Setzt die Patentpflicht aus

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Eine Produktion von Corona-Impfstoffen im Süden darf nicht von Welthandelsregeln behindert werden, findetBernd Ludermann.

Bernd Ludermann ist Chefredakteur von „welt-sichten“.

Den ersten in der EU zugelassenen Impfstoff gegen Covid-19 hat die deutsche Firma Biontech entwickelt – und nun fragen viele bis hinein in die SPD: Warum kriegen wir in Deutschland nicht schneller mehr davon? Zuweilen schwingt da mit: Sollen wir etwa mit Italienern oder auch Briten teilen? Natürlich sollen wir das. Es ist lobenswert, dass die Bundesregierung sich hier von Impfstoff-Nationalisten nicht irre machen lässt und am gemeinsamen Ankauf über die EU festhält.

Doch leider sichern sich die EU und andere reiche Länder auch einen Großteil der verfügbaren Corona-Impfdosen; arme Länder stehen hinten an. Das gilt nicht nur für den Impfstoff von Biontech, sondern auch für andere jüngst zugelassene oder in der Prüfung steckende. Das Kernproblem ist: Eine begrenzte Zahl von Firmen kann in bestehenden Anlagen nur begrenzte Mengen herstellen. Es war von Anfang an klar, dass jeder Impfstoff zunächst knapp wäre.

Gar nicht lobenswert ist deshalb, dass die Bundesregierung einen Vorschlag ablehnt, der zusätzliche Produktionskapazität gerade für arme Länder erschließen soll. Auf Initiative von Indien und Südafrika fordern zahlreiche Entwicklungs- und Schwellenländer, dass die Welthandelsorganisation WTO während der Pandemie für Mittel gegen Covid-19 die Pflicht zum Patentschutz aussetzt. Deutschland und die EU, aber auch die Schweiz, Japan, die USA und Kanada sind dagegen, ebenso führende Pharma- und Impfstoffhersteller, von denen viele in diesen Ländern sitzen.

Sechs Milliarden Impfdosen für die reichen Staaten

Gegen die Aussetzung der Patentpflicht führen sie erstens an, dass die Welthandelsregeln bei Gesundheitskrisen bereits Zwangslizenzen zulassen. So können einheimische Firmen Generika herstellen oder, wo es keine solchen Firmen  gibt, Generika importiert werden. Beides ist aber nur fallweise und für einzelne Produkte möglich, und die Regeln einzuhalten ist aufwändig. Auch die von der WHO auf den Weg gebrachte Initiative COVAX, die Impfstoffe beschaffen und zu gleichen Teilen reichen und armen Staaten verfügbar machen soll, hilft den armen nur sehr begrenzt. Stand Januar können sie daraus 2021 grob eine Milliarde Impfdosen erwarten. Reiche Staaten haben sich außerhalb von COVAX für ihre insgesamt kleinere Bevölkerung rund sechs Milliarden Dosen reserviert.

Bedenkenswert ist ein anderer Einwand: Patente auszusetzen würde die Produktion der Impfstoffe kaum beschleunigen. Denn Patente seien dafür nicht das größte Hindernis. Für eine komplexe biotechnische Produktion fehlten in vielen armen Ländern speziellen Anlagen, die Infrastruktur und geschulte Fachkräfte. Daher sei der beste Weg, dass Firmen aus Industrieländern freiwillig Lizenzen an Hersteller etwa in Indien, Südafrika und Brasilien vergeben (alle drei sind schon große Impfstoff-Produzenten) und die Technologie transferieren.

Das ist sinnvoll und passiert in einigen Fällen. So haben das britische Unternehmen AstraZeneca, das die Lizenz für den von der Universität Oxford entwickelten Impfstoff hält, und das US-amerikanische Unternehmen Novavax mit dem Serum Institute of India Vereinbarungen über die Herstellung ihres jeweiligen Vakzins geschlossen. Das allerdings steht im Belieben privater Firmen und ihrer Kapitalgeber. Sie bestimmen Bedingungen und Lizenzgebühren.

Absurde Argumente der Pharma-Hersteller

Zu Recht fordern Entwicklungsländer daher, mit WTO-Beschluss die Patentpflicht auszusetzen. Inwieweit das hilft, schnell mehr Impfstoff im Süden zu produzieren, ist zwar unklar. Aber es würde sicherstellen, dass Länder, in denen das gelingt, nicht noch wegen Verstößen gegen WTO-Regeln bestraft werden. Freiwilligen Technoloietransfer würde es nicht behindern, sondern die Position armer Staaten in Verhandlungen mit Pharmakonzernen stärken. Zudem würde die Patentpflicht auch für andere Mittel gegen Corona ausgesetzt wie für Testmaterial und Medikamente zur Behandlung Erkrankter.

Der Internationale Verband der Pharma-Hersteller (IFPMA) behauptet, jede Aussetzung von Patenten untergrabe den Anreiz zu Innovation. Das ist absurd. Abgesehen davon, dass Menschen nicht nur des Geldes wegen forschen: Entwickler und Hersteller von zugelassenen Corona-Impfstoffen werden auf jeden Fall gute Gewinne machen – bezahlt ganz überwiegend aus öffentlichen Mitteln, denn Staaten bezuschussen die Forschung und kaufen die Vakzine.

Kurz: Wie viel eine Aussetzung der Patentpflicht am Ende nützt, ist unsicher. Sicher ist aber, dass sie helfen könnte und nicht schadet – es sei denn es gilt als Schaden, wenn die Gewinne einiger großer Firmen aus dem Verkauf von Corona-Impfstoff ein bisschen kleiner ausfallen. Dieser Ansicht scheinen die Regierungen in Berlin, Bern, Washington und anderswo zu sein. Damit geben sie den Interessen von Pharmafirmen Vorrang vor der Not der Menschen im Süden. Sie sollten sich am Chef des Tübinger Biotech-Unternehmens Curevac ein Beispiel nehmen: Er tritt für eine Aussetzung des Patentschutzes ein, auch für den Impfstoff der eigenen Firma.

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