Herr Ammer, macht es einen Unterschied für Sie, ob Sie schwarze oder weiße Menschen zeichnen? Haben Sie bei Schwarzen eher eine Schere im Kopf?
Es kommt ja immer auf den Zusammenhang an – also darauf, wo eine Zeichnung erscheint. Daher würde ich sagen: Ja, manchmal, aber wirklich nur ganz leicht. Bei den Zeichnungen für „welt-sichten“ überlege ich schon hin und wieder, wie gehe ich da nun achtsam ran. Nehmen Sie meine Zeichnung zum digitalen Kolonialismus, in der die Afrikaner als Gefangene der Weißen zu sehen sind. Wäre das in einer anderen Zeitschrift gedruckt worden, wäre das vielleicht als rassistische Darstellung kritisiert worden.
Worauf achten Sie, wenn Sie schwarze Menschen zeichnen, um dem Vorwurf des Rassismus zu entgehen?
Ich versuche den Personen, die ich zeichne, mit Respekt und einer gewissen Umsicht zu begegnen. Auch Satire kann respektvoll sein. Ich kann sehr kritisch sein, aber muss dabei in der Zeichnung gar nicht stark übertreiben. Es sind immer die Klischees oder die Stereotype, die als Rassismus gedeutet werden. Ich versuche dem zu entkommen, indem ich die Charaktere zeichne, also die individuellen Merkmale einer Person. Wenn man das macht, greift der Rassismusvorwurf meiner Ansicht nach nicht.
Wie groß ist das Risiko, dass Sie als Zeichner rassistische Klischees oder Stereotype reproduzieren?
Relativ groß. Dazu eine Anekdote: Ich habe lange für eine Zeitung in Tokio gearbeitet. Einmal hat mich ein Redakteur gefragt, warum wir Karikaturisten die Asiaten immer mit – wie er sich ausdrückte – Schlitzaugen zeichnen. Er war auf typisch japanische Art sehr zurückhaltend in seiner Kritik, aber ich habe gespürt: Für ihn ging das irgendwie in Richtung Rassismus, weil ja nicht alle Asiaten gleich aussehen. Da habe ich verstanden: Wir mit unserem europäischen Blick tun uns schwer, zu differenzieren. Wir haben noch die Bilder aus den Kinderbüchern im Kopf, in denen die Asiaten schmale Augen und die Schwarzen große Lippen und platte Nasen haben.
Das heißt, Sie müssen sich von diesem weißen Blick befreien und noch genauer hinschauen, weil wir uns schwerer damit tun, schwarze Gesichter zu entziffern?
Ja, das kann man so sagen. Ich darf mich nicht verführen lassen, zu vereinfachen. Das ist ein Drahtseilakt, denn einerseits muss eine Zeichnung vereinfachen, andererseits darf sie nicht plump daherkommen. Das ist mein Anspruch, auch wenn mir das vielleicht nicht immer gelingt. Manchmal sind Stereotype verführerisch, und manche Betrachter verstehen eine Zeichnung vielleicht auch gar nicht, ohne dass ich Stereotype verwende.
Kann eine Zeichnung für den einen Betrachter rassistisch sein, für den anderen nicht?
Ja, natürlich. Wenn ich persönlich betroffen bin von einer Darstellung, berührt mich das eventuell viel stärker und anders als eine Zeichnung, die mit mir nichts zu tun hat. Ich verstehe, dass ein schwarzer Mensch eine Zeichnung vielleicht unangemessen und unfair findet, während es mir nicht so geht. Das ist mein Berufsrisiko.
Gibt es Motive, von denen Sie lieber die Finger lassen?
Nein, ich will zu allen Themen zeichnen können. Die Frage ist eben wie, wann und wo.
Der aus Tansania stammende Karikaturist Gado hat den früheren Präsidenten von Simbabwe, Robert Mugabe, einmal als Affen gezeichnet. Und er hat gesagt, natürlich dürften Karikaturen derart beleidigend sein. Finden Sie das auch?
Ich finde, es ist nicht das Ziel einer Karikatur, jemanden zu beleidigen. Sie soll viel eher etwas aufzeigen. In diesem Rahmen darf Satire manchmal auch wehtun. Der frühere US-Präsident George W. Bush wurde in den USA von Karikaturisten auch als Affe gezeichnet. Ich musste einerseits darüber lachen, andererseits frage ich mich: Ist das notwendig? Ich bin da zurückhaltender und versuche etwa, Tiervergleiche zu vermeiden und das anders zu lösen. Aber möglich muss das alles sein, finde ich. Wenn ich das nicht erlaube, dann sagt der Nächste, du darfst ihn nicht als Heiligen darstellen. Die freie Meinungsäußerung steht darüber. Man muss ja nicht mit allem einverstanden sein.
Ist Satire eine Waffe, die sich ausschließlich gegen die Starken und Mächtigen richten sollte? Oder darf man sich auch über die vermeintlich Schwachen lustig machen?
Es geht für mich nicht darum, dass ich mich gegen jemanden richte, sondern dass ich etwas aufzeige. Und da kann mir quer durch alle Gesellschaftsschichten etwas auffallen. Auch hier gilt für mich: Ich muss alles und jeden satirisch kritisch betrachten dürfen. Je nach Perspektive ändern die Machtverhältnisse sich ja auch manchmal: Der kleine Mann von der Straße kann zu Hause ein mächtiger Familienvater sein. Und den muss ich darstellen können. Ich sage mal: Die Gemeinheit des Menschen gibt es bei den Starken und den Schwachen genauso. Hinzu kommt, was ein Politiker mal gesagt hat: Es ist schlimm, karikiert zu werden, aber noch schlimmer ist es, nicht karikiert zu werden.
Karikiert zu werden, ist also auch eine Art Anerkennung?
Könnte man so sagen. Derjenige, der karikiert wird, erregt zumindest beim Zeichner Aufmerksamkeit. Der Zeichner macht sich Gedanken über ihn, er ist bedeutsam für den Zeichner. Ich werde gezeichnet, also bin ich.
Haben Sie den Eindruck, dass die Öffentlichkeit empfindlicher oder sensibler gegenüber Satire zu bestimmten Themen geworden ist?
Schwer zu sagen. Ein Magazin hat mal eine Zeichnung von mir nicht gedruckt, weil eine Redakteurin sie frauenfeindlich fand. Ich vermute, vor zehn Jahren wäre niemand auf diese Idee gekommen. Das zeigt vielleicht, dass heute über Gender anders gedacht wird als früher. Mein Eindruck ist, dass sich viele Leute heute generell schwerer tun mit der gezeichneten Satire. Das Verständnis für Karikaturen wird von einer gewissen Hochglanzmentalität der glatten Bilder abgelöst.
Was meinen Sie damit?
Ein Beispiel: „Die Zeit“ hatte früher immer auf ihrer Titelseite einen gezeichneten Kommentar. Der ist irgendwann nach hinten auf die Meinungsseiten gerutscht. Zwar wollen Redaktionen noch Zeichnungen im Blatt, schon als Blickfänger. Aber die dienen dann eher als Aufputz. Die Karikatur zielt ja anders als der geschriebene Kommentar viel stärker auf die Gefühlsebene, direkt auf den Solarplexus. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Redakteure zu Zeichnungen von mir gesagt haben, nein, das können wir nicht bringen – obwohl der gleiche Sachverhalt in der Überschrift und im Vorspann des Artikels stand. Da ist mir bewusst geworden: So gesehen ist die Zeichnung wirkungsvoller als der Text.
Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.
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