Freiwillig nach Freiburg

Hildegard Willer

Madyt Reyes (links) und Maycol Sulca schätzen an weltwärts ihre interkulturellen Erfahrungen. Für die Arbeit in Peru hat aber nur Maycol Sulca von dem Programm profitiert.

Weltwärts
Mehr als 80 junge Peruanerinnen und Peruaner waren bislang mit dem Programm weltwärts in Deutschland im Einsatz. Nicht alles, was sie dort gelernt haben, hilft ihnen in ihrer Heimat.

Carlos Requejo war einer der ersten Peruaner, die der Freiwilligenarbeit in der deutschen Entwicklungspolitik eine neue Richtung gegeben haben. Vor zehn Jahren startete das vom deutschen Entwicklungsministerium (BMZ) finanzierte weltwärts-Programm, mit dem bis heute zehntausende junge Deutsche entwicklungspolitische Freiwilligendienste in aller Welt geleistet haben. Nur ein Jahr später begann in Freiburg das erste Süd-Nord-Programm, über das junge Freiwillige aus Entwicklungsländern nach Deutschland kamen.

Der damals 22-jährige Carlos Requejo aus einem kleinen Dorf in Nordperu wurde in eine Behindertenwerkstatt nach Freiburg geschickt und wohnte bei einer deutschen Gastfamilie. Schnell lernte der junge Peruaner Deutsch, machte Witze mit seinen Schützlingen, kurvte mit dem Fahrrad durch die Straßen und kickte im lokalen Fußballclub. Nach einem Jahr kehrte er wieder zurück nach Peru. Sein Aufenthalt wurde damals noch mit Spenden finanziert, die Deutsche aufgetrieben hatten, die als Freiwillige in Peru gewesen waren.

Seit November 2013 hat auch weltwärts eine Süd-Nord-Komponente. Knapp 1400 junge Männer und Frauen aus Ländern des Südens haben seitdem einen einjährigen Freiwilligendienst in Deutschland absolviert, allein aus Peru mehr als 80. Die Entsendeorganisationen der deutschen Jugendlichen sind verantwortlich für den Aufenthalt der Süd-Freiwilligen und organisieren deren Einsatz. Im Fall von Peru sind dies die Erzdiözese Freiburg, das Welthaus Bielefeld, der Christliche Verein Junger Menschen (CVJM) und AFS Kiel.

Viele peruanische Freiwilligen sind bereits ausgebildet

Ein entwicklungspolitischer Freiwilligendient soll die jungen Menschen zu einem verstärkten Engagement in ihrem Herkunftsland bewegen. Funktioniert das auch in Peru? Dass ein Freiwilligenjahr zur Persönlichkeitsentwicklung beiträgt, ist unbestritten. Der Mehrwert für das berufliche Fortkommen wird allerdings unterschiedlich bewertet. Anders als die deutschen Jugendlichen, die meist nach dem Abitur und ohne Berufspraxis ausreisen, haben die meisten peruanischen Freiwilligen bereits ein abgeschlossenes Studium oder eine Ausbildung.

Maycol Sulca hat in Freiburg in einem Kindergarten und in einem Altenheim seinen Dienst geleistet. Der 30-Jährige, der heute für ein Hotel den Onlineauftritt organisiert, sagt, dass potenzielle Arbeitgeber in Peru seine aus Deutschland mitgebrachte Erfahrung schätzen. Karla Vera dagegen konnte wenig von dem anwenden, was sie als Freiwillige in einer Drogenberatungsstelle in Bielefeld gelernt hatte. Die finanziellen Möglichkeiten für Drogenarbeit seien in Deutschland viel besser als in Peru, sagt die Psychologin. Sie hatte vor dem Freiwilligendienst bereits vier Jahre Berufserfahrung als Streetworkerin für Straßenkinder in Lima, die ihr allerdings bei ihrem Einsatz in Deutschland mangels Sprachkenntnissen wenig geholfen habe: „Ich kam mir wieder vor wie ein Kind.“

Karla Vera betont, wie sehr sie die interkulturelle Erfahrung bereichert hat. So geht es den meisten Freiwilligen aus Peru. Im Rückblick sehen sie ihren wichtigsten Beitrag in Deutschland darin, dass sie Stereotype über Peruaner oder Bewohner eines Entwicklungslandes zurechtrücken konnten.

Mit Entwicklungspolitik hat das nichts zu tun

Genau hier setzt die Kritik von Anne-Katharina Wittmann an. Die 34-jährige Sozial- und Kulturpä­dagogin hat in ihrer Masterarbeit die Süd-Nord-Komponente des weltwärts-Programms untersucht. Seit März 2018 koordiniert sie in Lima zudem das Freiwilligenprogramm der Erzdiözese Freiburg. Der Freiwilligendienst sei zweifellos persönlich bereichernd für die jungen Menschen. „Aber mit Entwicklungspolitik hat das nichts zu tun, weder die Nord-Süd- noch die Süd-Nord-Komponente“, sagt Wittmann. Die Machtverhältnisse seien viel zu zementiert, die Entscheidungshoheit und Verantwortung für beides liege bisher weitgehend einseitig bei den Trägerorganisationen in Deutschland.

