Der Makel der dunklen Haut

Indisches Schönheitsideal
Hellhäutig, schlank und mit glatten Haaren – dieses Schönheitsideal ist in Indien tief verwurzelt, nicht zuletzt im Kastenwesen. Doch in den Städten wächst der Widerstand gegen die Diskriminierung nach Hautfarbe.

Die drei Finalistinnen im Wettbewerb um den Titel der Miss India stehen im Juni 2018 vor dem tobenden Publikum im Sendesaal. Millionen Fernsehzuschauer beobachten, wie sie die Hände ringen und angespannt lächeln in Erwartung des Moments, der ihr Leben verändern kann. Als dieser Moment dann kommt und der Titel der Miss India an Anukreethy Vas geht, eine 19-Jährige aus Südindien, da verändert sich mehr als nur ihr eigenes Leben. Denn Anukreethy Vas besitzt nicht nur alles, was eine traditionelle Schönheitskönigin haben muss – Selbstvertrauen, Talent, natürliche Schönheit –, sondern  sie ist auch für indische Standards dunkelhäutig. In einem Land, in dem helle Haut mehr geschätzt wird als fast alle anderen körperlichen Eigenschaften, löst ihr Sieg eine lebhafte Debatte aus. Kommentatoren schieben Überstunden, um darüber zu spekulieren, ob dies als Zeichen eines tiefgreifenden sozialen Wandels in Indien zu verstehen sei.

Seit Jahrhunderten wird Schönheit in Indien anhand von drei wesentlichen Merkmalen definiert: helle Haut, glattes Haar und eine schlanke Figur. Wer diesen Idealen nicht entspricht, läuft Gefahr, diskriminiert zu werden. Das kennt sogar Anukreethy Vas, ungeachtet ihrer von dem Wettbewerb bestätigten Schönheit. „Ja, ich habe Diskriminierung viele Male erlebt, man begegnet ihr überall“, sagte sie der „Gulf News“. Seit einigen Jahren wird das festgefügte Schönheitsideal zwar infrage gestellt, vor allem unter Jugendlichen, doch der Fortschritt beschränkt sich im Wesentlichen auf die großen Städte und geht nur langsam voran.

Professor Neha Mishra, die an der Reva-Universität von Bangalore Jura lehrt, führt Indiens Obsession für Hellhäutigkeit auf die bewegte Vergangenheit zurück. „Wir haben viele Invasionen erlebt, und die Eindringlinge waren stets hellhäutiger“, erklärt sie und bezieht sich damit auf die verschiedenen Wellen von Eroberern – von den Mongolen bis zu den Briten. „So brachten die Inder schließlich deren hellere Hautfarbe mit Macht in Verbindung.“

Helle Haut steht für Erfolg, Wohlstand und Schönheit. Das macht sich in vielen Bereichen des Alltags bemerkbar – von Heiratsanzeigen, in denen ausdrücklich hellhäutige Partner gewünscht werden, bis zur florierenden Filmindustrie von Bollywood, deren Stars in der Regel einen hellen Teint haben. Dunkelhäutige Inder haben es schwerer, Jobs zu finden und als Mitglied höherer sozialer Schichten anerkannt zu werden. Zwar können auch Personen von dunklerer Hautfarbe in der Gesellschaft aufsteigen, sie müssen dafür aber gemäß der soziologischen Austauschtheorie andere Eigenschaften besitzen, die ihr Äußeres kompensieren, etwa Reichtum oder Ruhm.

„Indien hat großes Potenzial, aber erhebliche Schwierigkeiten, es auch auszuschöpfen, weil das Problem der Hautfarbe alles stark überdeckt“, meint Professor Ronald Hall von der School of Social Work an der Michigan State University (USA). Er berichtet von Fällen, in denen auf dem Land im Klassenzimmer jüngere dunkelhäutige Kinder aus der untersten Kaste auf dem Boden sitzen müssen. „Ich frage mich, wie viel Talent brachliegt, nur weil begabte Menschen eine dunklere Hautfarbe haben“, sagt er.

Das Kastensystem ist eine äußerst nachteilige Form der sozialen Schichtung. Es hat sich vor mehr als 3000 Jahren ausgebildet und teilt die Hindus – die religiöse Mehrheit des Landes – in strikt voneinander getrennte Gruppen ein: an der Spitze die Brahmanen (in der Regel Priester und Intellektuelle) und ganz unten die Dalits, die oft abwertend auch als „Unberührbare“ bezeichnet und noch unterhalb der Kastenpyramide angesiedelt werden.

