Über fünf Jahre lang haben die Staatenvertreter im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen verhandelt. Ende September haben sie sich nun auf ein gemeinsames Papier geeinigt: Die „Erklärung für die Rechte von Kleinbauern und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten“ erkennt an, dass Kleinbauern besonders geschützt werden müssen, und fordert politische Schritte, um ihre Rechte zu stärken.
Am Anfang der Beratungen vor fünf Jahren standen eine Initiative der Bauernbewegung La Via Campesina und die Frage, warum Hunger in ländlichen Räumen überproportional verbreitet ist. Zu den wichtigsten Ursachen zählen Enteignungen oder Vertreibungen, die Benachteiligung von Frauen sowie das Fehlen von Mindestlöhnen, sozialer Sicherung und Reformen für ländliche Entwicklung. Es geht um rund 530 Millionen bäuerliche Familien, mehr als 2,5 Milliarden Menschen.
„All das ist Ausdruck von politischer Vernachlässigung“, sagt der Vizedirektor des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR), Michael Windfuhr. Dabei sei der ländliche Raum der Schlüssel für die Umsetzung vieler Menschenrechte, etwa des Rechts auf angemessene Nahrung. Eine UN-Erklärung, die durchbuchstabiere, welche für Bauern besonders bedeutsam sind, hält Windfuhr deshalb für hilfreich.
In der neuen Erklärung genannt wird unter anderem ein Recht auf Land – allerdings nur indirekt, im Zusammenhang mit dem Gebot, dass Kleinbauern nicht diskriminiert werden dürften und ein „Recht auf angemessene Lebensstandards“ hätten an einem Ort, an dem man in Sicherheit, Frieden und Würde leben und die bäuerliche Kultur bewahren kann. Das in einem früheren Entwurf enthaltene Recht auf gerechte Preise wurde gestrichen. Insgesamt wurde der Text erheblich entschärft, berichten Beteiligte. Bindend ist die Erklärung ohnehin nicht, die darin beschriebenen Rechte sind nicht einklagbar. Mit ihrer Zustimmung bringen die Staaten lediglich zum Ausdruck, dass sie sich politisch für deren Umsetzung engagieren wollen.
Auf der Seite der Agrarkonzerne?
Trotzdem hat die Bundesregierung – in Genf vertreten durch die EU –, sich bei der Abstimmung enthalten. In den sieben beteiligten Bundesministerien gingen Beamte aus verschiedenen Gründen in die Defensive. So schreckten Verfechter des Freihandels vor aus ihrer Sicht protektionistischen Begriffen wie Ernährungs- und Saatgut-Souveränität zurück, obwohl diese nicht als Rechte festgehalten werden. Im Landwirtschaftsministerium befürchtete man offenbar, Teile der Erklärung könnten mit geistigen Eigentumsrechten und internationalen Abkommen zum Patentschutz von Pflanzenzüchtungen kollidieren. Das politische Netzwerk Inkota wirft der Bundesregierung deshalb vor, auf der Seite von Agrarkonzernen wie dem Chemie- und Saatgutriesen Bayer-Monsanto zu stehen.
Die EU und Deutschland ließen in Genf wissen, sie unterstützten das Anliegen, Menschenrechte von ländlichen und marginalisierten Bevölkerungsgruppen besser zu schützen. Neue Verpflichtungen, die in bereits geltenden UN-Vereinbarungen verankert seien, lehne man aber ab. Beim federführenden Auswärtigen Amt heißt es dazu: „Die Verbesserung der Situation von Kleinbauern und Menschen in ländlichen Gegenden ist für Deutschland gerade auch hinsichtlich der Verwirklichung der im Sozialpakt der Vereinten Nationen verankerten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ein wichtiges Anliegen.“ Will heißen: Dort ist sie gut aufgehoben.
Das Auswärtige Amt hält die Erklärung für verzichtbar
Die Erklärung habe in Deutschland keinen politischen Heimathafen gefunden, meint ein Beobachter. „Kein Minister wollte sich die Sache wirklich zu eigen machen und in der EU dafür werben.“ Offen bleibt, wie die Enthaltung mit der im Koalitionsvertrag versprochenen Förderung von Kleinbauern zusammenpasst – oder mit dem deutschen Einsatz für die UN-Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern. Einen weiteren Rechtsrahmen hält das Auswärtige Amt offenbar für verzichtbar und für ungeeignet, den Schutz von Menschenrechten entscheidend zu verbessern.
Das Aktionsnetzwerk FIAN sieht in der Erklärung hingegen ein wichtiges Instrument, um das Machtungleichgewicht zwischen Kleinbauern und anderen Landnutzern auszugleichen und der Privatisierung Einhalt zu gebieten. Im Konflikt um die Nutzung von Wasserquellen oder Land hätten gemeinschaftliche Interessen laut der UN-Menschenrechtscharta Vorrang vor den Interessen privater Konzerne, so die Menschenrechtsorganisation.
Insgesamt stimmten 33 der 47 Staaten im Menschenrechtsrat für die Erklärung, Ungarn, Großbritannien und Australien lehnten sie ab. 11 Länder enthielten sich, neben Deutschland fünf weitere EU-Staaten. Mitte November wird die UN-Vollversammlung über die Erklärung abstimmen. Michael Windfuhr, Vizedirektor des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin, fordert die Bundesregierung auf, die Erklärung trotz einiger Schwächen mitzutragen. Die menschenrechtlichen Standards seien eine Anleitung für verantwortliches Regieren. Und sie könnten dazu beitragen, Verletzungen aufzudecken und die Betroffenen ermutigen, ihre Rechte einzufordern.
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