorfälle, die ich als unreflektierte Formen von Rassismus bezeichnen würde.
Zum Beispiel?
Mich erreichen immer wieder Anfragen von Entwicklungsorganisationen für Veranstaltungen, in denen mir automatisch Kompetenzen für alle Belange auf dem afrikanischen Kontinent zugeschrieben werden. Ich werde als „Stimme Afrikas“ angesprochen und soll „die“ afrikanische Perspektive vertreten. Die gibt es aber nicht. Und selbst wenn es sie gäbe, hätte ich kein Mandat, sie zu vertreten. Ich lebe nicht in Afrika, sondern in Deutschland und vertrete eine deutsche Organisation. Auf der anderen Seite wird mir manchmal aufgrund meiner Herkunft jegliche Qualifikation abgesprochen. Mir wurde schon gesagt, ich sei nur eingeladen, weil ich schwarz bin und aus Afrika komme. Es gibt beide Extreme. Darüber hinaus gibt es Fälle, in denen die wenigen People of Colour, PoC, die in den Organisationen präsent sind, unsichtbar gemacht werden. Das betrifft PoC, die sich wundern, dass sie nicht mehr zu sehen sind, wenn ihre Organisationen Bilder nach außen zeigen.
Wie gehen Sie mit Einladungen um, in denen Sie als „Stimme Afrikas“ angefragt werden?
Die nehme ich in der Regel nicht an, höchstens um die Gelegenheit zu nutzen, die Veranstalter ausgiebig aufzuklären. Ich verstehe mich als Grenzgänger zwischen Europa und Afrika. Meine Perspektive gründet auf Erfahrungen auf beiden Kontinenten – in Afrika vor allem von Menschen aus der Zivilgesellschaft, mit denen ich zu Handelsfragen arbeite. Deren Perspektiven kann ich hier vertreten. Ich teile hingegen nicht, was der Präsident der DR Kongo oder der von Südafrika zum Rohstoffabbau sagen.
Man sollte denken, dass deutsche Entwicklungsorganisationen Afrika nicht undifferenziert als einen homogenen Kontinent sehen.
Solche Anfragen kommen von Organisationen, die entwicklungspolitische Bildungsarbeit machen und es eigentlich besser wissen sollten. Natürlich betonen alle Organisationen, Afrika als einen Kontinent mit verschiedenen Gesellschaften, Kulturen und Konflikten zu sehen. Aber wenn es konkret wird, fallen manche deutsche Entwicklungsorganisationen in die alten Muster der Homogenisierung zurück.
Sind deutsche Entwicklungsorganisationen zu weiß?
Ja. Ich war bei vielen großen Hilfsagenturen und Hilfswerken zu Gast. Selbst die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort haben mir gesagt, dass Ihre Organisationen zu weiß sind. Die merken das also schon selbst
Gibt es in dieser Hinsicht einen Unterschied zwischen staatlichen Agenturen und kirchlichen oder zivilgesellschaftlichen Hilfswerken?
Nein, das betrifft die Gesamtheit der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Kirchliche Organisationen sind nicht diverser als staatliche Agenturen. Dennoch gibt es natürlich unterschiedliche Arbeitsweisen: Bei Brot für die Welt zum Beispiel, einer Organisation ohne eigene Strukturen in den Partnerländern, hat die Zusammenarbeit mit Partnern vor Ort einen anderen Stellenwert als bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) mit eigenen Länderbüros und Personal in Führungspositionen nur aus Deutschland.
Warum sind deutsche Entwicklungsorganisationen so wenig divers?
In der deutschen Entwicklungsszene werden bestimmte Rekrutierungsmuster reproduziert und damit auch die Profile der Mitarbeitenden. Freie Stellen werden zunächst hausintern ausgeschrieben. Wer nicht drinnen ist, hat es grundsätzlich schwer reinzukommen. Wenn Stellen öffentlich ausgeschrieben werden, erreichen sie People of Color oft nicht.
Warum?
Sie sind nicht vertreten in den Netzwerken und Kanälen, über die Stellenausschreibungen verbreitet werden. Bei Dachverbänden wie Venro oder den entwicklungspolitischen Landesnetzwerken sind kaum migrantische Organisationen oder Diaspora-Gruppen aktiv. Es gibt aber noch einen anderen Grund: Ich habe von Menschen mit Migrationsbiografien gehört, ihre Bewerbungen bei Entwicklungsorganisationen würden nie berücksichtigt – selbst wenn sie auf das Stellenprofil passen. Ich kann das empirisch nicht belegen, aber solche Geschichten höre ich immer wieder. Bei kirchlichen Organisationen kommt die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft hinzu, die etwa Muslime im Prinzip ausschließt.
Wie können entwicklungspolitische Organisationen in Deutschland diverser werden?
Sie müssen aktiv auf migrantische Menschen zugehen. Zum Beispiel sollten sie Stellenausschreibungen über entsprechende Kanäle verbreiten, etwa ausländische Kirchen und Diaspora-Vereine. Gleichzeitig müssen Menschen mit Migrationshintergrund ermutigt werden, sich früh auf Praktika zu bewerben, um einen Einstieg zu finden.
