Seit über 150 Jahren ist die Schweiz Sitz von internationalen Organisationen, dazu zählen gegenwärtig 178 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen und gut 380 nichtstaatliche Organisationen. Rund 30 neue nichtstaatliche Organisationen kommen laut dem Bundesrat, der Schweizer Regierung, jährlich durchschnittlich dazu. Die große Mehrheit sitzt in Genf, weshalb die Stadt auch als das „internationale Genf“ bekannt ist.
Doch in den vergangenen Jahren hat die Stadt am gleichnamigen See durch andere Gastgeberstädte Konkurrenz bekommen, nicht zuletzt, weil Genf als teures Pflaster gilt. Mit einer im Februar vom Schweizer Bundesrat verabschiedeten Strategie für die kommenden vier Jahre, die gemeinsam mit dem Kanton Genf erarbeitet wurde, sollen deshalb „die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz als Gaststaat“ gestärkt werden, schreibt das zuständige Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) in seiner Medienmitteilung. Dafür hat die Regierung 111,8 Millionen Schweizer Franken beim Parlament beantragt. Sie verweist mit Blick auf Zahlen aus dem Jahr 2012 darauf, dass das internationale Genf 11,3 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt des Kantons Genf beigesteuert habe. Außerdem generiere die Präsenz internationaler Organisationen beträchtliche Steuereinnahmen: 2012 geschätzte 634,2 Millionen Franken, wovon 151,1 Millionen Franken in die Kassen des Bundes geflossen seien.
Wie passt die neue Stiftung mit dem sperrigen Titel „Geneva Science and Diplomacy Anticipator“ in diese Strategie? Sie soll helfen, neue Themenfelder zu besetzen, um das internationale Genf besser für die multilaterale Zusammenarbeit von morgen zu positionieren. Ziel der Stiftung sei es, die zukünftigen Themen der „Global Governance Agenda“ vorauszusehen – also zu antizipieren –, deren Auswirkungen zu analysieren und Lösungen für globale Aufgaben vorzuschlagen, schreibt das Departement für Auswärtiges auf Anfrage. Das EDA steuert drei Millionen Franken für die Pilotphase 2019-2022 bei, der Kanton Genf 300.000 Franken.
Diplomatische Arbeit in Silos?
Das multilaterale System sei weiterhin staatlich ausgerichtet und internationale Organisationen würden weitgehend in „Silos“ arbeiten, erklärt das EDA. Es fehle eine engere Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Forschung sowie der Privatwirtschaft. Das internationale Genf riskiere, an Bedeutung zu verlieren, wenn es sich nur auf traditionelle diplomatische Themen konzentriere.
Autorin
Für hochgezogene Augenbrauen in der Schweizer NGO-Szene hat die Ernennung des Stiftungspräsidenten und seines Stellvertreters gesorgt: Diese Posten übernehmen der ehemalige Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe und Peter Aebischer, ehemaliger Präsident der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Lausanne und des Nestlé-Verwaltungsrats und heute Mitglied des Advisory Board von Nestlé Health Sciences. Die Schweizer Organisation Public Eye fragt in einem kritischen Beitrag auf ihrer Website, was Nestlé mit Diplomatie zu tun habe und warum die Firmenelite internationalen Organisationen Regelungsvorschläge anbieten solle.
Als Antwort darauf schrieb das EDA, eine der wichtigsten Aufgaben des Stiftungsrates, insbesondere des Präsidenten und des Vizepräsidenten, sei es, von öffentlichen und privaten Partnern Geld einzuwerben. Der Bundesrat habe Brabeck-Letmathe und Aebischer wegen ihrer „sozialen Kompetenzen“ und ihrer „weitreichenden Vernetzung in Wirtschaft und Wissenschaft“ gewählt; Ziel der Stiftung sei es, diese beiden Welten mit jener der Diplomatie zu verbinden.
Public Eye sieht in dieser Personalentscheidung indes einen weiteren Beweis für die Wirtschaftsnähe des Auswärtigen Amtes. Die Organisation fürchtet, „dass aus dem ,Geneva Science and Diplomacy Anticipator‘ der ,Geneva Science and Diplomacy Terminator‘ wird – die endgültige Kapitulation demokratisch gewählter Regierungen vor der Privatwirtschaft“.
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