Im Schmelztiegel der Trends und Moden

Senegal
Im Senegal verändert sich die Vorstellung von Schönheit. Religion, die Verstädterung und soziale Medien haben daran großen Anteil.

„Nur eine hässliche Frau läuft hastig“, heißt es in Senegals Hauptstadt Dakar. Auf ihren staubigen Straßen schlendern Frauen, oft groß und schlank, elegant gekleidet, diskret geschminkt, mit Hüftschwung und von Düften umhüllt. Im Senegal lebt jedoch mehr als die Hälfte der Bevölkerung auf dem Land in recht kargen Verhältnissen, nur ein Viertel wohnt im Großraum Dakar und ist dank Internet mit der ganzen Welt verbunden. Was ist für Senegalesen schön – und in welchem Teil des Senegals?

Eins steht fest: Wenn Frauen wie Männer gefragt werden, was eine Frau schön macht, kommt unvermeidlich als Antwort: ein heller Teint. Der ist bei der Ethnie der Peul zu finden, deren Frauen oft als die schönsten des Senegals gepriesen werden, und natürlich bei den Métis, den Menschen mit gemischter Abstammung. Der Markt mit Bleichcremes und anderen Kosmetika, falschen Nägeln, Augenbrauen und Pflegeprodukten für die Haare boomt. „Das hat mit dem Internet angefangen“, sagt Adama Fall, die in Dakar zwei Kosmetikläden besitzt. „Die Frauen haben gesehen, was es alles gibt, und die Nachfrage wuchs.“

Für jedes Kleid gibt es ein Kopftuch

Sie habe Produkte importiert und zu Hause verkauft, „bis mein Mann von den vielen Kundinnen genervt war“. 2007 eröffnete sie ihren ersten Laden. Aus dem Geschäft mit den Haaren hat sie sich inzwischen zurückgezogen. Haarverlängerungen und Perücken nehmen einfach zu viel Platz weg. Dafür gibt es spezielle Anbieter und die sind durchaus beliebt, weil Haarteile so praktisch sind. „Damit geht es morgens am schnellsten, wenn du zur Arbeit musst“, sagt die 30-jährige Aida, die in einem Schönheitssalon angestellt ist. „Darunter trage ich mittelkurzes Haar, das ich geglättet habe.“ Wenn es heiß ist, trägt sie gern dicke Haarextensions, die nah an der Kopfhaut geflochten sind. Das ist zurzeit der heißeste Trend.

Wie Aida wechseln die Frauen in den senegalesischen Städten ständig ihre Frisuren. Doch die Mehrheit von ihnen trägt eine Kopfbedeckung. „Für jedes Kleid gibt es ein Kopftuch“, sagt Nabou Diagne Seck, Modedesignerin in Dakar. Für ihre Kleider, die sie selbst entwirft und nähen lässt, benutzt sie verschiedene Stoffe: den Wax, das bunte Baumwolltuch, ursprünglich in den Niederlanden hergestellt, das als „der“ afrikanische Stoff gilt, aber auch gestickte Baumwolle und synthetische Materialien. Gemeinsam ist den Kleidern ihre Länge. Sie reichen bis weit unterhalb des Knies und bedecken zumindest den Oberarm. „Das gehört sich so, meine Kundinnen sind verheiratete Frauen“, sagt Seck. In Dakar tragen Ehefrauen eher traditionelle Kleider als westliche Mode, vor allem am Freitag, dem heiligen Tag der Muslime. Kleider aus Wax sind im Senegal sehr gefragt, vor allem seit die US-amerikanische Popsängerin Beyoncé in einem davon aufgetreten ist.

In den Städten und vor allem in Dakar hat sich seit Anfang der 2000er Jahre eine urbane Konsumgesellschaft entwickelt. Ihre Einwohner sind globalen Einflüssen ausgesetzt, die Milieus differenzieren sich durch die Individualisierung aus, die mit der Verstädterung einhergeht. Das wirkt sich auf die Wertvorstellungen und das Kaufverhalten aus.

Der Anthropologe Emmanuel Cohen ist der Frage nachgegangen, wie sich vor diesem Hintergrund die Vorstellungen von Schönheit entwickelt haben. Er ist ins Zentrum des Senegals gereist, in die Region um Kaolack, in der viele verschiedene Ethnien leben. Dort besuchte er abgelegene Dörfer, die noch nicht elektrifiziert sind, um zu erfahren, wie früher Schönheit gesehen wurde und was die Verstädterung daran verändert hat.

Die Frauen in den Dörfern sind ungekünstelt: Sie leben mit freien Brüsten, ein Pagne – den afrikanischen Wickelrock – um die Taille gebunden, und sind eher schlank. „Die Ästhetik auf dem Land ist funktional“, sagt Cohen, der an der Witwatersrand Universität im südafrikanischen Johannesburg forscht. Tattoos und Narben sind kein Schmuck: Sie geben Auskunft über die Ethnie oder den sozialen Status einer Person. Mädchen in der Pubertät, Mütter, junge Männer, die eine Initiation hinter sich haben, werden so gekennzeichnet. Die Perlenketten, djal djal in Wolof, die Frauen um ihre Hüften tragen und als das Geheimnis ihrer erotischen Anziehungskraft betrachten, seien dagegen in den Dörfern unbekannt. „Sie sind eine Erfindung der Städterinnen. Das gilt auch für die Idee, dass eine schöne Frau dick ist, umhüllt von einem Boubou, dem afrikanischen Kleid“, sagt Cohen.

