Die 22-jährige Janet wurde in Libyen vergewaltigt und dadurch schwanger. Zurück in Nigeria hat sie einen schweren Stand.
Die 22-jährige Janet wirft in ihrer Einzimmerwohnung in Benin City im Südwesten Nigerias einen schmerzerfüllten Blick auf ihr Baby, das auf einer Matratze auf dem Boden schläft. „Sie anzuschauen, erinnert mich an die Vergangenheit“, sagt Janet traurig. „Der Vater meines Kindes ist ein Libyer, ich möchte mich nicht an ihn erinnern, ich möchte mich an nichts erinnern, was mit ihm zu tun hat“, fügt sie hinzu. Aber die Begegnung kann die schlanke Mutter mit hellerer Haut kaum vergessen.
Vor drei Jahren schloss sich Janet einer Gruppe von Nigerianerinnen und Nigerianern an, um nach Libyen zu reisen mit der Hoffnung, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Die Reise, für die Janet umgerechnet rund 2275 Euro bezahlte, wurde von Schleusern arrangiert. Auf dem schwierigen Weg durch die Sahara starben viele der Flüchtenden an Hunger und Durst. Bei der Ankunft in Libyen erklärten die Schleuser, die Reise habe nun doch doppelt so viel gekostet, wie Janet anfangs bezahlt hatte, und verkauften sie und andere als Sklaven. „Die Libyer, die mögen es, nigerianische Mädchen zu vergewaltigen, besonders wenn sie schlank sind und hellere Haut haben. Deshalb haben sie mich gefangen genommen“, sagt Janet.
Sie wurde von einem Libyer festgehalten, den sie einen „bösen Mann“ nennt. Er habe sie über mehrere Monate hinweg missbraucht. „So wurde ich schwanger“, sagt sie. Sie schaffte es, zu fliehen, und ist schließlich mit Hilfe der Internationalen Organisation für Migration (IOM) nach Nigeria zurückgekehrt.
In den vergangenen zwei Jahren hat die IOM mehr als 10.000 Nigerianerinnen und Nigerianern geholfen, die sich wie Janet auf die gefährliche Reise durch die Sahara nach Libyen gemacht hatten. Viele, die auf der Suche nach einem besseren Leben in Europa ihr Zuhause verlassen haben, sind in Libyen gestrandet. Dort haben die Schleuser sie in den Händen krimineller Banden zurückgelassen, welche sie dann in die Sklaverei verkauft haben. Viele Nigerianerinnen werden nun, nach Versklavung und Misshandlung durch Libyer, zurück in ihre Heimat gebracht. Die meisten kehren voller Scham angesichts des gescheiterten Traums von Europa und einem besseren Leben zurück. Für Janet kam noch die Blöße hinzu, im siebten Monat schwanger zu sein.
Scham und Hohn
Ihre Schwangerschaft und die folgende Geburt lassen keine Zweifel daran, dass sie in Libyen sexuell missbraucht wurde. Sie sagt, viele Familienmitglieder und enge Freunde, die ihr eigentlich Mitgefühl entgegenbringen sollten, machten sich stattdessen lustig über sie. „Leute lachen mich auf der Straße aus, Leute, mit denen ich früher gespielt habe, meine Freunde, sie lachen über mich“, sagt sie. „Sie sagen: Schaut sie an, sie ist nach Libyen gegangen und schwanger zurückgekommen. Manchmal schäme ich mich dann.“
Janets Geschichte ist kein Einzelfall. Die meisten der Tausende nigerianischer Frauen, die in Libyen gefangen gehalten werden, werden sexuell missbraucht, viele kehren schwanger oder mit dem Baby ihres libyschen Geiselnehmers nach Hause zurück.
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Die nigerianischen Frauen, die mit Kindern oder schwanger heimkehren, reden nicht über das Geschehene, offenbar um der Stigmatisierung als Vergewaltigungsopfer zu entgehen. Das macht es schwierig, eine präzise Zahl der Kinder zu ermitteln, die durch die Vergewaltigung von einem libyschen Mann entstanden sind.
