Zensur findet nicht mehr statt

Äthiopien
Äthiopien ist freier und offener geworden seit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Abiy Ahmed. Das spüren auch die Journalisten des Landes. Manche sehen aber neue Gefahren heraufziehen.

Ein Zeitungskiosk in Addis Abeba, der Hauptstadt von Äthiopien. Das Angebot an Publikationen, auch englischsprachigen, kann sich sehen lassen. „Proteste in Oromia wegen der Übergabe von Wohnungen an Hauptstadt-Einwohner“ ist zum Beispiel auf Seite 9 von „The Reporter“ zu lesen, einer Wochenzeitung für 5 Birr (umgerechnet 15 Cent), die sich für „freie Presse, freie Rede, freier Geist“ einsetzt. „Capital“ wiederum, eine Wochenzeitung, die das „freie Unternehmertum“ preist, berichtet, dass sechs Regionalstädte nun Verkehrsschilder anbringen wollen. „Fortune“, „die Zeitung, in der der „Inhalt wichtig ist“, schreibt über die „wirtschaftlichen Wurzeln soziopolitischer Probleme“. Und im Supermarkt liegt an der Kasse die englischsprachige „China Daily“. Kein Wunder, bauen die Chinesen in der Nachbarschaft gerade eines der höchsten Häuser der Stadt.

Zurück zum Kiosk: Die Zeitungen und Magazine in den Landessprachen heißen etwa „Addis Zemen“ – Neues Zeitalter – oder „Woyen“ – Revolution. Und relativ neu ist hier die Wochenzeitung „Ethiopis“, sie wird von Eskinder Nega herausgegeben. Der 50-jährige ist einer der bekanntesten Journalisten des Landes und saß etliche Jahre im Gefängnis.

Ich treffe ihn in einem Bürogebäude nahe dem äthiopischen Parlament. Hier hat Eskinder drei Räume angemietet und produziert mit zwei anderen Journalisten seine  24-seitige  Wochenzeitung. Wir sprechen über die gegenwärtige Situation der Presse in Äthiopien, auch über die Jahre seiner Haft. „Das war hart, aber ich bin nicht verbittert“, sagt er. Warum bleibt er in Äthiopien und geht nicht in die USA, wo seine Frau und sein in der Gefangenschaft zur Welt gekommenes Kind leben? „Ich habe hier meine Pflichten, den Menschen gegenüber und dem Demokratisierungsprozess“, lautet seine Antwort.

Zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt

Die Biografie von Eskinder ist auch Teil der Pressegeschichte und der Geschichte der Meinungsfreiheit in dem ostafrikanischen Land. 2005 wurde er im Zuge der Unterdrückung der Opposition zusammen mit 129 anderen Journalisten und Politikern verhaftet, auch seine Frau wurde festgenommen. Zwei Jahre später wurde er freigelassen, 2011 allerdings erneut verhaftet und 2012 wegen „terroristischer Aktivitäten“ zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Amnesty International erklärte ihn zum politischen Gefangenen und der amerikanische PEN sprach ihm eine Auszeichnung für mutigen Journalismus zu. Am 14. Februar 2018 wurde er im Zuge der neuen Politik von Ministerpräsident Abiy Ahmed aus der Haft entlassen.

Autor

Rudolf Stumberger

lehrt als Privatdozent Medien­soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und arbeitet als Publizist und Journalist für internationale Zeitungen und Zeitschriften.
Um die Hintergründe zu verstehen, muss man sich ein wenig der Geschichte des Landes widmen. Ausgangspunkt ist dabei die große politische Wende 1991, als das bis dahin regierende Militärregime nach jahrelangem Bürgerkrieg von den vereinten Oppositionsbewegungen gewaltsam von der Macht vertrieben wurde. Die neue Koalitionsregierung installierte einen verfassungsmäßigen Rahmen, in dem sowohl die Menschenrechte als auch die Pressefreiheit garantiert wurden. So finden sich in Artikel 29 der Verfassung das Verbot jeder Zensur, das Recht der Bürger auf Information und die Garantie der Unabhängigkeit privater Medien. Nachdem die Pressefreiheit jahrelang unterdrückt worden war, schien die neue Regierung eine neue Epoche einzuleiten; so wurden zwischen 1992 und 1997 mehr als 200 Zeitungen und 87 Magazine registriert.

Allerdings verschlechterte sich die Beziehung zwischen Regierung und privater Presse rapide. Der große Rückschlag kam nach den Wahlen von 2005: Fünfzehn Journalisten und mehr als einhundert Oppositionelle wurden verhaftet und wegen Hochverrats und Aufruhr angeklagt. Im November 2005 veröffentlichte die Regierung eine schwarze Liste mit den Namen von Journalisten und Herausgebern, in der Folge wurden acht Zeitungen geschlossen und viele Medienleute verließen das Land. Den verbliebenen Journalisten blieb anhand eines rigiden Antiterror-Gesetzes, das allein schon die Berichterstattung über die Opposition für kriminell erklärte, nur die Selbstzensur. Zu Jahresbeginn 2018 lag Äthiopien in Sachen Pressefreiheit nach der Einschätzung von Reporter ohne Grenzen noch  auf Platz 150 von 180 Ländern.

