Die brasilianische Landlosenbewegung MST hat 2014 bei São Paulo eine Landbesetzung organisiert.
Was hat die jüngste Verhandlungsrunde im Mai gebracht?
Die dritte Version des Entwurfs wurde diskutiert. Es hat sich gezeigt, dass die Zustimmung der Staaten dazu wächst, dass eine solche Deklaration hilfreich sein kann, um die Menschenrechtslage im ländlichen Raum zu verbessern. Gleichzeitig sind noch viele Details umstritten. Im nächsten Jahr soll daher das fünfte Treffen stattfinden.
Welche Themen sind umstritten?
Kritiker lehnen zum Beispiel die Forderung nach einem Recht auf Land ab und wollen stattdessen nur von „Zugang zu Land“ sprechen. Kleinbäuerliche Organisationen sagen jedoch, sie seien inzwischen so bedrängt durch Land Grabbing, dass sie ein Recht auf Land brauchen. Es hätte ein viel stärkeres Gewicht, wenn man sagen würde, sie haben ein Recht auf Land gegenüber einem Staat oder gegenüber einem Unternehmen. Das Recht auf Land ist notwendig, um das Recht auf Nahrung zu verwirklichen. Umstritten sind außerdem Forderungen nach einem Recht auf soziale Sicherheit, auf ein menschenwürdiges Einkommen oder auch nach einem Recht für kleinbäuerliche Produzenten und Produzentinnen, die Preise für ihre Agrarprodukte mitzubestimmen. Denn oft sind Händler in der Lage, die Preise einseitig zu bestimmen.
Welche Staaten haben Einwände?
Es sind vor allem Industriestaaten und jetzt bei der letzten Sitzung überraschenderweise plötzlich auch Guatemala. Guatemala war vorher eigentlich ein Befürworter der Entwürfe und hat sich auf einmal sehr kritisch geäußert. Ich weiß nicht warum, aber die Wortwahl ähnelt teilweise sehr den Argumenten der USA. Die USA lehnen die Deklaration grundsätzlich ab. Die Europäische Union hat ihre Bereitschaft zur konstruktiven Mitarbeit wiederholt, hat aber Einwände gegen die Formulierung neuer Rechte wie das Recht auf Land und sieht auch das Mitspracherecht bei den Agrarpreisen kritisch. Außerdem sagt sie, der Entwurf müsse noch mit bestehenden Menschenrechtskonventionen abgestimmt werden.
Warum ist eine UN-Erklärung eigens für Kleinbauern und Kleinbäuerinnen überhaupt nötig?
Die ländliche Bevölkerung ist überdurchschnittlich von Hunger betroffen. Laut FAO hungern 795 Millionen Menschen weltweit; vier Fünftel davon leben in ländlichen Regionen. Und wiederum die Hälfte davon sind Kleinbauern und Kleinbäuerinnen. Die Deklaration soll auch Kleinfischer, nomadisch lebende Hirten und andere Menschen, die auf dem Land arbeiten, umfassen. Grob überschlagen kann man sagen, dass die UN-Erklärung die Rechte von einem Drittel der Weltbevölkerung stärken würde.
Warum ist die Landbevölkerung besonders von Hunger betroffen?
Gemäß dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen gibt es dafür fünf Hauptgründe. Der erste sind Landenteignung und Landvertreibung, der zweite die Diskriminierung von Frauen. Zwischen 60 und 70 Prozent der Hungernden weltweit sind Frauen oder Mädchen. Der dritte Grund sind das Ausbleiben von Agrarreformen und die Vernachlässigung der ländlichen Entwicklung. Viertens fehlen Mindestlöhne und soziale Sicherheit. Und fünftens werden kleinbäuerliche Bewegungen, die sich für ihre Rechte einsetzen, unterdrückt und kriminalisiert. Oft entsteht der Eindruck, dass Hunger durch Naturkatastrophen entsteht. Das tut er auch, aber die sind nicht der Hauptgrund.
Es gibt bereits UN-Deklarationen, die die Menschenrechte schützen. Die gelten doch auch für Kleinbauern. Warum reicht das nicht?
Nach der großen Finanzkrise und der Nahrungsmittelpreiskrise von 2008 und 2009 hat der Ansturm auf Land so stark zugenommen, dass die ländlichen Gemeinden stärker unter Druck stehen und ihnen der Zugang zu Ressourcen strittig gemacht wird. Außerdem: Es gibt auch spezielle Konventionen gegen die Diskriminierung von Frauen, für die Rechte von Kindern oder Menschen mit Behinderungen. Immer wenn bestehende Menschenrechtsinstrumente offensichtlich für eine bestimmte Personengruppe nicht ausreichend greifen, reift die Idee, besondere Instrumente zu schaffen. In der Erklärung für Kleinbauern und Kleinbäuerinnen sollen alle bestehenden Rechte für diese Personengruppe erstmals in einem Dokument zusammengefasst werden. Hinzu kommt, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Menschenrechtskonventionen überwiegend von Städtern verfasst wurden und vorrangig deren Sicht spiegeln.
Was heißt das?
Beispielsweise hat Zugang zu Land eine andere Bedeutung für jemanden, der in ländlichen Regionen wohnt, als für einen Stadtbewohner. Wenn Land meine Ressource ist, um meine eigenen Nahrungsmittel zu produzieren, dann bekommen solche Rechte eine andere Bedeutung. Diese Rechte müssen respektiert und geschützt werden und es muss die Frage gestellt werden, welche Rolle dabei der Staat spielt und welche Pflichten er übernehmen muss.
Wäre die UN-Erklärung zu Rechten von Kleinbauern rechtsverbindlich oder lediglich eine freiwillige Richtlinie?
Etwas dazwischen. Einerseits wäre sie verbindlich, da sie unter dem Dach der Vereinten Nationen beschlossen wird. Andererseits wäre es kein Vertrag, sondern eine politische Erklärung. Als solche wäre sie jedoch ein wichtiges Referenzdokument für die Menschenrechtsarbeit insgesamt. Das macht auch noch einmal deutlich, wie wichtig eine breite Zustimmung bei einer Verabschiedung wäre.
Das Gespräch führte Johanna Greuter.
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