Marios Kampf für gute Preise

Fairer Handel
Fair gehandelter Kaffee ist nicht automatisch Bio. Eine Kooperative in Honduras schafft beides – doch reich wird sie auch damit nicht.

Der Wandel, sagt Mario Enrique Perez und tippt sich dabei mit dem Zeigefinger an die Stirn, „der beginnt hier oben“. Vom „cambio de chip“, dem Wechsel der Festplatte in den Köpfen der Kaffeebauern, weg von Chemiekeule und Gen-Saat, hin zu Bio-Dünger und Kompost, spricht er gerne und oft. Es ist das Credo des 62-Jährigen, auch sein ganz persönlicher Kampf. Den hatte er anfangs nicht nur mit den Mitgesellschaftern seiner Kooperative auszufechten, mit denen er Bio-Kaffee anbaut. Sondern auch mit Joselinda Manueles, seiner Frau.

Beide stehen im Garten ihrer Finca, inmitten von Kaffeepflanzen und Bäumen, an denen pralle Mandarinen, Zitronen und Mangos hängen. Es ist angenehm kühl auf 1200 Meter Höhe. Schon deswegen wächst hier, im Hochland von Honduras, rund um Marcala, der beste Arabica des Landes. „Cascabel“, Klapperschlange, haben Mario und Joselinda ihre Finca genannt und wie zum Nachdruck ein totes Reptil in ein Glas eingelegt. Die Schlange darin spritzt kein Gift mehr. Ebenso wenig wie Mario.

Doch die wenigsten Kaffeebauern in Honduras setzen auf Bio. Die meisten versprühen Pestizide, Fungizide, Kunstdünger – „und kultivieren damit den Tod“, schimpft Joselinda, während sie fast zärtlich über ein tiefgrünes Blatt streicht. Wie jeden Morgen prüft sie die Kaffeebäumchen, wässert und düngt mit einem Mix aus Kuhmist und Urin, wo die Blätter blass und die Zweiglein kraftlos wirken. Auch sie hat sich lange gewehrt: „Ich war der größte Gegner von Bio, ich war ignorant.“ Als Mario 2007 verkündete, er wolle die Finca nach den Regeln des Ökolandbaus beackern, schnitt sie ihn tagelang. Auch aus Sorge: „Ich hatte Angst, dass wir weniger ernten und nichts mehr zu essen haben würden.“

Diese Angst hat sie verloren. Seit die Familie Bio-Kaffee anbaut, haben sich der Ertrag erhöht und das Einkommen verdoppelt. Die Ausgaben sind um die Hälfte gesunken, denn Chemikalien sind teuer. Die 800 Kaffeebauern der Kooperative COMSA bekommen für ihre Bohnen nicht nur einen Biozuschlag. Sie haben mit Fairtrade International einen Vertrag geschlossen und erhalten von den Aufkäufern aus Europa auch einen fairen Preis. „Früher bestimmte allein der Zwischenhändler mit seiner manipulierten Waage, was wir bekommen“, sagt Mario Enrique Perez. Wer nicht organisiert ist, in Honduras noch immer jeder zweite Kaffeebauer, ist bis heute von diesen lokalen „coyotes“ abhängig.

Die zahlten im April, zum Ende der zurückliegenden Ernte, nur 100 oder 110 US-Dollar pro 45-Kilo-Sack, obwohl der konventionelle Rohkaffee an der Börse mit knapp 130 US-Dollar gehandelt wurde. COMSA jedoch bekam für seine biofairen Bohnen 190 US-Dollar von den Käufern aus Übersee: 140 US-Dollar, weil das der Fairtrade-Mindestpreis ist, 30 für die Bioqualität sowie 20 als Fairtrade-Prämie. Umgerechnet 1,3 Millionen Euro Prämie kamen dadurch zusammen. Mit diesem Geld schickt die Kooperative Kinder an die Uni, finanziert Mittagessen an den Schulen und Kurse im Ökolandbau oder kauft Röstmaschinen zur Wertschöpfung vor Ort.