Der neue Ministerpräsident ließ das Pressegesetz überarbeiten

Die Wende kam mit den Wahlen vom April 2018: Der neue Ministerpräsident Abiy Ahmed begann zügig, Reformen anzupacken, und ließ das Anti-Terror-Gesetz als auch das Pressegesetz überarbeiten. Journalisten und Oppositionelle wurden aus den Gefängnissen entlassen, Exilanten konnten nach Äthiopien zurückkehren, die Blockade von 264 Webseiten wurde aufgehoben. In der Folge erlebte das Land eine Welle von Neugründungen: Seit Mai 2018 wurden zwei Dutzend neue Zeitungen und Magazine aus der Taufe gehoben.

Die Situation der Presse und allgemein der Menschenrechte in Äthiopien hat sich seit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Abiy Ahmed „deutlich verbessert“, lautet das Fazit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Addis Abeba. Das Büro der Stiftung liegt im Norden an der vielbefahrenen Queen-Elizabeth-II-Straße. Und hier fand Ende Februar dieses Jahres eine Diskussionsrunde über die Rolle der Medien für den Demokratisierungsprozess in Äthiopien statt. Mit dabei waren Leute aus der Medienszene des Landes wie Tamrat Gebregiorgis, Chefredakteur des privaten Wirtschaftsblattes „Fortune“, oder Nathenael Feleqe Aberra, ehemaliges Mitglied der oppositionellen „Zone9“-Bloggergruppe, die sich Fragen der Menschenrechte und sozialen Themen widmet.

Auch Eskinder sieht die Situation der Meinungsfreiheit gebessert. Doch er zeigt mir die aktuelle Ausgabe seiner Wochenzeitung.  Die Schlagzeile auf der Titelseite verweist auf eine Geschichte im Blatt, die sich kritisch mit der Bevölkerungspolitik der neuen Regierung auseinandersetzt, weil sie die Gruppe der Oromo bevorzuge. Die Oromo sind die größte Gruppe im Vielvölkerstaat Äthiopien, haben sich aber schon immer gegenüber den Amharen und Tigri im Nachteil gefühlt.

Mit Abiy Ahmed wurde erstmals ein Oromo Regierungschef des Landes, und Eskinder fürchtet eine neue, ethnisch motivierte Politik: „Sie wollen eine Neudefinition von Äthiopien.“ So gebe es Pläne, eine halbe Million Oromo in der Hauptstadt anzusiedeln. „Das kann nicht Aufgabe der Regierung sein, dazu haben sie kein Mandat“, kritisiert er.

Und er berichtet von einer neuen Qualität der Bedrohung. Die Gefahr gehe nun nicht mehr von staatlichen Stellen aus, sondern von bestimmten Gruppen aus der Oromo-Bevölkerung. Die von Abiy Ahmed angestoßenen Reformen sieht er mittlerweile durch zunehmende ethnische Spannungen im ganzen Land gefährdet.

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Sehr geehrte Damen und Herren,
Ihr Artikel erweckt den Eindruck, als ob es im April 2018 Wahlen in Äthiopien gegeben habe. Abiy Achmed ist nach dem Rücktritt von Hailemariam Desalegn Ende Februar 2018 am 27. März 2018 von der regierenden EPRDF zunächst zum Vorsitzenden und am 2. April vom äthiopischen Parlament zum Premierminister gewählt worden. Seine Reformen, die Amnestie politischer Häftlinge, die Rücknahme staatlicher Repression, die Pressefreiheit, die wirtschaftlichen Reformen, etc. wurden nicht nur von vielen Äthiopiern mit frenetischem Jubel begrüßt, sondern auch die westliche demokratische Welt ist begeistert. Aber die Stimmung in Äthiopien kippt. Abiy hat politische Feinde, wie nicht nur der missglückte Putschversuch in Amhara vom 22. Juni gezeigt hat. Politische Kontrahenten finden sich auch unter seinen Oromo-Landsleuten, die entlang der bisher unterdrückten ethischen Konfliktlinien eine Anti-Abiy-Stimmung in der Oromo-Bevölkerung anheizen.

Gestern Abend soll das Haus des politischen Aktivisten und Betreibers des Oromia Media Networks, Jawar Mohammed, der mittels der sozialen Medien besonders die jungen, oftmals arbeitslosen jungen Männer aufstachelt, gegen Abiy zu protestieren, in Addis Abeba von Polizei umstellt worden sein. Vorausgegangen sein soll eine Pressemitteilung Abiys, in der sinngemäß davon gesprochen wird, dass man Maßnahmen gegen Leute einleiten werde, die den Frieden unterminierten und die Existenz Äthiopiens bedrohten. Jawar verbreitete gestern Nacht über Facebook, dass die Drahtzieher der polizeilichen Maßnahmen seine Ermordung planten. Es kam zu Zusammenrottungen junger Männer, die u. a. „Abiy down“ schrien. Heute Morgen sollen sich die Proteste in Addis Abeba und mehreren anderen Städten in Oromia ausgeweitet haben, und es sollen Menschen verletzt und getötet worden sein.

Die westliche Welt sollte Abiy bei seinen Reformvorhaben massiv unterstützen, und zwar schnell!

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erschienen in Ausgabe 11 / 2019: Aufbruch am Horn von Afrika
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