„Natürlich darf Satire beleidigen“

Tillmann Elliesen
16.30 Uhr: Noch anderthalb Stunden bis zum Redaktionsschluss. Langsam füllt sich Gados Zeichenblatt.
Godfrey Mwampembwa alias Gado zählt zu den bekanntesten Cartoonisten in Afrika. In seinen Karikaturen nimmt er auch islamistische Fundamentalisten aufs Korn.

Die Zeichnung zeigt den kenianischen Ministerpräsidenten, der auf dem Friedhof während einer Trauerfeier auf dem Sarg steht und politische Reden schwingt – einen Politiker also, der selbst die Totenruhe seinen eigennützigen Zielen unterordnet. Das war dem Herausgeber der „Daily Nation“, der größten Tageszeitung in Kenia, dann doch zu viel: Der Cartoon wurde nicht gedruckt. „Ja, manchmal lehnen sie Zeichnungen ab. Aber nicht oft“, sagt Godfrey Mwampembwa. „Wir einigen uns dann darauf, dass wir uns nicht einig sind. Mich stört das nicht. Auf meiner Website kann man auch diesen Cartoon sehen.“

Früh am Morgen ist das Papier auf dem Zeichentisch noch weiß. Godfrey Mwampembwa, den alle nur bei seinem Künstlernamen Gado nennen, sitzt seit halb acht in seinem Atelier, vor ihm ein aufgeklapptes Apple-Notebook und ein Stapel Zeitungen. Das mehrstöckige Gebäude in der quirligen Innenstadt von Nairobi nennt sich „Plaza“, beherbergt sonst vor allem Schönheitssalons und Computerwerkstätten und hat wohl schon bessere Tage gesehen. Hier zeichnet der 43-Jährige seine Kommentare zum politischen Geschehen in Kenia, in Afrika und in der Welt. Die „Daily Nation“ druckt sie jeden Tag auf ihren Meinungsseiten. „Morgens lese ich Zeitungen und schaue im Internet, was so passiert. Ich müsste jetzt eigentlich eine Idee kriegen“, sagt Gado. „Leider gelingt das nicht immer. Karikaturist ist ein 24-Stunden-Job, sieben Tage die Woche.“ Um sechs Uhr abends muss die Zeichnung in der Redaktion sein.

Autor

Tillmann Elliesen

ist Redakteur bei "welt-sichten".
Am liebsten karikiert Gado die Mächtigen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – die sogenannten „fat cats“, die er häufig auch so zeichnet: fette Katzen, die bevorzugt Koffer abgreifen, die von Banknoten überquellen. Besonders gern nimmt er sich afrikanische Staats- und Regierungschefs vor. Die sind in Gados Zeichnungen immer auf den eigenen Vorteil bedacht, tricksen, intrigieren, lügen und kassieren ab.

Nährt er damit nicht weit verbreitete Vorurteile gegenüber afrikanischen Politikern? „Nein“, sagt Gado, „ich kommentiere die Dinge so, wie sie es verdienen.“ Einmal hat er Robert Mugabe, den diktatorisch herrschenden Präsidenten von Simbabwe, als Schimpansen gezeichnet. Darf Satire derart beleidigen? „Natürlich darf sie das“, sagt Gado: „Die Politiker beleidigen uns doch auch ständig mit ihrer Politik. Irgendwann beißen wir halt zurück.“ Seine Fans lieben ihn dafür, die verspotteten Politiker nicht unbedingt. Aber davon kriegt er nicht viel mit: Früher habe er hin und wieder Drohungen erhalten, heute kaum noch. Mit Beschwerden müssen sich die Herausgeber seiner Zeitung herumschlagen. Insgesamt stehe es heute gut um die Meinungsfreiheit in Kenia. 

Gado zählt zu den bekanntesten Cartoonisten in Afrika. Seit 20 Jahren zeichnet er täglich für die „Daily Nation“, einmal die Woche außerdem für die Wochenzeitung „East African“. Zeitungen aus aller Welt wie „Le Monde“, der „Guardian“ und die „Washington Post“ haben seine Karikaturen nachgedruckt, auch in „welt-sichten“ erscheinen sie regelmäßig. 1999 wurde er in Kenia zum Cartoonisten des Jahres gewählt, zweimal gewann er den Journalistenpreis der kenianischen Menschenrechtskommission. „Von den acht Cartoons, die ich normalerweise in der Woche zeichne, sind vielleicht zwei richtig genial. Drei sind gut, und die restlichen sind drei nicht wirklich schlecht, aber – naja.“

Ethnische Konflikte sind in Kenia ein schwieriges Thema

Es gibt schwierige Themen, aber keine Tabus für eine Karikatur, findet Gado. Ja, Satire dürfe alles, so wie Kurt Tucholsky es vor fast hundert Jahren formuliert hat. Sie sei schließlich nicht dazu da, irgendjemand eine Freude zu machen. „Es ist nicht gut, wenn man einmal damit anfängt, bestimmte gesellschaftliche Gruppen oder Fragen auszusparen.“ Gado sagt das ohne jeden missionarischen Eifer. Er habe keine Mission, betont er – und fügt hinzu: Natürlich komme es auch auf den Hintergrund an; in Deutschland etwa seien Karikaturen zum Holocaust wohl ausgeschlossen.

