Bereits zum vierten Mal berät derzeit eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe über den Entwurf für ein neues Abkommen, das Konzerne stärker in der Pflicht nehmen soll. Der sogenannte „Zero Draft“ würde die Vertragsstaaten unter anderem dazu verpflichten, Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferketten notfalls mit Sanktionen zu ahnden – und würde damit deutlich weiter reichen, als die 2011 verabschiedeten UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die vor allem auf die Selbstverpflichtung der Unternehmen setzen.
Die Bundesregierung hält offenbar wenig von dem Vorstoß. Zwar betont die Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Bärbel Kofler, es sei wichtig, menschenrechtliche Verpflichtungen für Wirtschaft und Unternehmen durchzusetzen. Die UN-Leitprinzipien seien dafür aber der richtige Rahmen und bildeten einen globalen Konsens ab. Den Vorwurf von Hilfsorganisationen, Deutschland blockiere den Prozess, weist Kofler zurück. Man beteilige sich, wolle aber auf Änderungen drängen. So sollten nicht nur transnationale Konzerne in den Blick genommen werden, sondern auch national operierende Unternehmen, die oft Menschenrechtsprobleme in ihren Ländern verursachten. Das werde bislang nicht ausreichend berücksichtigt.
Nicht mehr im Entwurf enthalten ist die Forderung, ein Unternehmensstrafrecht einzuführen, das in Deutschland politisch kaum mehrheitsfähig wäre. Auch von einem neuen internationalen Gerichtshof, vor dem Opfer von Menschenrechtsverstößen Unternehmen und Staaten verklagen könnten, ist keine Rede mehr. Dafür sieht der Vertragsentwurf jetzt vor, dass Staaten Bestimmungen aus Freihandelsabkommen Vorrang vor Menschenrechtsnormen einräumen können.
Für die kirchlichen Hilfswerke Misereor und Brot für die Welt, die sich als Teil der „Treaty Alliance Deutschland“ für das Abkommen einsetzen, haben Menschenrechte Vorrang vor Handels- und Investitionsabkommen. Sie fordern von Deutschland, den Widerstand gegen ein verbindliches Abkommen aufzugeben. „Es darf keine Kompromisse geben, wenn es um den Schutz von Menschenrechten geht“, erklärte Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer von Misereor. Diese hätten auch dann Vorrang, wenn deutsche Wirtschaftsinteressen im Spiel sind. Das Bündnis fordert, Deutschland solle konstruktiv an einem Abkommen mitarbeiten. Sonst entstehe der Eindruck, dass es die Verhandlungen zum Scheitern bringen wolle.
Die Schweiz beteiligt sich nicht an den Verhandlungen. Man verfolge den Prozess „kritisch“, teilt das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) mit. Die Priorität liege bei der Umsetzung der UN-Leitprinzipien und dem Ende 2016 vom Bundesrat genehmigten nationalen Aktionsplan. Die Schweiz habe ihre Skepsis zu Beginn der Verhandlungen zum Ausdruck gebracht. Man behalte sich vor, sich im Laufe der Debatte einzubringen, um „Fragen zu stellen“ und „die Elemente zu klären“, die im Widerspruch zu den UN-Leitprinzipien stehen könnten.
Ein Bündnis von Organisationen der Zivilgesellschaft kritisierte bereits im Vorfeld die „zögerliche Haltung“ der Schweiz und rief die Behörden dazu auf, sich an der Erarbeitung „eines der wichtigsten Menschenrechtsabkommen“ zu beteiligen. Die Umsetzung der UN-Leitprinzipien und des nationalen Aktionsplans – ohne neue verbindliche Maßnahmen – reichten nicht aus, um den Schutz der Menschenrechte und den Zugang zu Wiedergutmachung für Opfer sicherzustellen, kritisiert das Bündnis.
Österreich ist derzeit nicht im Menschenrechtsrat vertreten, wurde am 12. Oktober aber für die Periode 2019 bis 2021 in den Rat gewählt. In seiner Bewerbung versprach Österreich, sich für die Stärkung des internationalen Menschenrechtsschutzes einzusetzen und die Rolle eines Brückenbauers einzunehmen. Im Falle des Abkommens über Wirtschaft und Menschenrechte vertritt Österreich keine eigenständige Position. Man werde sich der EU-Position anschließen, heißt es beim Völkerrechtsbüro des Außenministeriums. Der Menschenrechtsrat habe 2014 den Prozess initiiert, Österreich als Mitglied treffe damit eine besondere Verantwortung, sagt Melanie Oßberger von FIAN Österreich: „Wir fordern die österreichische Regierung auf, diese Verantwortung im Sinne der Menschenrechte wahrzunehmen.“ Österreich falle zudem durch die EU-Ratspräsidentschaft eine Vorreiterrolle im Hinblick auf eine gemeinsame Position in Brüssel zu.
Dort übt man sich bislang ebenfalls in Zurückhaltung. Ein neues rechtsverbindliches Instrument lehne man zwar nicht ab, teilt eine Sprecherin des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) mit. Die Europäische Union vertrete aber die Ansicht, „dass alle möglichen weiteren Schritte in den UN-Leitprinzipien fest verwurzelt sein müssen und sich auf alle Arten von Unternehmen, ob transnational oder einheimisch, beziehen müssen“. Der derzeitige Entwurf erfülle diese Voraussetzungen nicht. Vor diesem Hintergrund wolle die EU in der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe mitarbeiten, sich jedoch nicht an den Beratungen über das rechtsverbindliche Instrument beteiligen. (maz, tp, rld, ps)
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