Autorin

Namrata Kolachalam

ist Autorin und lebt in Mumbai, Indien.
Dalits wird gewöhnlich eine dunklere Hautfarbe zugeschrieben. Das ist ein weiterer problematischer Aspekt des Kults der Hellhäutigkeit, was die herrschende Klasse des Landes nur selten zugibt. Das Kastensystem ist zwar offiziell seit Jahrzehnten abgeschafft und der Hautton hängt nicht direkt mit der Kastenzugehörigkeit zusammen – es gibt dunkelhäutige Brahmanen und hellhäutige Dalits. Aber die Verbindungen zwischen Hautfarbe und Kaste, die sich im Verlauf von Jahrtausenden herausgebildet haben, sind extrem schwer aufzubrechen.

Eine dunklere Haut wird mit niedrigen Diensten assoziiert

Jyotsna Siddharth ist Aktivistin gegen das Kastenwesen und selbst Angehörige der Dalits. Sie nennt als einen Grund dafür, dass dunkle Hautfarbe mit niedriger Stellung im Kastensystem verbunden wird, dass den Dalits seit jeher schwere körperliche Arbeit aufgebürdet wird wie das Reinigen der Bahngleise. Eine dunklere Haut werde deshalb mit niedrigen Diensten assoziiert. Angehörige der höheren Kasten übernahmen solche als schmutzig geltenden Arbeiten nicht.

Die Behandlung der Frauen innerhalb des Kastensystems sei besonders scheinheilig, sagt Jyotsna Siddharth. Während die weiblichen Mitglieder der Brahmanen den Schutz der Gesellschaft genießen, werden Dalit-Frauen häufig Opfer von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen und haben kaum eine Chance, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Das indische Schönheitsideal „wurzelt im brahmanischen Patriarchat und seinem Idealbild einer begehrenswerten Frau. Wer dem nicht entspricht, gilt einfach nicht als schön“, sagt Jyotsna Siddharth.

Obwohl das Kastensystem, das eng mit Vorurteilen gegenüber der Hautfarbe verwoben ist, noch allgegenwärtig ist, haben die meisten Inder „offenbar kein Bewusstsein für die Benachteiligung und Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe“, schreibt Neha Mishra in einem Aufsatz. Viele Inder leugneten vehement, dass ihre Haltung gegenüber anderen von deren Hautfarbe beeinflusst sein könnte. Das erschwere es, das Problem anzugehen. Auf die Frage, was dieses Denken ändern könnte, verweist Jyotsna Siddharth auf B. R. Ambedkar, einen der Gründungsväter Indiens und selbst Dalit-Aktivist: Er war überzeugt, dass Eheschließungen über Kastengrenzen hinweg das System aufweichen würden. Siddharth hält das nicht für eine perfekte Lösung zur Überwindung der Vorurteile, sieht darin aber einen Schritt in die richtige Richtung.

Fair & Handsome für Männer

Während Menschen unter Diskriminierung wegen dunkler Haut seelisch leiden, machen Kosmetikunternehmen ein Vermögen mit dem Wunsch, hellhäutig und auf konventionelle Weise attraktiv auszusehen. Die Summe, die weltweit für Mittel zur Hautaufhellung ausgegeben wird, wird sich laut einem Bericht von Global Industry Analysts von 2017 bis zum Jahr 2024 verdreifachen, und der Schwerpunkt des Marktes liegt im asiatisch-pazifischen Raum. Solche Produkte waren ursprünglich nur auf Frauen zugeschnitten, inzwischen gibt es sie auch für Männer. So hat die bekannte Marke Fair & Lovely eine Produktlinie Fair & Handsome für männliche Kunden entwickelt, die von einem der beliebtesten Bollywood-Stars des Landes, Shah Rukh Khan, beworben wird.

Leider haben diese beliebten und häufig verwendeten Produkte ihren Preis, manchmal einen extrem hohen. Es gibt ein breites Spektrum an Hautbleichungstechniken; manche sind harmlos, andere hochgefährlich. Hautaufheller können ein giftiges Gebräu von Chemikalien und Kortison enthalten, das Hautreizungen, Hautkrebs, Akne, Nieren- und Leberschäden oder dauerhaften Pigmentverlust verursachen kann.

Gegen den Bleichwahn regt sich in Indien seit einigen Jahren zunehmend Widerstand. Kavitha Emmanuel, die Gründerin der Organisation Women of Worth, hat 2009 die Kampagne „Dark is Beautiful“ („Dunkel ist schön“) in Gang gebracht. Sie geht Vorurteile gegen dunkelhäutige Menschen an und wird seit 2013 von Nandita Das unterstützt, einem der größten Stars von Bollywood. Seitdem hat sie wie mit einem Schneeballeffekt geholfen, den Begriff von Schönheit in Indien zu erweitern. Wie wichtig das ist, zeigt sich laut Emmanuel auch daran, dass sich Vorstellungen von Schönheit bereits in sehr jungem Alter bilden und lange nachwirken. Laut einer Umfrage von Women of Worth haben bereits Fünfjährige im Kindergarten die Unterschiede zwischen ihrem eigenen Hautton und dem ihrer Altersgenossen sowie die damit verbundenen Vor- und Nachteile erkannt und verinnerlicht.

