Auch eine Form des Eine-Welt-Engagements: Im Juni demonstriert ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Gruppen in Magdeburg gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.
Neue Gruppen und Initiativen entstehen, die Digitalisierung ermöglicht mit Social Media schnelle Formen der Mobilisierung. Eine junge Generation stellt Themen wie Klimawandel und Antirassismusarbeit in den Vordergrund. Manche seit Jahrzehnten bestehende Eine-Welt-Gruppe kämpft dagegen mit Mitgliederschwund und Nachwuchsmangel. Diese Veränderungen stellen die Eine-Welt-Landesnetzwerke in den 16 Bundesländern vor neue Herausforderungen.
Die Netzwerke unterstützen und verbinden Gruppen und Initiativen und verstehen sich als ihr politisches Sprachrohr. In ihrer Arbeit müssen sie sich auf den Wandel im Engagement einstellen. Wie das aussehen kann, untersucht das Eine-Welt-Netzwerk Nordrhein-Westfalen mit dem zweijährigen Projekt „Zukunft des Eine-Welt-Engagements“. Das Netzwerk vertritt rund 200 Mitgliedsgruppen und -initiativen sowie 1400 Personen zwischen Rhein und Ruhr und verfügt über Kontakte zu weiteren etwa 3000 Gruppen im Bundesland.
Als Beispiele für neues Engagement nennt Projektleiterin Tatjana Giese neben Aktionsbündnissen wie Fridays for Future oder Seebrücke – ein loses Bündnis, das sich für Geflüchtete einsetzt – den Verein Zugvögel. Der 2012 gegründete Verein hat einen Süd-Nord-Freiwilligendienst organisiert. Die Studenteninitiative Weitblick wiederum setzt sich für globale Bildungsgerechtigkeit ein, migrantische Organisationen unterstützen Projekte in ihren Heimatländern.
Der Fokus des Engagements der Netzwerkmitglieder, so Tatjana Giese, sei heute wesentlich breiter als noch vor 15 Jahren: „Neben der klassischen Partnerschaftsarbeit sind die Themen Nachhaltigkeit, Flucht und Migration sowie Lebensstile bei uns in den Mittelpunkt gerückt.“ Das könne allerdings auch zu einer Beliebigkeit des Begriffs „Eine-Welt-Arbeit“ führen. Im Rahmen des Projekts soll daher auch eine tragfähige Definition erarbeitet werden. Auf jeden Fall müsse ein „globaler Bezug“ der Themen erkennbar sein.
Aktionsbündnisse brauchen andere Unterstützung
In einer ersten Befragung wird zusammen mit Kirchen und Kommunen die Landschaft des Engagements im Bundesland recherchiert und eine Onlinedatenbank mit Initiativen erstellt. In einem zweiten Schritt werden die Beteiligten inhaltlich über ihre Ziele, ihre Probleme sowie ihre Wünsche an ein Netzwerk befragt. Dann werden dreistündige Gruppeninterviews geführt, die bereits erste Erkenntnisse gebracht haben. Demnach brauchen politische Aktionsbündnisse wie Fridays for Future oder die Seebrücke andere Formen der Unterstützung als ein klassischer Verein, der zum Beispiel Hilfe beim Aufbau von Strukturen oder für Fundraising benötigt. Die Aktionsbündnisse dagegen suchen vor allem die schnelle politische Unterstützung für ihre Themen.
Brot für die Welt und Misereor unterstützen das Vorhaben. „Auch für uns ist es wichtig zu wissen, wie sich die Landschaft der Akteure verändert und wie wir mit neuen Gruppen kooperieren können“, sagt Katja Breier von Brot für die Welt. Es sei gut, das exemplarisch in einem Bundesland genauer zu untersuchen. In mehreren „Zukunftswerkstätten“ sollen die Ergebnisse ab November 2020 zusammengetragen und diskutiert werden. Ziel ist es, Schritte zu identifizieren, wie das Netzwerk weiterentwickelt werden kann.
Direct-Fair-Trade ohne Weltläden
Die Frage, wie man am besten mit dem gesellschaftlichen Wandel umgeht, bewegt viele in der Eine-Welt-Arbeit, nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Sylvia Hank von der Werkstatt Solidarische Welt e.V. in Augsburg empfindet die Zusammenarbeit von etablierten und neuen Aktionsformen nicht immer als einfach. Die Solidarische Werkstatt, die vier Weltläden betreibt und Bildungsarbeit macht, besteht seit 40 Jahren. Die Themen der politisch engagierten jungen Generation hingegen seien solidarische Landwirtschaft, Postwachstum, Antirassismus und Postkolonialismus, Leben ohne Plastik oder Direct-Fair-Trade ohne Weltläden. Es gebe Anknüpfungspunkte, aber die Vernetzung mit den neuen Gruppen sei manchmal kompliziert, sagt Hank: „Ich wünsche mir da manchmal mehr gegenseitige Wertschätzung.“
Die Frage, ob der klassische Verein noch der vorrangige Ort von Eine-Welt-Engagement ist, könne man derzeit noch nicht beantworten, meint Simon Ramirez-Voltaire, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Eine-Welt-Landesnetzwerke. Alte und neue Formen des Engagements werden wohl erst einmal genauso nebeneinander bestehen wie analoge und digitale Formate, um Menschen zu erreichen. „Wir haben es hier mit einem spannenden Prozess zu tun, den wir unterstützen und mitgestalten wollen.“
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