Die Schürfer setzen ihr Leben aufs Spiel

Zum Thema
Bergbau in Lateinamerika
Hkun Lat
Sobald die Laster den Abraum aus der industriellen Mine bei Hpakant abgeladen haben, wühlen Kleinschürfer darin nach übriger Jade.
Jade in Myanmar
Die meiste Jade weltweit wird in Myanmar abgebaut und geht nach China. Das Militär und Rebellengruppen profitieren mit – auf Kosten der Arbeitskräfte.

Der Erdrutsch ist unvermeidbar“, sagt die 33-jährige Aye Yi, die in den Jademinen von Myanmar arbeitet, seit sie 14 ist. „Wir alle kennen das Risiko. Wir wissen nicht, wann es passiert, aber wir sind sicher, dass es irgendwann passiert.“

Bei dem verhängnisvollsten Minenunglück in Myanmar seit Menschengedenken am 2. Juli 2020 starben nahe der Stadt Hpakant mindestens 175 Menschen. Dort gruben informell tätige Bergbauarbeiter sich durch Geröllhänge, die Lastwagen aus Minenabraum aufgeschüttet hatten, als die von starken Regenfällen aufgeweichte Halde einbrach. Der Hang stürzte in den darunterliegenden See, und der Erdrutsch riss Dutzende Menschen mit.

Umweltminister Ohn Win machte die Schürfer – meist verarmte und verzweifelte Migranten aus anderen Landesteilen – für das Unglück verantwortlich; deren „Gier“ habe die Katastrophe verursacht. Andere Stimmen wiesen darauf hin, dass die zivile Regierung in den fünf Jahren, in denen sie an der Macht war, darin versagt habe, die Jadeindustrie wirksam zu regulieren. Dazu müsste sie auch die tiefe Verstrickung des Militärs, das bis Anfang 2016 die Regierung dominierte, in den Jadehandel angehen.

Die Regierung konnte oder wollte die Jadegewinnung nicht kontrollieren – und dazu gehört, dass sie es versäumt hat, ihr Umweltschutzvorschriften zu machen und die durchzusetzen. 2017 gab die Regierung einen neuen Plan für Umweltmanagement in Auftrag, der die Minen unter Kontrolle bringen sollte. Er ist aber noch immer nicht umgesetzt. Satellitenbilder zeigen in Hpakant und Umgebung großflächige Abholzungen von Wäldern und Landschaftszerstörungen: Bagger reißen die Berge auseinander und graben immer tiefer auf der Suche nach der zunehmend seltener vorkommenden Jade.

Der eiserne Griff der Militärs

Das Militär hat in Myanmar am 1. Februar wieder die Macht ergriffen unter dem Vorwand, die Wahlen vom November seien nicht sauber verlaufen. Dabei garantiert ihm die Verfassung ein Viertel der ...

„Als ich das erste Mal hier war, sah Hpakant völlig anders aus“, sagt Aye Yi. „Da, wo wir früher auf Berge hinaufschauten, sind nun riesige Halden aus aufgeschüttetem Erdreich. Manche Berge haben sich in nackte Felslandschaft verwandelt.“ Die sorglose Ableitung von Abwasser verschlimmerte die Lage weiter: Überschwemmungen sind häufiger und stärker geworden, lokale Wasserquellen verunreinigt.

Undurchschaubares Netz von illegalen Firmen, Militärs und Rebellengruppen

Die Nachfrage aus China heizt Myanmars Jadewirtschaft weiter an. Sie besteht aus einem undurchschaubaren Netz von illegalen, von Chinesen finanzierten Firmen. Deren Exporte ermöglichen korrupte Verbindungen zum Militär Myanmars sowie zu dessen Gegenspielern im Bundesstaat Kachin, der Unabhängigkeitsarmee der Kachin. Das Militär, Rebellengruppen der verschiedenen ethnischen Minderheiten sowie der quasioffizielle Grenzschutz sind alle tief in den Jadehandel verwickelt und schleusen oft Edelsteine über die Grenzabschnitte, die sie kontrollieren, erklärt Keel Dietz. Er ist Politikberater bei der nichtstaatlichen Organisation Global Witness, die sich gegen Korruption und Umweltzerstörung engagiert. Um Jade nach China zu transportieren, arbeiten Dietz zufolge selbst verfeindete Gruppen gelegentlich zusammen.

