Raimundo Jorge de Souza sitzt im Schaukelstuhl auf dem Hof seines Hauses in Xapuri. Der ehemalige Kautschukzapfer blickt auf die grünen Weiten des Amazonas und kämpft mit den Tränen, als er sich an Chico Mendes erinnert. Der bekannte Umweltschützer, der sich für den Erhalt des Regenwaldes und die Rechte der Landarbeiter eingesetzt hatte, musste sein Engagement mit dem Leben bezahlen. Am 22. Dezember 2018 jährte sich seine Ermordung zum 30. Mal. „Er hatte eine wunderbare Vision der Welt, in der er die Rechte und die Lebensqualität armer Menschen mit dem Schutz der Natur verbunden hat“, sagt Raimundo Jorge de Souza.
Chico Mendes, ein einfacher Kautschukzapfer, der erst mit 18 Jahren lesen lernte, wurde durch sein Engagement weltberühmt und machte auf die Rechte tausender Familien aufmerksam, die im Regenwald lebten. Er gründete eine Gewerkschaft für Landarbeiter und stoppte so die Entwaldung und die Vertreibung von Indigenen aus der Region, die Großbauern aus dem Süden Brasiliens in den 1970er Jahren anführten. Mit seinem Kampf erreichte er, dass die Bewohner des Amazonasgebietes auf ihrem Land bleiben konnten. Doch er kam mächtigen Interessengruppen in die Quere und wurde von einem Großgrundbesitzer auf der Schwelle seines eigenen Hauses in Xapuri im Bundesstaat Acre erschossen.
Erster Sieg für die Agrarlobby
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Wie "Tiere im Zoo"
Vor und nach seiner Wahl ließ Bolsonaro keine Gelegenheit aus, um die Indigenen am Amazonas zu beleidigen. Im November 2018 sagte er, Brasilien halte sie wie „Tiere im Zoo“, und bezog sich dabei auf die Gebiete, die die Zentralregierung für diese Ethnien ausgewiesen hat. Die Tatsache, dass die Verfassung den Indigenen das Recht garantiert, auf ihrem angestammten Land zu leben, ignorierte Bolsonaro.
Schon im April 2017, lange bevor er seine Kandidatur bekanntgab, versprach er, Schluss zu machen mit den Reservaten der Indigenen und der Nachfahren schwarzer Sklaven, der Quilolomba-Gemeinschaften. „Für sie wird kein einziger Quadratzentimeter mehr ausgewiesen“, kündigte er an. Und um die Bewegung der landlosen Arbeiter zu bekämpfen, die das Agribusiness behindern, werde man Waffen an die Bauern verteilen. Der „landlose Eindringling“ komme ja schließlich auch „mit einem halbautomatischen Gewehr“ in der Hand, wetterte Bolsonaro.
„Solche Äußerungen spornen alle an, die ein Interesse daran haben, den Indigenen ihr Land wegzunehmen“, sagt Cléber Cesar Buzatto, Generalsekretär des indigenen Missionsrates. Die Zentralregierung spiele eine maßgebliche Rolle dabei, das landwirtschaftliche System in Brasilien umzubauen. „Alles deutet darauf hin, dass sie künftig ein Gegner sein wird, der seine Rolle, die Verfassung zu schützen, nicht erfüllt“, fügt Buzatto hinzu.
Besondere Vorsicht empfohlen
Seit der Wahl seien Mitglieder seiner Organisation bedroht worden. „Wir fürchten, dass die Einschüchterungsversuche in den kommenden Monaten zunehmen“, sagt er. Deshalb rufe der Missionsrat seine Vertreter dazu auf, für sich selbst und die Indigenen besondere Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Buzzato fürchtet außerdem, dass die Ansprüche, die Indigene derzeit auf ihr Land erheben, abgewiesen werden. „Sogar diejenigen, deren Land bereits demarkiert ist, müssen auf gewaltsames Eindringen gefasst sein.“ Seine Organisation wolle die Europäische Union und alle Länder, die Waren aus Brasilien importieren und sich um Menschenrechte und Umweltschutz sorgen, auf die Situation aufmerksam machen. „Wir hoffen, dass sie auf Verstöße achten und wirtschaftlichen Druck auf die Regierung ausüben“, sagt er.
Der Amazonas mit seinem Reichtum an Tier- und Pflanzenarten erscheint manchmal fast märchenhaft. Er ist eines der vielfältigsten Ökosysteme mit tropischem Regenwald, der mindestens ein Drittel der weltweiten Arten beheimatet, darunter 2500 Baum- und 30.000 Pflanzenarten. Er erstreckt sich über rund 4,2 Millionen Quadratkilometer, fast die komplette Fläche der Europäischen Union, und beherbergt das größte Flusssystem der Erde.
Zwischen 2004 und 2012 ging die Entwaldung im Amazonasgebiet dank eines Regierungsprogramms stark zurück: von 27.000 auf 4500 Quadratkilometer pro Jahr. Dazu beigetragen haben strengere Umweltauflagen, die Förderung nachhaltiger Produktion sowie die Ausweisung von Schutzgebieten und indigenen Territorien. Doch aufgrund von Budgetkürzungen war das Programm zuletzt weniger wirksam: Zwischen 2017 und 2018 wurden wieder 7900 Quadratkilometer Wald gerodet.