Doch das Schweigen über die schlimme Zeit in Libyen erspart den Heimkehrerinnen nicht, stigmatisiert zu werden: Sie werden als Frauen angesehen, die die Kinder ihrer Vergewaltiger mit nach Hause bringen. Viele dieser Kinder haben sehr helle Haut, vor allem kurz nach der Geburt. Das zeigt, dass sie die Kinder libyscher Väter sind. Der nigerianische Spitzname für diese Kinder ist „Arabu-Kinder“. Das lässt sich mit „Kind eines Arabers“ übersetzen. Viele Nigerianer betrachten die „Arabu-Kinder“ als eine Art Kuriosität, denn Kinder mit nigerianischen und arabischen Eltern sind sehr selten in Nigeria. Erst seit die aus Libyen heimkehrenden Frauen ihre Kinder mitbringen, sieht man sie häufiger.
Als Folge einer Vergewaltigung ein „Arabu-Kind“ zu bekommen, ist ein Alptraum für Frauen. „Die Leute um mich herum, zum Beispiel meine Familie, schließen mich aus, weil ich ein weißes Kind nach Hause gebracht habe, dazu noch ohne Vater“, sagt Gloria. „Meine Freunde sagen mir das manchmal, um sich darüber lustig zu machen, dass ich ein uneheliches Kind habe, ein weißes Kind, aus dem Land eines Mannes, den ich nicht kenne und der niemals sein Kind kennenlernen wird.“
Wunsch nach Abtreibung
Viele der mit Babys heimgekehrten Frauen kommen aus sehr armen Verhältnissen. Ihre Familien waren davon ausgegangen, dass sie es nach Europa schaffen und von dort Geld nach Hause schicken würden. Wenn die Tochter mit einem Baby zurückkommt, statt die Erwartung zu erfüllen, Europa zu erreichen, wendet sich in vielen Fällen die Familie von ihr ab und begegnet ihr feindlich. Hinzu kommt die Wut der Familien, die das Gefühl haben, dass das Kind eine weitere wirtschaftliche Belastung darstellt.
Das war der Fall bei Gladys, die mit einem kleinen Jungen nach Hause zurückkehrte. „Als ich meiner Mutter sagte, dass ich das Kind ins Bett bringen muss, sagte sie mir, dass die Leute in meinem Alter ins Ausland reisen und Geld verdienen. Alles, was mir meine Reise hingegen eingebracht hat, ist ein Kind ohne Vater.“ Sie sagt, manche ihrer Geschwister meinten, am besten werde sie das Kind los. „Als ich in Libyen war, wollte ich das Kind abtreiben, ich habe viele Medikamente ausprobiert, aber keines hat gewirkt“, sagt sie. Zurück in Nigeria hat Gladys ein wenig Unterstützung von der Internationalen Organisation für Migration erhalten.
Neben der Feindlichkeit ihrer Familien müssen die Frauen und ihre Kinder manchmal den Ärger einiger Nigerianer ertragen, die in Libyen Folter, Versklavung, Hunger und sexuellen Missbrauch erlitten oder davon gehört haben. Gladys meint, manche, die wütend auf die Libyer seien, klagten Mütter wie sie an, libysches Blut nach Nigeria zu bringen. „Sie sagen, dass Libyer schlecht sind und wir trotzdem Libyer zurück nach Nigeria bringen“, erzählt sie.
Gloria sagt, dass Frauen wie sie Schwierigkeiten haben würden, ihre Kinder großzuziehen – Kinder, die wahrscheinlich nie ihren Vater kennenlernen werden. Was werden Mütter wie Gloria oder Janet ihren Kindern erzählen, wenn diese aufwachsen? „Ich bete nur, dass ich wissen werde, wie ich meiner Tochter, wenn sie groß ist, meine Geschichte so erzählen kann, dass sie mir glaubt“, sagt Janet. „Wenn ein Kind aufwächst, fragt es irgendwann: Mum, wo ist mein Dad? Es muss das fragen, und ich mache mir Gedanken, wie ich damit umgehen soll, wie ich ihr erzählen soll, wer ihr Vater ist.“ Doch einige Mütter versuchen, den Schmerz ihres gescheiterten Traumes von Europa hinter sich zu lassen und nach vorne zu schauen. „Manchmal, wenn ich mich schlecht fühle, bin ich trotzdem gleichzeitig froh, denn Gott hat mich mit diesem Kind gesegnet“, sagt Janet.
Die Namen der Frauen wurden geändert.
Aus dem Englischen von Miriam Charlotte de Hohenstein.
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