Alejandro Grefa lächelt stolz, als die Besucher die Vielfalt der Pflanzen auf seinem Feld bestaunen. „Ich habe hier mehr als 60 verschiedene Pflanzen. Von den einen ernähren wir uns, Kaffee und Kakao verkaufen wir, und diese beiden Pflanzen hier am Boden nutzen wir für therapeutische Zwecke“, erklärt der 58-jährige Präsident der Kaffeekooperative Jatary. „Das ist Drachenblut und hilft bei Durchfall. Die Pflanze daneben hat antiseptische Wirkung. Sie heißt Yucilia und wird auch bei Schlangenbissen eingesetzt“, sagt Grefa, steht auf und führt die kleine Besuchergruppe zu einem stattlichen Kaffeestrauch. Knapp drei Meter ist die Pflanze groß, einige Äste biegen sich unter der Last der Früchte. Rote, reife Kirschen hängen neben grünen, hier und da sind weiße Blüten zu sehen.
Andreas Felsen nickt anerkennend. Der Hamburger Kaffeeröster und Gründer von Quijote-Kaffee ist wie jedes Jahr ein paar Tage zur Ernte in Ahuano. Die Kleinstadt im Amazonasgebiet Ecuadors liegt eine Fahrtstunde von der Provinzhauptstadt Tena entfernt. Regelmäßige Besuche bei den Genossenschaften, die Quijote-Kaffee mit grünen Biobohnen beliefern, gehören für das Kaffeekollektiv dazu. In Ecuador sind das derzeit fünf Kooperativen, die sowohl Robusta als auch Arabica anbauen.
Im Amazonas-Tiefland von Ahuano wächst ausschließlich Robusta – Napo Payamino heißt die lokale Sorte. Danach hat Andreas Felsen lange gesucht. Anfang 2010 bekam er vom Hamburger Kaffeeimporteur Thimo Drews den Tipp, dass in Ecuadors Amazonasregion Robusta-Kaffee in herausragender Qualität angebaut wird. Im Juni 2010, Quijote-Kaffee war gerade gegründet, machte Felsen sich auf die Suche. „Ich habe mich durchgefragt, bin hier am Río Napo dann auf die Schweizerin Sonja Stüssi getroffen, die mich schließlich mit Juan Andi von der Jatary-Genossenschaft bekannt machte. Das war der Beginn unserer Zusammenarbeit“, erinnert sich der Hamburger Kaffeepionier.
Feine aromatische Bohnen und partnerschaftlichen Handelsbeziehungen
Felsen, ein groß gewachsener Mittvierziger mit raspelkurzen Haaren und optimistisch funkelnden blauen Augen, ist ein Art Trüffelschwein – immer auf der Suche nach feinen aromatischen Bohnen und partnerschaftlichen Handelsbeziehungen. Das mittlerweile zehnköpfige Quijote-Kaffeekollektiv hat er 2010 gemeinsam mit Steffi Hesse aus der Taufe gehoben. Von Beginn an stand direkte Kooperation mit Produzenten wie Alejandro Grefa ganz oben auf der Prioritätenliste. „Unser Ziel ist, gemeinsam mit den Produzenten zu wachsen, besseren Kaffee zu ernten und zu rösten. Deshalb bin ich ein- bis zweimal im Jahr in Ecuador“, beschreibt Felsen den Ansatz.
Der trägt Früchte. „Unser Lebensstandard hat sich erhöht, wir wissen, dass wir ein Qualitätsprodukt anbieten, und trinken es auch selbst“, so Grefa mit einem stolzen Schmunzeln. Der nächste Schritt für die 49 Mitglieder zählende Genossenschaft, in der Frauen die Mehrheit stellen, ist die Anschaffung einer eigenen Röstmaschine. Sie möchten Röstkaffee mit dem eigenen Logo lokal anbieten. Dadurch fände mehr Wertschöpfung im Land statt.