Autorin

Odile Jolys

ist freie Journalistin in Dakar, Senegal, und berichtet aus Westafrika, unter anderem für den Evangelischen Pressedienst und „Neues Deutschland“.
Auf dem Land sei die Fähigkeit des Körpers wichtig, Kinder zu gebären, zu arbeiten, die Familie und das Dorf zu schützen. „Die Vitalität des Körpers wird verehrt.“ Diese Einstellung hat sich für Cohen mit der Verbreitung von Islam und Christentum verändert. Im Gegensatz zum Lebenskult der Animisten würdigen die beiden monotheistischen Religionen den Körper herab. Er ist der Fleischeslust verdächtig und muss deshalb verhüllt werden. Damit seien das Christentum und der Islam die Wegbereiter der Moderne im Senegal – die sich bislang vor allem in den Städten zeigt. Und so leben in der senegalesischen Gesellschaft Frauen mit unbedeckten Brüsten in ihren Dörfern, verschleierte Frauen in Dörfern und Städten sowie junge urbane Frauen mit kurzen Röcken, engen Jeans und tiefen Dekolletés. Im Senegal wie anderswo werden Körper je nach Lebensart konstruiert und erotisiert.

Körperfülle gilt auf dem Land als schön

Das zeigt sich deutlich am Umgang mit Körperfülle. Auf dem Land, erläutert Cohen, hätten die Menschen nichts gegen eine gewisse Fülle, solange sie weiter harte physische Arbeit verrichten können. In den Vororten der Städte biete sich den Zugezogenen vom Land endlich ausreichend Nahrung. Wer mager in die Stadt aufbreche und gut genährt in sein Dorf zurückkehre, bestätige, was jeder weiß: Die Stadt ist besser als das Land. „Mit seinen neuen Kilos zeigt er seine Integration in die städtische Gesellschaft und seinen neuen Wohlstand.“ Eine füllige Frau im Boubou gilt dort als schön.

Im Stadtzentrum hingegen gibt es Lebensmittel im Überfluss, sie sind nichts Besonderes mehr. „Der Stadtmensch fühlt sich der Natur überlegen. Nahrungsaufnahme ist Vergnügen, das aber nicht dazu führen soll, zuzunehmen. Ich will essen, was ich will, aber schlank bleiben“, erläutert Cohen. Die schlanke und sportliche Figur gilt auch in Dakar als schick. An der Küstenpromenade und auf jedem noch so kleinen Stück Strand treiben Frauen und Männer Sport: Joggen und Krafttraining. China hat Sportgeräte gespendet, die an vielen öffentlichen Plätzen in den Städten aufgestellt sind. Die Kosmetikunternehmerin Adama Fall bestätigt, dass Abnehmpillen mehr und mehr gefragt sind. „Die Menschen wollen ihren Körper kontrollieren. Sie wollen die perfekte Figur, die perfekte Gesundheit“, sagt Anthropologe Cohen.

Zugleich steht die natürliche Schönheit bei den Modeschauen und in der Werbebranche immer höher im Kurs. Models, die Bleichcreme benutzen, werden ausgeschlossen, wie Aymeric Austry bestätigt, der Leiter einer Werbeagentur, die Spots für einen großen senegalesischen Telekomkonzern gedreht hat. Und Biokosmetika werden immer beliebter. Adama Fall, die ihren Umsatz bislang überwiegend mit Bleichmitteln macht, möchte verstärkt in dieses Geschäft einsteigen. Am liebsten hätte sie senegalesische Produkte im Angebot. „Einige meiner Kundinnen möchten das gerne“, sagt sie. „Doch bislang gibt es nur ein paar Marken und die produzieren noch nicht genug.“

Der Senegal ist – wie fast alle Länder der Welt – globalen Trends ausgesetzt, die von der Werbung, der Mode- und Konsumgüterindus­trie, aber auch von den verschiedenen Religionen gemacht werden. Traditionen werden erfunden, andere angepasst, und so existieren unterschiedliche  Schönheitsideale an vielen Orten nebeneinander. Der junge Stadtbewohner richtet sich nach den internationalen Mode- und Schönheitstrends. Die muslimische Städterin ist zwischen der globalen muslimischen Kleidung und dem westlichen Chic hin- und hergerissen.

In den Vororten bleibt derweil die korpulente Frau mit djal djal um die Hüften ein Ideal. Und in den Dörfern will man die afrikanischen Traditionen bewahren – wird aber mehr und mehr islamisiert. So leben in ein und demselben Dorf verschleierte Frauen, während ihre Nachbarinnen mit entblößten Brüsten aufs Feld gehen. Ein 30-jähriger Fitnesstrainer in Dakar fasst dieses Nebeneinander auf seine Weise zusammen: „Schön und sexy ist für mich eine Weiße, die ein muslimisches Kopftuch trägt.“

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erschienen in Ausgabe 9 / 2018: Drang nach Schönheit
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