In Kenia sind ethnische Konflikte ein schwieriges Thema. Empfindlich reagieren die Herausgeber seiner Zeitung außerdem auf Zeichnungen, die mit Sex oder gar Homosexualität zu tun haben. Und Fragen zur Religion sind immer heikel. Er habe sich damals klar hinter die dänischen Zeichner der Mohammed-Karikaturen gestellt, sagt Gado. „Die waren nicht alle gelungen, aber für mich hat die Presse- und Meinungsfreiheit Vorrang.“ Im Dezember 2005, also noch bevor die dänischen Karikaturen erschienen, zeichnete Gado eine verschleierte Frau mit Sprengstoffgürtel. „Ich bekomme aber auch die 72 Jungfrauen, klar?“ sagt die Frau zu dem Bärtigen mit Turban, der sie auf Selbstmordmission schickt. Muslime in Nairobi protestierten gegen die Zeichnung und kündigten Demonstrationen an. Die „Daily Nation“ entschuldigte sich auf ihrer Titelseite.

Andere Religionsgemeinschaften sind nicht weniger empfindlich. Im vergangenen Sommer gab es in Kenia eine heftige Debatte über die Rocklänge der Schuluniformen von Mädchen. Der Erziehungsminister verteidigte kürzere Röcke und sagte, die Mädchen sollten nicht wie Nonnen herumlaufen. Gado zeichnete daraufhin verärgerte Nonnen in sehr kurzen Röcken, die gegen den Minister protestieren. Prompt beschwerten sich Kirchenvertreter über die Darstellung.

Am späten Vormittag ist das Blatt Papier auf dem Zeichentisch immer noch leer. Gado hat schon eine vage Idee. Doch zunächst muss er sich um ein anderes Projekt kümmern: die neue Sendung seiner Firma für Fernsehprogramme, Buni TV. Bekannt geworden ist Buni TV mit der satirischen „XYZ Show“, die Gado seit fünf Jahren mit einem Team Gleichgesinnter produziert. Sie hat seine Cartoons zum Leben erweckt: Die von ihm aufgespießten Politiker und anderen Größen aus Kenia treten darin als von Puppenspielern bewegte Latexfiguren auf und werden durch den Kakao gezogen – so wie in der berühmten britischen Sendung „Spitting Image“, die als Vorbild gedient hat. Die „XYZ Show“ hat in Kenia eingeschlagen wie eine Bombe; bislang wurden sechs Staffeln ausgestrahlt.

Sein wichtigstes Markenzeichen bleibt die politische Karikatur

Das neue Programm ist eine Serie für Kinder: Sie soll afrikanischen Jungen und Mädchen auf unterhaltsame Weise die Geschichte ihres Kontinents nahebringen. Im Büro von Buni TV in einem Industriegebiet am Stadtrand von Nairobi trifft Gado einige Mitarbeiter. An der Wand hängt das Storyboard für den Pilotfilm der Serie: In Dutzenden kleinen Zeichnungen hat Gado die Abfolge der Szenen skizziert. Mit seinem Team bespricht er technische Details und schwierige Einstellungen. In einer Werkstatt nebenan werden bereits die Puppen hergestellt; bis April soll die Serie fertig gedreht sein.

Mit Buni TV knüpft Gado an sein Studium an der Hochschule für Film im kanadischen Vancouver an. Für die Zukunft plant er außerdem einen Zeichentrickfilm. Aber sein wichtigstes Markenzeichen bleibt vorerst die politische Karikatur. Für den Job bei der „Daily Nation“ hat der gebürtige Tansanier 1992 ein Architekturstudium abgebrochen. Seine ersten Zeichnungen veröffentlichte Gado Ende der 1980er Jahre, als er noch zur High School ging.

Halb fünf, noch anderthalb Stunden bis zum Redaktionsschluss. Auf dem Zeichenpapier tut sich etwas. Gado zeichnet mit Bleistift grob vor, es entstehen die Umrisse einer Person, die etwas auf dem Kopf hat. Für die Reinzeichnung wechselt Gado zu einem japanischen Tuschestift. Der fertige Cartoon am nächsten Tag in der Zeitung zeigt eine Frau mit Baby auf dem Rücken, die erschrocken in die Mündungen großkalibriger Gewehre blickt. Auf ihrem Kopf trägt sie einen Sack mit Geld. Aus Richtung der Gewehrläufe ruft es ihr entgegen: „Halt einfach still. Gegen dich haben wir nichts. Wir zielen nur auf die schwere Last, die du mitbringst.“ Gados Attacke auf jene Politiker, die gegen eine Frauenquote im kenianischen Parlament sind, weil sie angeblich zu teuer ist.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2013: Ägypten: Aufruhr und Aufbruch
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