Kennen Sie viele PoC, die gerne in der Entwicklungszusammenarbeit unterkommen würden?
Ja, weil ihnen das ermöglicht, sowohl in Deutschland als auch in ihren oder den Herkunftsländern ihrer Eltern aktiv zu sein. Für viele PoC ist die Entwicklungszusammenarbeit attraktiv, weil sie gerne etwas für die Herkunftsregion ihrer Eltern tun wollen – auch wenn sie in Deutschland geboren sind. Natürlich gibt es auch in der Diaspora viele, für die Entwicklungszusammenarbeit nicht in Frage kommt. Sie sehen darin eine Kontinuität des Kolonialismus mit seiner Zivilisierungsmission und eine Verschleierung imperialistischer Interessen.
Würde die Präsenz von PoC in Entwicklungsorganisationen die Projektarbeit im globalen Süden verbessern?
Die Entwicklungszusammenarbeit würde auf jeden Fall sensibler werden für relevante Faktoren in den Projektländern. Ich habe zum Beispiel durch meine Herkunft ein Wissen über die kongolesische Gesellschaft und kulturelle Feinheiten, das ich in meine Arbeit einbringen kann. Auch die zweite Generation der in Deutschland lebenden Kongolesen hat durch die Biografie ihrer Eltern einen Zugang zum Land, den die meisten weißen Deutschen nicht haben. Das wäre ein großer Mehrwert für die Projektarbeit der Organisationen. Auch die Wahrnehmung innerhalb der Organisationen würde sich durch Perspektiven und Biografien von PoC verändern.
Inwiefern?
Ich kenne eine afrodeutsche Person, die in der Öffentlichkeitsstelle einer großen deutschen Entwicklungsagentur arbeitet. Seitdem sie den Job hat, wird dort viel intensiver über die Bilder zur Spendenwerbung diskutiert. Die Darstellung von schwarzen Kindern und Erwachsenen in verletzlichen Situationen ist dort nicht mehr möglich. Natürlich kann auch eine weiße Person ansprechen, dass solche Bilder problematisch sind. Aber eine afrodeutsche Person kann erzählen, was diese Bilder mit ihr gemacht haben. Wenn ich am Bahnhof an Plakaten der Welthungerhilfe oder von Save the Children vorbeilaufe, sehe ich darin eine der Quellen des abwertenden Blickes, der mich und alle schwarzen Menschen in Deutschland sehr oft begleitet. Wenn persönliche Geschichten erzählt werden, haben wir eine andere Diskussion in den Organisationen.
Zivilgesellschaftliche Organisationen und Aktivisten aus dem globalen Süden kritisieren, dass finanzstarke Geber aus dem Norden bei Kooperationen den Ton angeben und über lokale Entwicklungsprojekte bestimmen. Würde mehr Diversität in den Organisationen etwas an diesem strukturellen Machtgefälle ändern?
Nein. Das Machtgefälle besteht weiter, auch wenn ein schwarzer Mitarbeiter in Deutschland das Geld verwaltet. Eine diversere Personalpolitik alleine löst dieses Problem nicht. Vor allem die Richtlinien für Projekte üben eine unsichtbare Macht aus, die oft unterschätzt wird. Ein Projekt zum Thema Bürgerbeteiligung etwa muss immer auf eine bestimmte Weise durchgeführt und evaluiert werden, von Tunesien bis Südafrika. Das ist eine unsichtbare Homogenisierung des Denkens und Arbeitens der Menschen im globalen Süden.
Wie lässt sich dieses Machtgefälle abbauen?
Auf lange Sicht muss die finanzielle Macht des globalen Nordens reduziert werden. Es muss möglich sein, dass Länder des globalen Südens ihre Projekte selbst finanzieren – und Geber aus dem Norden nur zu einem geringeren Teil daran beteiligt sind, wenn überhaupt.
Wäre es dann nicht konsequent, dass in der Entwicklungszusammenarbeit gar kein Geld mehr vom globalen Norden in den Süden fließt?
Die Wirklichkeit ist komplexer. In Ländern mit einer autokratischen Regierung sind unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen auf die Finanzierung von außen angewiesen. Selbst in vergleichsweise liberalen Ländern wie Südafrika und Botsuana sind zivilgesellschaftliche Organisationen dankbar für Geld aus dem Ausland, weil sie sich dann freier äußern können. Aber lokale Organisationen müssen entscheiden, was sie für wichtig halten. Sie sollten keine Projekte stricken, nur weil es dafür gerade einen entsprechenden Fonds gibt. Langfristig müssen Organisationen aus dem globalen Süden darin investieren, mehr Finanzierung vor Ort zu kriegen.
Können PoC die Diskussion über das Machtgefälle zwischen den großen Organisationen im globalen Norden und der Zivilgesellschaft im globalen Süden eher anstoßen als weiße Mitarbeiter?
Ich glaube schon, weil sie das Machtgefälle aus einer anderen, radikaleren Perspektive wahrnehmen. Sie sind besser geeignet zu vermitteln, dass Entwicklung keine Sache der Weißen sein kann, sondern von innen angestoßen werden und den jeweils lokalen Notwendigkeiten entsprechen muss.
Das Gespräch führte Moritz Elliesen.
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