Rund 80 Prozent der Kaffee-Ernte können die Bauern von COMSA zu biofairen Konditionen und damit zu einem höheren Preis verkaufen. Der Markt ist da: Immer mehr Konsumenten in Europa achten darauf, dass nicht nur das Biosiegel, sondern auch das Logo eines fairen Anbieters auf der Kaffeepackung abgedruckt ist. Zwei von drei Fairtrade-Kaffees sind inzwischen auch Bio. Das findet Mario nur konsequent: „Was hilft uns Produzenten ein fairer Preis, wenn wir wegen der giftigen Pestizide krank werden, wenn die Natur stirbt und unsere Böden auslaugen?“

Bei Wilfredo Olivera holt er sich jedoch eine Rüge ab. „Die Mikroorganismen und Proteine sind okay, aber es fehlt an Mineralien“, moniert der Biologe. In seinem kleinen Labor auf der Finca Fortaleza, der Lehrfarm von COMSA, können die Mitglieder der Kooperative kostenlos die Qualität ihrer Böden untersuchen lassen. Enthalten sie genügend Mineralien und Bakterien? Zu viele Metalle? Rückstände von Pestiziden? „Wir können den Boden erst richtig bearbeiten, wenn wir wissen, in welchem Zustand er ist“, sagt Olivera.

Nicht weit vom Prüflabor holt sich Mario die fehlenden Mineralien aus einer großen, überdachten Halle. Auf Regalen sind Behälter mit eigenem Saatgut aufgereiht, COMSA ist unabhängig von den Saatgutkonzernen. Daneben stehen eine große Kompostieranlage, Mineraliendepots und mehrere blaue Plastiktonnen. Mario hebt einen Deckel, es riecht übel, doch der Mix aus Küchen- und Feldabfällen, zermahlenen Steinen und Wasser liefert ihm einen potenten Bio-Dünger, den er in eine Flasche füllt.

Höhere Erträge, bessere Böden, weniger Wasser – diese Aspekte habe der faire Handel lange vernachlässigt und ausschließlich auf soziale Komponenten gesetzt, sagen Kritiker. Nachhaltigkeitsinitiativen wie Utz Certified oder Rainforest Alliance achten stärker auf höhere Erträge und Umweltschutz. Allerdings zahlen beide weder einen festen Mindestpreis für die Ernte noch eine faire Prämie. Das macht sie günstig und bei Lebensmittelkonzernen wie Nestlé oder Mars sowie bei den Verbrauchern in Deutschland beliebter.

COMSA liefert weder an Utz noch an die Rainforest Alliance. Die sozialen Aspekte des fairen Handels seien nicht verhandelbar, sagt der Chef der Kooperative, Rodolfo Penalba. Erst der Einstieg in den fairen Handel habe vielen Kleinbauern den Umstieg auf Öko ermöglicht. „Für unsere Biobohnen bekommen wir pro Pfund 30 Cent mehr als für konventionellen Kaffee, und mit diesem garantierten Festpreis können wir besser planen, Bio-Berater engagieren oder aus unseren eigenen Reihen ausbilden lassen.“ Zudem können die Kleinbauern über die Prämie eventuelle Verluste in der Umstellungsphase von konventionell auf bio ausgleichen.

Im Lager von COMSA stapeln sich die Kaffeesäcke bis zur Decke. In der einen Ecke steht eine digitale Waage, die Bauern bekommen eine Quittung für die gelieferte Ware, 5000 Tonnen während der vergangenen Ernte. In der anderen Ecke sortieren Frauen die trockenen Bohnen. Die grünen gehen in den Export, die schwarzen landen in heimischer Billigware, es duftet stark nach Kaffee. „Eine einzige schlechte Bohne kann die ganze Lieferung verderben“, sagt Rodolfo.

Bei der letzten Ernte war jede siebte Bohne schlecht, das sind fast 15 Prozent. Für sie bekamen die Bauern keinen guten Preis, in guten Jahren liegt der Ausfall bei zwei Prozent. Verursacht hat die Verluste La Roya, ein Pilz, der Kaffeepflanzen zerstört, und in den vergangenen drei Jahren viele Plantagen in Mittelamerika heimgesucht hat. „Es war auch für uns hart, doch Fairtrade federt die Rückschläge durch den garantierten Preis und die Prämie ab“, erklärt Penalba. Zudem erhielten die betroffenen Bauern Bio-Dünger und gesunde Setzlinge. „Der Pilz kann nur wachsen, wo Böden und Pflanzen schwach sind“, erklärt Biologe Wilfredo Olivera.

Bei Mario Enrique Perez und Joselinda Manueles stehen Schüsseln mit Tortillas, Bohnenmus, Möhren und Kürbis auf dem großen Holztisch. „Alles aus dem eigenen Garten“, sagt Joselinda, selbst das Hühnerfleisch stammt von der Finca. Dass La Roya die Familie nicht in den Bankrott trieb, liegt auch daran, dass sie neben Kaffee auch Obst und Gemüse anbauen. Damit hatten sie trotz der Ausfälle durch den Pilz ein Einkommen. Was sie nicht selbst aßen, verkaufte Joselinda auf dem Markt in Marcala. Fünf Lempira, umgerechnet 20 Cent, bekommt sie für einen Pfirsich. 40 Cent für sechs Tomaten.