Von vielen Seiten bedroht
Das riesige grüne Gebiet wird von vielen Seiten bedroht. Auf nationaler Ebene kämen die größten Bedrohungen von Gesetzen, die die Entwaldung fördern und die Gebietsrechte der Indigenen durch Bergbau, den Bau von Staudämmen wie den von Belo Monte und industrielle Landwirtschaft verletzen, sagt Adriana Ramos vom nichtstaatlichen Institut ISA, das sich mit sozialen und ökologischen Fragen befasst . „Auf lokaler Ebene sind die Hauptgefahren Landraub, illegales Schürfen und Holzeinschlag, das Anlegen von Feldern und die Viehhaltung im Wald sowie Straßenbau.“
Die Expansion der Landwirtschaft ist für das Amazonasgebiet besonders gefährlich. Denn dieser Wirtschaftszweig steht im Mittelpunkt der jüngsten Bemühungen, die brasilianische Handelsbilanz zu verbessern. Im November 2018 war der Export solcher Produkte laut Daten der brasilianischen Denkfabrik Fundação Getúlio Vargas gegenüber demselben Vorjahresmonat um 65,2 Prozent gestiegen. Den mit Abstand größten Anteil an den brasilianischen Agrarexporten haben Sojabohnen mit einem Anteil mehr als 75 Prozent. Auch die Rohstoffindustrie wuchs im selben Zeitraum um 15,4 Prozent, exportiert wurden vor allem Öl, Eisen und Kupfer.
„Indigene und Quilolomba-Communities, deren Gebietsansprüche bislang nicht anerkannt wurden, sind am verletzlichsten“, sagt Adriana Ramos. Obwohl die Verfassung das Recht darauf garantiere, sei dies bei vielen Gruppen noch nicht geschehen. „Das Recht auf Land ist die wichtigste soziale Forderung im Amazonasgebiet.“ Erst wenn es verwirklicht sei, habe die indigene Bevölkerung Zugang zu anderen Programmen, die ihre Lebensqualität verbessern.
Unzufrieden mit der Arbeiterpartei
Sieben der neun nördlichen Bundesstaaten Brasiliens, die den Amazonaswald beherbergen, haben bei der Wahl mehrheitlich für Jair Bolsonaro und damit gegen den Bewerber der Arbeiterpartei (PT), Fernando Haddad, gestimmt. „Zweifellos haben 14 Jahre Regierung unter Führung der Arbeiterpartei den ländlichen Regionen schwere Zeiten beschert“, sagt der Amazonas-Experte der University von São Paulo, Pietra Cepero. Vor allem das Wachstumsprogramm PAC der Regierung und insbesondere der Bau von Staudämmen und Bahnstrecken hätten den Amazonas-Völkern Schaden zugefügt. „Die Regierung hat die Existenz dieser Völker einfach geleugnet, um die Projekte zu rechtfertigen. Und das hat sie auch ausländischen Investoren vermittelt.“
Autorin
Sarah Fernandes
ist Journalistin und Geografin in Brasilien. Sie berichtet über Menschenrechte und entwicklungspolitische Themen in Lateinamerika und Asien.„Wir werden wohl einer nach dem anderen aufgeben müssen, aber niemand wird sein Land so einfach verlassen“, unterstreicht der Führer der Kautschukzapfer in Xapuri, Osmarino Amancio. Die Kräfte seien ungleich verteilt, „aber wir werden kämpfen“. Allerdings sei die Justiz in Brasilien parteiisch – und sie stehe nicht auf der Seite der Arbeiter.
"Wir gehen in die Hölle"
Der neue Wirtschaftsminister Paolo Guedes komme aus einer neoliberalen Tradition und habe viele Erfahrungen in Chile gesammelt, berichtet Cepero. „Dort gehören die indigenen Gebiete und die Schutzgebiete nicht dem Staat. Die Landtitel sind in privater Hand.“ Das mache es Bauern und Indigenen leichter, ihr Land an große Bergbau- oder Landwirtschaftsunternehmen zu verkaufen, wenn sie Geld brauchen. „Doch dann sind sie landlos und ziehen an die Ränder großer Städte, ohne die Chance, sich dort zu integrieren.“
Laut dem Bericht der katholischen Menschenrechtsorganisation CPT führen drei Staaten im Amazonasgebiet die Mordstatistik an: Rodonia, Mato Grosso und Pará. „Wir kommen aus dem Fegefeuer und gehen in die Hölle“, sagt der Kautschukzapfer Osmarino Amancio. Er sehe keine günstige Perspektive für die brasilianischen Arbeiter in den kommenden Jahren, wenn sie nicht aufstehe und für ihre Rechte kämpfe. „Ich habe schon viele Kollegen in diesem Kampf verloren, aber ich weiß, dass sie und auch Chico Mendes froh wären, weil wir uns wehren.“ Die Zukunft des Amazonasgebietes malt Osmarino Amancio dennoch in düsteren Farben: „Die Armen werden im Elend versinken, wenige Reiche werden über immer mehr Land bestimmen und der Wald wird leiden.“
Aus dem Englischen von Gesine Kauffmann.
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