Teils bauen die neuen Pläne auf Vorschlägen der letzten Kommission auf. Sie sehen die Identifizierung, die Erfassung biometrischer Daten, die Registrierung sowie Sicherheits- und Gesundheitsprüfungen für alle irregulär ankommenden und aus Seenot geretteten Flüchtlinge und Migranten an den EU-Außengrenzen vor. Danach erhielte ein Teil direkt an der Grenze ein beschleunigtes Asylverfahren von in der Regel höchstens zwölf Wochen Dauer und mit einer Berufungsinstanz. Hiervon betroffen wären vor allem Menschen mit geringen Asylaussichten, weil sie aus Ländern mit Anerkennungsquoten in der EU von höchstens 20 Prozent stammen; in „Krisen“ soll dieser Schwellenwert allerdings auf 75 Prozent erhöht werden können. Die Grenzverfahren sollen ferner für andere Personen gelten, etwa solche, die ein Sicherheitsrisiko darstellten, nicht aber zum Beispiel für Familien mit Kindern unter zwölf Jahren. Bei einer Ablehnung soll direkt die Abschiebung oder freiwillige Rückkehr folgen, wieder in höchstens zwölf Wochen.
Mit Blick darauf, welches EU-Land für ein Asylverfahren zuständig ist – ob beschleunigt oder normal, ob an der Grenze oder im Inland –, soll wie bisher das Kriterium der ersten Einreise gelten: Betritt ein Asylbewerber zum Beispiel in Griechenland die EU und liegen keine gewichtigen Gründe dagegen vor, etwa Familienmitglieder in einem anderen EU-Land, dann ist Griechenland zuständig. Diese Regelung der aktuellen Dublin-Verordnung hat zu den hohen Zahlen von Asylbewerbern in den Mittelmeerländern beigetragen. Ihr stünden nach den Vorstellungen der Kommission künftig allerdings „Solidaritätsmechanismen“ gegenüber. Jedes andere Mitgliedsland müsste sich bei bestehendem „Migrationsdruck“ oder dem „Risiko“, dass solcher Druck entsteht, solidarisch zeigen. Dafür gibt es generell drei Optionen, die Wahlmöglichkeiten hängen aber von der spezifischen Situation ab.
Bei Option eins nimmt ein Land Asylbewerber oder anerkannte Flüchtlinge des besonders belasteten Landes bei sich auf („relocation“). Bei Option zwei übernimmt es die Verantwortung und Organisation freiwilliger Rückreisen und von Abschiebungen abgelehnter Bewerber aus dem besonders belasteten Land („return sponsorship“). Die dritte Art, „Solidarität“, käme in verschiedenen Maßnahmen zum Ausdruck, etwa der Kooperation mit Drittstaaten, um dem belasteten EU-Staat indirekt zu helfen, „Migrationstrends zu begegnen“.
Die Kooperation mit Drittstaaten tritt im Asyl- und Migrationspakt aber nicht nur im Rahmen der „Solidaritätsmechanismen“ auf, sondern allgemeiner als Baustein eines umfassenden Ansatzes zur Migrationssteuerung. Neben geografischen Schwerpunkten wie Afrika und dem Balkan nennt der Pakt nun auch Regionen wie Lateinamerika und Asien, etwa den Iran. Entwicklungshilfe nennt die Kommission ein „zentrales Element der Zusammenarbeit der EU“ mit den Drittländern, „auch in Migrationsfragen“. Besonders Druck machen will die Kommission bei der Rückübernahme abgelehnter Asylbewerber und Migranten. Hier könnten neben der Visapolitik auch „andere für die Drittstaaten relevante Politikbereiche“ als Hebel genutzt werden.
Die Kommission verweist an dieser Stelle auf die Erklärung eines EU-Gipfels von 2018, in der die Staats- und Regierungschefs „den Einsatz aller einschlägigen Maßnahmen, Instrumente und Möglichkeiten der Union – etwa in den Bereichen Entwicklung, Handel und Visa“ forderten, um Rückübernahmen voranzubringen. Als Druckmittel auszuschließen scheint die Kommission lediglich die humanitäre Hilfe.
Neben der Tendenz, Menschen aus Europa fernzuhalten oder wieder wegzubringen, enthält der Pakt Vorhaben für bessere geordnete Zugänge. Die Kommission möchte beispielsweise der Neuansiedlung („resettlement“) von Flüchtlingen einen festen Rahmen geben und Fachkräftepartnerschaften für legale Migration auf den Weg bringen.
Kritik von Pro Asyl und Amnesty: dieselbe Politik, nur schlimmer
Die Zivilgesellschaft hat vielfach ablehnend auf den Pakt reagiert. Pro Asyl und Amnesty International befürchten an den Außengrenzen weiter Lager mit elenden Zuständen und fehlenden Rechtsschutz. Der neue Pakt setze die bisherige Politik fort und verschlimmere sie noch. Mit Blick auf die Vorschläge zur Politik gegenüber Herkunftsländern kommentierte Anna Knoll vom European Centre for Development Policy Management (ECDPM) auf Twitter: „Keine Überraschungen“.
Auch der Migrationsexperte Martin Doevenspeck von der Universität Bayreuth sieht bei den geplanten Maßnahmen nichts Neues. Seit 2016 habe für die EU Priorität, dass vor allem afrikanische Regierungen ihre Bürger zurücknehmen – während diese auf die Rücküberweisungen ihrer Bürger und Bürgerinnen in Europa und anderswo angewiesen seien. Die Kommissionsvorschläge zur legalen Migration hingegen seien unter den EU-Regierungen nicht konsensfähig. Reaktionen vom Nachbarkontinent hat Doevenspeck bisher nicht wahrgenommen. Anna Knoll vom ECDPM hält eine harte Haltung der Länder in Afrika für denkbar, nach dem Motto: „Warum mehr kooperieren, wenn es zum Beispiel keinen Fortschritt bei legalen Migrationsmöglichkeiten gibt, die die EU als Teil einer umfassenden Partnerschaft seit Jahren versprochen hat?“
Die Europaabgeordnete Birgit Sippel fordert denn auch „bessere, ehrlichere Partnerschaften“ der EU mit Drittstaaten als bisher. Sie müssten sich um Lösungen im Sinne dieser Länder, im Sinne der EU und im Sinne der betroffenen Menschen drehen. In den aktuellen Vorschlägen kann die SPD-Politikerin diesen Ansatz nicht erkennen und urteilt mit Blick auf die Verknüpfung von Migrations-, Außen- und Entwicklungspolitik: „Hier geht es um unzureichende, einseitige Anreize oder sogar Erpressung.“
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