Die wichtigste Einnahmequelle in Honduras bleibt jedoch der Anbau und der Export von Kaffee. Acht Millionen Menschen leben in dem mittelamerikanischen Land, einer Million davon gibt der Kaffee Arbeit. Er trägt 37 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und ist das wichtigste Agrarexportgut; Bananen sind auf Platz zwei gerutscht. Rund sechs Millionen Zentner Rohkaffee wurden zuletzt in Honduras produziert, doppelt so viel wie zur Jahrtausendwende. Doch nur ein Prozent davon wird laut Kaffeeinstitut im Land getrunken. Die meisten Kaffeebohnen landen in Deutschland, in den USA und in Japan.

Rohkaffeehändler wie die Hamburg Coffee Company und die Verbraucher wollen einen Nachweis, dass die Fairtrade-Prämie in soziale Projekte fließt, dass keine Kinder mitarbeiten und der Boden keine Gifte enthält. Diese Nachweise liefern bei COMSA fünf verschiedene Zertifizierer, jeder Markt verlangt ein eigenes Siegel. „Das macht fünf separate Rechnungen“, kritisiert Kaffeebauer Mario. Damit Röster wie Wertform oder Darboven, aber auch Handelsketten wie Rewe oder Edeka das Fairtrade-Siegel auf die Verpackung drucken können, zahlt COMSA rund 2500 Euro im Jahr an das Auditunternehmen FLO-Cert. Für das Bio-Siegel kommen weitere 17.000 Euro an den Zertifizierer Bio Latina hinzu.

Autorin

Martina Hahn

ist freie Journalistin mit den Themenschwerpunkten nachhaltiger Konsum, fairer Handel und Entwicklungspolitik. Sie ist Mitautorin des Ratgebers „Fair einkaufen – aber wie?“ (Brandes & Apsel).
Das verschafft den COMSA-Bauern einen Zugang zu neuen Märkten und verhilft ihnen zu einer besseren Organisation. „Durch die Dokumentation wissen wir, wo wir heute stehen, wie wir wirtschaften, wo wir besser werden können“, sagt Kooperativen-Chef Rodolfo Penalba. Manche Mitglieder haben erst durch die Zertifizierung einen Kredit von der Bank bekommen – sie hatten die Ernte quasi schon verkauft, einen Abnehmer, eine Sicherheit.

Die Kosten für die Zertifizierungen sind aber auch vielen Bauern ein Dorn im Auge. Sie finden, dass ein kürzeres Audit mit weniger Experten nicht unbedingt oberflächlicher sein muss. Auch Penalba würde eine Kontrolle von Bio und Fair aus einer Hand begrüßen. „Die doppelten Kosten sind kein geringer Posten im Budget.“ Mario Enrique Perez wird deutlicher: „Das Geld sollte bei uns, den Produzenten, bleiben. Wir brauchen es.“

Denn der einzelne Kaffeebauer macht auch im fairen System keinen nennenswerten Gewinn. Der Mindestpreis decke nur die Produktionskosten – „für viele ein Nullsummenspiel“, sagt Penalba. Ist der faire Preis fair? „Nein“, sagt Mario Enrique Perez. Zwar bleiben ihm über den fairen Handel rund 30 Prozent des Endverkaufspreises. Bei Bauern, die an den konventionellen Handel liefern, sind es nur sieben bis zehn Prozent. Dennoch landet auch bei ihm das Gros des Profits beim Röster und beim Handel. Von der jüngsten Ernte blieben seiner Familie unter dem Strich 1000 US-Dollar.

Könnte Fairtrade nicht einfach den Mindestpreis erhöhen? Nein, sagt COMSA-Chef Penalba.  „Das geht erst, wenn Verbraucher bereit sind, für den Kaffee mehr zu bezahlen.“ Dass die Menschen sein Produkt genießen, hat ihn bei seinem ersten Besuch in Hamburg vor einigen Jahren stolz gemacht. „Ich spürte so etwas wie Wertschätzung unserer Bohnen.“ Bis er ernüchtert im Supermarkt den Preis für die Pfund-Packung sah – so viel höher als das, was die Kaffeebauern erhalten. Fair wäre ein Erntepreis von 220 US-Dollar pro Sack, „das würde niemanden strangulieren, nicht die Aufkäufer, nicht die Röster, nicht den Handel, auch nicht die Endkunden“, meint der COMSA-Chef. „Dann könnten wir endlich von unserem Kaffee leben“, sagt auch Mario Enrique Perez.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2015: Demokratie: Die bessere Wahl
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