Quijote-Kaffee begrüßt das ausdrücklich. Die Hamburger zahlen deutlich mehr als den Weltmarktpreis. Der lag für das Pfund Robusta Mitte 2019 an der Börse von London bei 0,82 US-Dollar, in New York wurde das Pfund Arabica mit 1,07 US-Dollar gehandelt. Das ist ruinös billig für die Produzenten. Quijote-Kaffee zahlt der Kooperative 2,80 US-Dollar pro Pfund Robusta. Dafür verlangen Felsen und seine Quijote-Kollegen Qualität. 84 Punkte müssen die Kaffees auf der SCAA-Skala der US-amerikanischen „Specialty Coffee Association“ erreichen; für höhere Qualitäten werden weitere Zuschläge gezahlt. „Dadurch fließen vom Endverbraucherpreis je nach Kooperative zwischen 26 und 34 Prozent zurück zum Produzenten“, so Felsen. Obendrein finanziert Quijote-Kaffee sechzig Prozent der Bestellmenge vor und beteiligt sich damit am Risiko von Fehlernten – und trägt der Tatsache Rechnung, dass Kredite in den Anbauländern oft extrem teuer sind.
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Auch Cristiana Alvarado, die Frau von Alejan-dro Grefa, sortiert heute Kaffeebohnen. „Wir leben bewusster als früher, schätzen unser traditionelles Anbausystem und die Tatsache, dass wir uns selbst versorgen“, meint sie. Dabei spielt auch der Schutz des Regenwaldes eine wichtige Rolle, der direkt an die Felder grenzt. Für die Volksgruppe der Kichwa, zu denen Jatary gehört, ist es ein Tabu, Regenwald für neue Felder zu roden. „Ausschließlich bereits gerodetes Land darf zur Anbaufläche werden“, erklärt Alejandro Grefa. „Dabei kontrollieren wir uns gegenseitig, denn das Land gehört allen.“ Dadurch wirkt die Genossenschaft wie ein Schutzpuffer für den Regenwald. Das ist ein wesentlicher Grund, weshalb mehrere internationale Kooperationspartner, darunter die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Kooperativen wie Jatary unterstützten.
Das hat günstige Wirkungen. „Das nachhaltige Chakra-Anbausystem wird aufgewertet. Es gibt erste Überlegungen, ein spezielles Siegel dafür aufzulegen“, sagt Andreas Felsen mit Verweis auf die GIZ. Für die Kichwa-Genossenschaften wäre das von Vorteil, und Quijote-Kaffee begrüßt das. Die Hamburger Direktimporteure beziehen ihren Biorohkaffee ausschließlich von unabhängigen, demokratisch organisierten Erzeugergenossenschaften.
Der internationale Kaffeehandel ist dagegen charakterisiert von einer jahrhundertelangen Geschichte der Ausbeutung, an der auch deutsche Kaffeehändler beteiligt waren, vor allem aus Hamburg und Bremen. Allerdings ist der Weltkaffeemarkt im Wandel. Große, den Markt dominierende Importgesellschaften wie Volcafe oder die Neumann-Kaffee-Gruppe und Röstkonzerne wie Nespresso oder Jacobs Douw Egberts stehen heute nicht nur Fairtrade-Handelshäusern gegenüber, sondern auch einer stetig wachsenden Zahl von Kleinröstereien und Direktimporteuren. Vorreiter sind Röster aus den USA wie Intelligentsia Coffee oder Counter Culture. In den 1990er Jahren begannen sie, den direkten Kontakt zu den Produzenten zu suchen und dafür zu sorgen, dass die aromatische Bohne heute mehr Wertschätzung genießt. Obendrein machen sie aus ihren Einkaufspreisen seit ein paar Jahren kein Geheimnis mehr.
Transparenz von Importeuren einfordern
Auch Quijote-Kaffee stellt alle Daten inklusive Röstprofile auf seine Homepage – und ist damit nicht allein. Der Kaffeeverein El Rojito, Pionier des direkten, solidarischen Handels in Hamburg, informiert ebenfalls offen über seine Mindestpreise von derzeit 2,15 US-Dollar pro amerikanisches Pfund Kaffee. Aroma Zapatista, die Kaffee von politisch aktiven Produzenten aus Mexiko und Kolumbien importieren, machen die Ankaufspreise in ihrem Jahresbericht transparent: 2,40 bis 2,50 US-Dollar plus Zuschläge werden gezahlt. Diesen Hamburger Pionieren könnten mit der im Juni vorgestellten Transparenzinitiative „The Pledge“ weitere folgen. Hinter „The Pledge“ (Das Versprechen) stehen 16 renommierte Röstereien aus den USA, Australien und Europa, darunter Quijote-Kaffee.