Der industrielle Abbau von Jade ­hinterlässt in der Nähe der Stadt Hpakant eine Mondlandschaft.

Die Gegend um Hpakant im Bundesstaat Kachin im Norden des Landes ist Myanmars wichtigste Abbauregion für Jade. Wie viele andere Minenarbeiter dort ist der 28-jährige Ko Htay normalerweise für eine Bergbaufirma tätig, aber während der Regenzeit von Juni bis Oktober arbeitet er auf eigene Rechnung. Er hofft auf das große Los: Steine zu finden, die beim Abbau übersehen wurden und die er über illegale Kanäle verkaufen kann.

„Bei der Arbeit in Jademinen hängt alles vom Glück ab“, sagt er. „Du kannst am ersten Tag einen guten Stein erwischen und reich werden, oder du hast in Jahrzehnten nie so ein Glück.“ „Außerhalb der Saison graben wir in der Mine mit Handbohrmaschinen“, sagt er. „Obwohl die Dinge wirklich schwierig sind, lebe ich weiter hier und jage meinem Traum nach. Ich will meine Familie, meinen Sohn reich machen. Nicht einmal der Tod kümmert mich.“

Die meisten Steine sind für China bestimmt

Anders geht es Aye Yi: „Ehrlich gesagt, will ich am liebsten weg von hier.“ Sie erinnert sich, wie ihr Vater einmal einen wertvollen Jadestein fand, dessen Wert aber nicht erkannte. Er verkaufte ihn für 2000 Kyat (umgerechnet 1,50 US-Dollar) und erfuhr später, dass er für 80.000 Kyat (62 US-Dollar) weiterverkauft worden war. „Drei Tage lang konnte mein Vater da nicht essen und nicht schlafen“, sagt sie.

Jade wird oft nachts transportiert, erzählt ein bei einer Minengesellschaft angestellter Lastwagenfahrer der gemeinnützigen Organisation China Dialogue. „Die meisten Steine sind für China bestimmt“, sagte er unter Zusicherung von Anonymität. Wie viele andere arbeitet er für ein chinesisch-myanmarisches Joint Venture. Bei den meisten Firmen handele es sich um solche Arrangements, sagt er. Firmenbesitz von Ausländern ist in Myanmar offiziell verboten, doch es wird allgemein angenommen, dass die meisten Unternehmen illegale Joint Ventures sind, die von chinesischen Investoren unterstützt werden. Der 2015 von Global Witness veröffentlichte Bericht „Jade: Myanmar’s Big State Secret“ hat bestätigt, das derlei Arrangements weit verbreitet sind.

„Wenn wir ungefähr 30 Steine guter Qualität bekommen, erhält der Staat nur ein paar. Die Steine, die Millionen oder Milliarden Kyat wert sind, gehen nach China“, erklärt der Fahrer. Seine Firma bringe in der Regel einmal wöchentlich Jade auf den Weg nach China. Aber wenn ein besonders wertvoller Stein gefunden wird, werde er sofort dorthin geschickt.

Der größte Teil der Jade aus Myanmar landet in China, und zwar auf einem der drei Hauptwege: Entweder wird sie offiziell in den Handelshäusern von Myanmars Hauptstadt Naypyidaw verkauft oder auf offiziellen und inoffiziellen Märkten in Mandalay, oder aber der wertvolle Rohstoff wird geradewegs an die Grenze gefahren. „Die Jade über die Grenze zu schaffen, ist nicht besonders schwierig“, sagt Dietz.

Selbst legale Firmen schmuggeln Jade über die Grenze

90 Prozent der weltweit gewonnenen Jade stammen aus Myanmar, und der größte Teil davon wird direkt exportiert. Selbst legale Verkäufe sind laut einem Bericht des Natural Resource Governance Institute, den die Zeitschrift „The Diplomat“ zitiert, mit systematischem Steuerbetrug verbunden, weil der Wert routinemäßig zu niedrig angesetzt wird.