Die Partnerorganisationen im Süden sind weder in die Konzeption des Programms eingebunden noch können sie direkt beim weltwärts-Programm Mittel beantragen. Wenn es nach Wittmann ginge, dürfe nicht der interkulturelle Austausch im Mittelpunkt des Freiwilligendienstes stehen, sondern die rassismuskritische Sensibilisierung der Teilnehmenden – und, in der Folge, der Zivilgesellschaft in beiden Ländern. Nur so ließe sich die strukturelle Ungleichheit zwischen Nord und Süd sichtbar, kritisierbar und veränderbar machen.

Wie unterschiedlich die Verhältnisse in Deutschland und Peru sind, ist der 27-jährigen Madyt Reyes nach ihrem einjährigen Dienst in einem Kindergarten in der Nähe von Karlsruhe bewusst geworden. Als sie zurückkam, absolvierte die gelernte Krankenschwester ihr Anerkennungsjahr in einem abgelegenen Dorf im Amazonasgebiet – das sich allerdings als illegales Goldgräbercamp erwies, in dem Überfälle und Mord an der Tagesordnung waren. Dagegen hilft die in Deutschland erworbene Tugend der Mülltrennung wenig. „In Deutschland gibt es viel mehr Rücksicht und Respekt im öffentlichen Raum als hier bei uns“, sagt Reyes.

Es ist schwer, eingefahrene Verhaltensweisen zu ändern

Autorin

Hildegard Willer

ist freie Journalistin und lebt in Lima (Peru).
Dieser fehlende Respekt für die Rechte des anderen hat in Peru einen Namen: „viveza criolla“, schlitzohrig sein, sich durchwursteln und immer das Beste für sich herausholen. Viele Jugendliche sehen die vorher so selbstverständliche Einstellung nach ihrer Rückkehr mit kritischen Augen. Aber es ist schwer, eine eingefahrene Verhaltensweise zu ändern. Eine Gruppe von deutschen Freiwilligen und peruanischen Rückkehrern versucht genau das mit ihrem Projekt vom „Kater mit Sandalen“. In Anlehnung an den gestiefelten Kater wollen sie in peruanischen Städten mit der Kunstfigur auf die Nachteile der „viveza criolla“ aufmerksam machen.

Dass die rückkehrenden Peruaner sich für ein besseres Peru einsetzen, ist nicht verwunderlich, schließlich war ihr vorheriges Engagement ein Auswahlkriterium für den Freiwilligeneinsatz in Deutschland. Neu ist, dass sich die Rückkehrer aus Freiburg in einem Verein zusammengeschlossen haben. „Yanapachikum“ – quechua für „immer freiwillig“ – nennt er sich und hat als erste Aufgabe die Organisation des nächsten Jugendtreffens der Partnerschaft Freiburg-Peru übernommen. Auch die bisher acht peruanischen Rückkehrer des Welthauses Bielefeld möchten sich verstärkt austauschen, berichtet Karla Vera. Bisher erhalten sie dafür allerdings anders als deutsche Rückkehrer keine finanzielle Unterstützung aus dem weltwärts-Topf.

Der Aufenthalt in Deutschland hat den jungen Peruanern eine Tür geöffnet. Auch wenn sie wieder in Peru sind, ist es ihnen wichtig, die Tür offen zu halten – für einen Besuch bei der Gastfamilie, für ein Austauschsemester oder eine Ausbildung in Deutschland. Das ist nicht anders bei den deutschen Freiwilligen, die nach ihrem Freiwilligendienst in einem Land des Südens manchmal als Studierende, Besucher oder Entwicklungshelfer zurückkehren.

Vier von 30 jungen Peruanern, die in Freiburg einen Freiwilligendienst absolviert haben, wohnen heute wieder in der Stadt an der Dreisam. Carlos Requejo gehört dazu. Sieben Jahre nach seinem Dienst befindet er sich im zweiten Jahr seiner Ausbildung zum Jugendheimerzieher in Freiburg. „Hier kann ich eine Art von Pädagogik lernen, die in Peru nicht gelehrt wird“, sagt der 29-Jährige. Gerne würde er seine neu erworbenen Kenntnisse später in seinem Heimatland anwenden. „Ich werde mich für den Ort entscheiden, an dem meine Talente gebraucht werden.“

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erschienen in Ausgabe 7 / 2018: Vormarsch der starken Männer
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