Für große Kaffeeimporteure könnte die Initiative zu unbequemen Nachfragen von Seiten der vielen Kleinröster führen, die sie beliefern. Bei „The Pledge“ kann jede Rösterei mitmachen, die auch nur einen direkt importierten Kaffee im Sortiment hat. Das könnte dazu führen, dass sie recherchieren, woher die anderen Kaffees der Importeure kommen und unter welchen Bedingungen sie produziert werden, hofft Andreas Felsen. Jede Rösterei, die beitreten will, soll Daten über importierte Mengen, gezahlte Preise, Qualität und Herkunft des Kaffees sowie Dauer der Geschäftsbeziehung preisgegeben. Die sollen später im Netz veröffentlicht werden.
Die gegenwärtigen Weltmarktpreise decken nicht einmal die Produktionskosten für 60 Prozent der Produzentinnen, schreibt der Kaffeeimporteur Volcafe in einer Pressemitteilung. Doch Konsequenzen zieht er daraus nicht. Die Unternehmen profitieren von den niedrigen Preisen, während in den Anbauländern die Zahl der Pleiten und der Migranten steigt, so die Studie „Kaffee zu Schleuderpreisen“ vom Forum Fairer Handel. Jüngstes Beispiel ist die Situation an der Südgrenze der USA.
Auch auf diesen Zusammenhang macht „The Pledge“ aufmerksam. In der Branche hat die Initiative viel Resonanz hervorgerufen. „Bisher haben mehr als hundert Röster ihr Interesse signalisiert“, freut sich Felsen, der sich für „The Pledge“ engagiert. Am Quijote-Firmensitz in Hamburg Rothenburgsort laufen die Anfragen aus Deutschland und den Nachbarländern ein. Von einigen wie Cross Kaffee aus Bremen, Heilandt aus Köln und „die Kaffeemacher“ aus Basel prangen schon die Logos auf der Website von „The Pledge“. Andreas Felsen hat bereits von ersten Rückfragen kleiner Röster bei den großen Importeuren erfahren. Etliche der etwa tausend Röster aus Deutschland, die zumindest einen Teil ihres Sortiments nicht direkt, sondern über Dritte importieren, werden ihren Lieferanten unbequeme Fragen stellen, hofft er. „Das kann eine ziemliche Dynamik entfachen.“
Das wäre im Sinne unserer Produzenten, meint Magnus Kerkeling von El Rojito. Der Kaffeeverein überlegt ebenso wie die Speicherstadt-Kaffeerösterei, der Initiative beizutreten. Das Fairtrade-Handels-Haus Gepa macht seinen Beitritt davon abhängig, wie die Daten aufbereitet und veröffentlicht werden. „Der Preis sagt erst etwas aus, wenn er in Bezug zu Qualität, Einkaufsmenge und Vertriebswegen gesetzt wird“, so die Pressestelle auf Anfrage.
Andreas Wessel-Ellermann von der Hamburger Speicherstadt-Kaffeerösterei ist weniger optimistisch als Felsen. „Sicher ist, dass die Initiative für Diskussion in der Kaffeeszene sorgen wird. Das garantieren die Namen der Röstereien dahinter“, sagt er. Von Seven Seeds aus Australien über Counter Culture Coffee und Intelligentsia Coffee aus den USA bis zum dänischen Coffee Collective sind die Pioniere der Branche bei „The Pledge“ vertreten. „Aber es gibt auch viele Röster, die die Herkunft des Kaffees nicht die Bohne interessiert“, sagt Wessel-Ellermann.
Dennoch: Der intransparente, von wenigen Konzernen dominierte Weltmarkt für Kaffee ist in Bewegung gekommen. Davon profitieren Genossenschaften wie Jatary. Sie haben mit Quijote-Kaffee einen langjährigen Partner und rösten mittlerweile auch ihren eigenen Kaffee für lokale Konsumenten – ein zweites, wenn auch noch kleines Standbein.
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