Autoren

Andrew Nachemson

ist Journalist und lebt in Kambodscha.

Hkun Lat

ist freier Fotograf in Myanmar.
Selbst legale Firmen schmuggeln zugleich auch Jade über die Grenze“, sagt Steven Naw Awng, der für die Kachin Development Network Group tätig ist, ein Netzwerk von Kachin-Entwicklungsorganisationen. Und er betont: „Der Großteil der Jadewirtschaft wird illegal betrieben. Vertreter des Militärs und Firmen aus dem Jadeabbau haben Übereinkommen mit örtlichen Amtsträgern und transportieren die Jade über die Grenze zu den Chinesen“, sagt er. Die Gemeinde Mu Se, ein großer offizieller Grenzposten im Bundesstaat Shan, sei ein besonders beliebter Grenzübergang, um Jade in die chinesische Provinz Yunnan zu schmuggeln.

„Die zivile Regierung hat bei der Einschränkung des Schmuggels oder der Regulierung dieses Sektors in den vergangenen fünf Jahren nichts bewirkt“, sagt Dietz. Wenn illegal geschmuggelte Jade Myanmar einmal verlassen habe, werde sie in China zu legaler Ware.

Der wichtigste Umschlagplatz für legal gehandelte Jade ist Naypyidaw. Dort geben vorwiegend chinesische Kunden in geschlossenen Ausschreibungsverfahren oder offenen Auktionen ihre Angebote ab. Dietz schätzt, dass jedes Jahr Jade im Wert von mehreren hundert Millionen Dollar in den Handelshäusern von Naypyidaw verkauft wird. Aber das ist nur ein Bruchteil des Gesamtwerts dieser Industrie, den Global Witness im Jahr 2014 auf rund 31 Milliarden Dollar schätzte.

In Naypyidaw werden rechtmäßige Geschäfte mit anrüchigen vermischt. An etwa 60 Prozent der Jadeverkäufe waren Verkäufer beteiligt, die ihr eigenes Produkt zurückkauften, um Steuern zu hinterziehen, stellte Global Witness in seinem Bericht aus dem Jahr 2015 fest. Verkäufer bearbeiten auch ihre Steine absichtlich so, dass sie weniger wertvoll erscheinen, als sie tatsächlich sind, sodass darauf weniger Steuern zu zahlen sind. Der wahre Wert der Steine wird erst ersichtlich, wenn sie chinesischen Boden erreicht haben.

Weil der offizielle Handelsplatz Naypyidaw infolge der Corona-Pandemie zeitweise geschlossen wurde, könnte 2020 sogar noch mehr Jade das Land auf illegalen Wegen verlassen haben, glaubt Dietz. Ein Teil der Jade wird auf den zahlreichen Touristenmärkten in Mandalay feilgeboten. Doch auch in dieser Stadt gebe es illegale Märkte, sagt Dietz, so dass Mandalay ein „zentraler Umschlagplatz für den Jadeschmuggel“ sei. „Chinesische Käufer besuchen private Märkte – persönlich oder via Internet –, dann fliegen sie nach Hause und warten auf ihre Jade“, erklärt er.

Viele Fundstücke gehen direkt über die Grenze: Ein Käufer begutachtet in der chinesischen ­Grenzstadt Ruili die Qualität der Jade im Angebot.

Di Lar ist Geschäftsmann aus der Ethnie der Kachin, handelt mit Jade und lebt in der chinesischen Provinz Yunnan, wo die Jade ankommt. Er fährt regelmäßig über die Grenze, wo er in Hpakant in kleinem Umfang Geschäfte mit Jade macht. 20 Minenarbeiter beschäftigt er dort auf der Grundlage einer offiziellen Lizenz.

Di sagt, es sei schwer abzuschätzen, wie viele Firmen in Wahrheit chinesischen Unternehmen als Tarnung dienen. Aber ein Insider aus der Branche, der im Bericht von Global Witness aus dem Jahr 2015 zitiert wird, schätzte, dass 70 Prozent der größeren Jadeunternehmen aus China finanziert sind. Unter kleineren Firmen, wie er selbst eine führt, nimmt Di für jede fünfte bis jede zehnte eine chinesische Unterstützung an. Chinesische Unternehmen verschafften sich  Zugang nach Hpakant, indem sie gefälschte myanmarische Ausweise verwendeten, erzählt er.