Der Widerstand hat dazu geführt, dass die Werbekampagnen der großen Unternehmen inzwischen weniger mit Schamgefühlen operieren. Vor einigen Jahren war es noch üblich, dass Werbespots von traurigen, dunkelhäutigen Frauen handelten, die durch Bleichen ihrer Haut ihr Leben veränderten und Liebe gewannen. Doch der indische Werberat hat 2014 in Zusammenarbeit mit den Unternehmen neue Richtlinien erlassen, wonach nicht länger hellhäutige Menschen als bevorzugt und Dunkelhäutige als benachteiligt dargestellt werden sollen. „Die Richtlinien wurden gut angenommen“, sagt Shweta Purandara, die Vorsitzende des Werberats. „In den vergangenen vier Jahren hat sich die Werbung stark verändert, im Großen und Ganzen halten sich alle an die Regeln.“

Auf die Frage, warum die Markenhersteller freiwillig den neuen Standards folgten, meint Shweta Purandara, dass Unternehmen mehr auf ihr Marken­image achten in einer Zeit, in der Rassismus und Sexismus stärker ins öffentliche Bewusstsein getreten sind. Sie fürchten sich vor Kritik in den sozialen Medien und den Folgen unkluger Werbung.

Beim Make-up hat sich viel geändert

Nicht nur die Werbung, auch die Schönheitsprodukte selbst entwickeln sich weiter. Es gibt heute in Indien viel mehr Auswahl für dunkelhäutige Frauen und ein breiteres Angebot an Kosmetika für verschiedene Hauttöne. Die Frisuren- und Make-up-Spezialistin Zahabia Lacewalla aus Mumbai erklärt, dass viele Kosmetikmarken heute auch eine Grundierung mit gelblichen oder auch olivfarbenen Tönen anbieten, die ideal für viele asiatische Hauttöne ist­ – ­­nicht mehr nur mit rosafarbenen Tönen, die für weiße Haut passen. „Beim Make-up hat sich viel geändert“, sagt sie. Der Pop-Superstar Rihanna hat in ihrer Make-up-Linie gar Grundierungen in vierzig verschiedenen Schattierungen, da ist für fast jeden Hautton etwas dabei.

Zahabia Lacewalla sagt, sie ermutigt ihre Kundinnen, ihre natürliche Schönheit zu pflegen. Früher sei Frauen mit lockigem Haar oft eingeredet worden, sie müssten es glätten. Inzwischen habe sich in kosmopolitisch orientierten Regionen wie Mumbai ein langsamer, aber stetiger Trend herausgebildet, zu seinem Haar und seiner Hautfarbe zu stehen. Auf Hautaufhellung angesprochen, erklärt Lacewalla, dass sie Bleichen weder anbietet noch dazu ermutigt, obwohl sich damit ein lukratives Geschäft machen ließe. „Ich halte es für moralisch richtig, diese Art Dienstleistung abzulehnen“, sagt sie.

Die jüngeren Generationen brechen mit der Vergangenheit und versuchen, Vorurteile wegen der Hautfarbe zu überwinden. Manche wie die 21-jährige Anushka Kelkar nutzen soziale Medien, mit denen andere teilweise die Selbstachtung von Menschen untergraben, als Waffe gegen altmodisches Denken. Als Studentin hat Kelkar die Instagram-Seite „browngirlgazin“ gegründet, nachdem sie erlebt hatte, welchen Stress Schönheitsstandards für ihre Studienkolleginnen bedeuteten. Die Seite spricht vor allem junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahren an und bietet Frauen aller Körpertypen eine Plattform, offen über ihre Erfahrungen zu reden und sich auch verletzlich zu zeigen. Eine schaut intensiv in die Kamera, und in der Bildunterschrift heißt es: „Als Kind (und auch jetzt noch) dachte ich immer, ich sei dick … Ich fand immer, dick zu sein ist nicht das Schlimmste, oder? Bis wir akzeptieren, dass Wörter wie ‚dick‘ und ‚klein‘ keine Schmähungen sind und die Wörter ‚dünn‘ und ‚groß‘ kein Kompliment, wird sich nichts ändern.“

Kelkar sieht ihre Arbeit als ersten wichtigen Schritt, andere Formen von Diskriminierung und Missbrauch in Indien anzugehen wie sexuelle Gewalt und Ungleichbehandlung am Arbeitsplatz. Sie hofft, dass sie das Problem der Diskriminierung nach Hautfarbe so ins Bewusstsein rückt,  dass junge Menschen sich wahrgenommen und verstanden fühlen. Doch sie glaubt auch, dass noch ein weiter Weg zu gehen ist. „Die Leute sagen, Indien sei heute so fortschrittlich und die Jüngeren diskriminierten nicht offen. Aber das sitzt sehr tief.“

Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2018: Drang nach Schönheit
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