„Nicht gewohnt, zu verlieren“

Putsch in Myanmar
Marco Bünte erklärt, warum die Militärs gerade jetzt die Macht übernehmen und welche Wirkung Sanktionen haben könnten.

Marco Bünte ist Professor für Politik und Gesellschaft Asiens am Institut für Politische Wissenschaft der FAU Erlangen-Nürnberg.

Das Militär hat am vergangenen Wochenende die Macht in Myanmar übernommen und führende Politiker unter Hausarrest gestellt. Was steckt dahinter?
Das Militär behauptet, dass es Unregelmäßigkeiten bei den Parlamentswahlen im vergangenen November gegeben habe – und dass man nun zum „Schutz der Demokratie“ habe eingreifen müssen.

Was ist dran an dem Vorwurf?
Wenig. Es ist offensichtlich, dass das Militär den drohenden Machtverlust nicht hinnehmen will. Die Nationale Liga für Demokratie (NLD) von Regierungschefin Aung San Suu Kyi hat die Wahl im November klar gewonnen. Die Partei USDP, die dem Militär nahesteht, ist nun zum zweiten Mal nach 2015 kolossal bei einer Wahl gescheitert. Das hat die Hoffnung der Militärs auf eine Regierungsbeteiligung zunichte gemacht. Deshalb hat die USDP schon vor der Wahl das Märchen des Wahlbetrugs verbreitet.

War der politische Einfluss des Militärs nicht ohnehin schon groß?
Das Militär hat sich in der Verfassung eine einflussreiche Stellung hinter der Regierung gesichert. Sie kontrolliert die Ministerien für Verteidigung, Inneres und Grenzangelegenheiten und hat 25 Prozent der Parlamentssitze für sich reserviert. Aber für die erste Reihe hat es nicht gereicht. Hinzukommt, dass die Amtszeit des Militärchefs General Min Aung Hlaing in diesem Jahr ausläuft. Es hätte also passieren können, dass sein Nachfolger von einer zivilen Regierung ernannt wird. Das ist für die Militärs schlicht undenkbar. Sie sind es einfach nicht gewohnt, zu verlieren. Der Militärchef sichert sich nun seine politische Zukunft, indem er sich an die Staatsspitze setzt.

Die Militärführung hat nun einen einjährigen Ausnahmezustand verhängt, auf den Neuwahlen folgen sollen. Kann man dem Glauben schenken oder droht eine Rückkehr in die Zeit der Militärdiktatur?
Militärs sagen gerne, dass sie die Macht schnell wieder abgegeben wollen. Und Neuwahlen könnten dazu führen, dass sie ihnen nahestehende Parteien zur Macht verhelfen. Hierzu könnten sie das Wahlrecht ändern und ein Verhältniswahlrecht einführen, das Erdrutschsiege der NLD weniger wahrscheinlich macht. Momentan ist das alles offen. Klar ist, dass der Putsch wirtschaftliche und demokratische Fortschritte der vergangenen Jahre rückgängig machen könnte. Es gab nun gerade mal eine Amtszeit einer zivilen Regierung und die vielen Probleme, etwa mit den Minderheiten in Myanmar, lassen sich nicht von heute auf morgen lösen. Das Militär hat dem Land auf dem Weg in Richtung mehr Demokratie wichtige Zeit gestohlen.  

Suu Kyi hat die Bevölkerung über das Internet dazu aufgerufen, den Putsch nicht hinzunehmen und zivilen Widerstand zu leisten. Was kann die Zivilgesellschaft in Myanmar jetzt erreichen?  
Die abgesetzte Regierungschefin Suu Kyi ist in Myanmar sehr beliebt und genießt viel Unterstützung. Aber die Frage ist, wie gut die Selbstorganisation der Zivilgesellschaft funktioniert. Das Militär hat nicht nur führende Politiker festgesetzt, sondern auch einflussreiche Vertreter der Zivilgesellschaft und Demokratie-Aktivisten. Und die Militärs lassen sich ungern auf Diskussionen ein.

Welchen Einfluss hat das Ausland, etwa Deutschland und die EU?
Deutschland und die EU hätten gerne mehr Einfluss, als sie wirklich haben. Und die wenigen Hebel, die Deutschland noch hatte, hat man verspielt, seitdem man die Entwicklungshilfe für Myanmar wegen Bedenken über die Rechtsstaatlichkeit im vergangenen Jahr gestoppt hat. Interessant ist die Frage, ob es noch glühende Appelle für die Freilassung Suu Kuys geben wird, so wie vor 20 Jahren. Der Westen hat sie fallen gelassen und ihr angelastet, nichts für die Rohingya getan zu haben. Dabei hat man zwei Dinge verkannt: Suu Kuy hatte kaum Einfluss auf die Sicherheitspolitik, das Militär hat die Rohingya vertrieben. Sie hätte zwar mehr tun können, aber dafür gab es innerhalb des Landes keine Unterstützung.

Die USA und die EU drohen mit Wirtschaftssanktionen. Könnten die etwas bewirken?   
Ein Stück weit schon. Denn die Sanktionen würden nicht nur einzelne Militärs treffen, sondern auch die von ihnen kontrollierten Unternehmen. Da geht es um ganze Wirtschaftszweige, etwa den Bankensektor, Fluglinien, große Brauereien. Wenn man diese Unternehmen auf die Liste setzt, kann man Druck ausüben.

Welche Rolle spielt das Nachbarland China dabei?
China wird dabei leider nicht mitziehen. Das Land hat viel investiert in die Infrastruktur in Myanmar und will das nicht gefährden. China droht wirtschaftliche Sanktionen deshalb aktiv zu unterlaufen.

Welche Folgen hat der Militärputsch für die vertriebenen Volksgruppe der Rohingya?
Deren Chancen auf eine Rückkehr nach Myanmar haben sich sicher nicht verbessert. Man muss aber auch sehen, dass diese Frage für die internationale Gemeinschaft wichtiger ist als für Myanmar selbst. Da ist zum Beispiel der Konflikt mit der buddhistischen Arakan-Armee, die im Rakhine-Staat um Unabhängigkeit kämpft, ein viel größeres Thema. Und sie ist nur eine von 15 bewaffneten Gruppen, die gegen die Armee kämpfen. Viele dieser Gruppen haben den Putsch verurteilt. Damit gerät auch der im Land angestoßene Friedensprozess wieder in Gefahr.

Das Gespräch führte Sebastian Drescher.

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