Dem Jade-Land fehlt eine eigene Veredelungsindustrie

Auch wenn Chinesen unerlaubt an der Jadeindustrie beteiligt sind, ist Di zufolge Jade in den vergangenen Jahren auf legalen Wegen nach China gelangt. Die Ware wird in Kachins Grenzstädte gebracht wie Lweje und Kanpitetee und beim Zoll angemeldet, dann wird sie zu den Kaufleuten in den drei wichtigsten Jadehandelszentren in Yunnan geschickt: Ruili, Tengchong and Yingjiang. Corona-Beschränkungen haben den Zustrom der Jade nicht gestoppt, denn noch immer gibt es Schürfer, die nach Steinen suchen.

Myanmar hat keine jadeverarbeitende Industrie, die in der Lage wäre, aus grob gehauenen Steinen Edelsteine zu machen. „Myanmars Rolle in der Wertschöpfungskette bei Jade geht nicht viel über den bloßen Abbau hinaus“, sagt Dietz. Wenn das Land eine eigene Veredelungsindustrie auf die Beine stellen könnte, so seine Überzeugung, gäbe es weniger Schmuggel und Steuerhinterziehung.

Naw Awng sagt, Myanmar solle die großen Jademinen komplett stilllegen, bis eine politische Lösung gefunden sei, die sicherstellt, dass die Bevölkerung in Kachin selbst von ihren Naturschätzen profitiert. „Die Leute denken: Oh, die Regierung Myanmars wird immer demokratischer. Aber die Jadeindustrie steht nach wie vor unter Kontrolle des Militärs. Ich halte das nicht für wirtschaftliche Entwicklung. Es fehlt eine politische Lösung“, sagt er und fügt hinzu, die chinesische Regierung zeige wenig Interesse an dem Problem. Sie könnte „Schmuggel, Grenzkontrollen und die Bekämpfung der Geldwäsche ernster nehmen“ und dabei auch sicherstellen, dass digitale chinesische Bezahlsysteme wie WeChat Wallet und AliPay nicht von Jadeschmugglern genutzt werden könnten, sagt Dietz.

Auch Dietz  fordert, China solle seinen Einfluss auf den Friedensprozess in Myanmar dahingehend nutzen, dass es Vereinbarungen über die Teilung der Gewinne aus Naturschätzen ermutigt, so dass auch die lokalen Gemeinschaften der Kachin von der Jadeindustrie profitieren. „Chinas unmittelbare Nähe und seine schiere wirtschaftliche Größe erlauben es chinesischen Firmen, aus legalen oder illegalen Wirtschaftstätigkeiten entlang der Grenze Kapital zu schlagen und dabei Firmen aus anderen Staaten weitgehend zu verdrängen.“

Der Minenarbeiter Ko Htay erklärt, die traurige Wahrheit sei, dass die Jadewirtschaft bei all ihrer Wertschöpfung nicht dazu beigetragen habe, Myanmar zu entwickeln. „Obwohl die Jade die Ressource unseres Landes ist und wir hart gearbeitet haben, hat sich nicht viel geändert“, meint er. „Den Gewinn machen reiche Leute, die Generäle und China.“

Aus dem Englischen von Julia Lauer. Der Beitrag ist zuerst auf www.chinadialogue.net erschienen.

Neuen Kommentar hinzufügen

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
CAPTCHA
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Roller aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
erschienen in Ausgabe 3 / 2021: Sport im Süden
Dies ist keine Paywall.
Aber Geld brauchen wir schon:
Unseren Journalismus, der vernachlässigte Themen und Sichtweisen aus dem globalen Süden aufgreift, gibt es nicht für lau. Wir brauchen dafür Ihre Unterstützung – schon 3 Euro im Monat helfen!
Ja, ich unterstütze die Arbeit von welt-sichten mit einem freiwilligen Beitrag.
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!