„Präsident Rodrigo Duterte hat die Philippinen in die schwerste Menschenrechtskrise seit der Diktatur von Ferdinand Marcos in den 1970er und 1980er Jahren gestürzt“, urteilt Human Rights Watch. In einer Bilanz zum ersten Jahr der Präsidentschaft schrieb Amnesty International bereits im Sommer 2017, dass im Zuge der Anti-Drogen-Politik „tausende Menschen im Auftrag der Polizei ermordet“ worden seien. Das Aktionsbündnis Menschenrechte – Philippinen, das die Lage in dem Inselstaat seit über zehn Jahren beobachtet, spricht von einer „systematischen Aushöhlung des Rechtsstaats“. Im März kündigte das Land seine Mitgliedschaft beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, nachdem dieser wegen der zahlreichen Todesopfer Vorermittlungen aufgenommen hatte.
Die Europäische Union übt einerseits Kritik. Öffentlich hat sie zum Beispiel Mitte März im UN-Menschenrechtsrat ihre tiefe Besorgnis über die „hohe Zahl an Tötungen“ zum Ausdruck gebracht, „die mit der Kampagne gegen illegale Drogen in Verbindung gebracht werden“, und sofortige Aufklärung und gegebenenfalls Strafverfolgung gefordert. Auch bilateral würden die Menschenrechte immer wieder angesprochen, erklärt ein Sprecher auf Anfrage.
In eine andere Richtung weist aber eine aktuelle Entscheidung zur Entwicklungshilfe. Die Finanzabkommen mit den Philippinen über einzelne Programme und Projekte haben bisher standardmäßig einen Verweis auf die Menschenrechte enthalten. Den genauen Wortlaut will die EU-Kommission nicht nennen mit der Begründung, die Abkommen seien bilateral und der Veröffentlichung müssten daher die Philippinen zustimmen.
Seit März gilt ein neues Partnerschaftsabkommen
Ausgerechnet diese Klauseln könnten künftig wegfallen. Generaldirektor Stefano Manservisi – zweiter Mann hinter EU-Entwicklungskommissar Neven Mimica – hat laut einem Sprecher Anfang März in Manila öffentlich mitgeteilt, „dass der aktuelle Verweis auf Menschenrechte in Finanzabkommen ersetzt werden könnte“. Die neue Formulierung steht noch nicht fest. Klar ist nur, dass auf „internationale Abkommen“ verwiesen werden soll, darunter das neue Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und den Philippinen.
Das am 1. März in Kraft getretene Partnerschaftsabkommen behandelt so unterschiedliche Bereiche wie Antiterrorkampf, Entwicklungshilfe, Migration, Pflanzenschutz, Verkehr und Tourismus. Die Menschenrechte gelten als „wesentlicher Bestandteil“. Werden sie verletzt, können dem Text zufolge „angemessene Maßnahmen“ ergriffen werden. Laut Kommission kann als letztes Mittel der Pakt ausgesetzt werden. Dieser sieht zudem unter anderem einen Menschenrechtsdialog und die Stärkung von Menschenrechtsorganisationen vor – sofern sich die Partner darauf einigen. Die EU-Kommission argumentiert, mit dem Partnerschaftsabkommen werde „die strikte Konditionalität der Achtung der Menschenrechte“ in der Entwicklungspolitik aufrechterhalten, auch wenn der bisherige Verweis in den einzelnen Finanzabkommen wegfällt.
Das Aktionsbündnis Menschenrechte – Philippinen, dem unter anderen Brot für die Welt und Misereor angehören, sieht das ganz anders. „Das politische Signal ist verheerend“, sagt Koordinator Johannes Icking. Die Verweise in den einzelnen Finanzabkommen seien zwar immer rechtlich schwach gewesen. Aber politisch zeige die EU, „dass sie sich ins Bockshorn jagen“ lasse. Die philippinische Regierung verkaufe die Offerte aus Brüssel, die Verweise zu streichen, „als großen Sieg“, beschreibt Icking die Folgen.
Die Philippinen drängen auf Achtung ihrer Souveränität
Die Regierung hat verschiedenen Medienberichten zufolge damit gedroht, Entwicklungshilfe der EU auszuschlagen, wenn diese sich in ihre inneren Angelegenheiten einmische. Eine der großen Tageszeitungen des Landes, das „Manila Bulletin“, zitiert in einem Online-Artikel vom vergangenen Januar Finanzminister Carlos G. Dominguez mit den Worten, die EU seien „der einzige Entwicklungspartner der Philippinen, deren Finanzabkommen ausdrücklich Bestimmungen enthält, die mit dem menschenrechtlichem und rechtsstaatlichen Verhalten der Regierung verbunden sind“.
Im konkreten Fall ging es um ein 6,1 Millionen Euro schweres Abkommen zur Handelshilfe. Die Philippinen hätten während der Verhandlungen auf „Achtung unserer Souveränität“ gedrängt, die EU aber „halsstarrig“ auf der „für Präsident Duterte inakzeptablen“ Bestimmung bestanden, zitiert die Zeitung den Finanzminister. Das Abkommen wurde tatsächlich nicht unterzeichnet, wie die EU-Kommission einräumt. Nach ihrer Darstellung allerdings einfach deshalb, weil die Philippinen eine Frist verstreichen ließen. Alle anderen bereits vereinbarten Programme liefen ungestört weiter, betonte die Kommission.
Nicht nur das Aktionsbündnis kritisiert die Kommission. Die Europaabgeordnete Barbara Lochbihler (Grüne) erklärte, das Nachgeben signalisiere den Philippinen, die EU sei erpressbar. Das sei angesichts der Schwere der Menschenrechtsverletzungen und des Verhaltens der Duterte-Regierung „in keinster Weise gerechtfertigt“. Auch unter den EU-Mitgliedstaaten gibt es Unwillen. Deutschland, Großbritannien, Irland und Dänemark hätten den Schritt der Kommission kritisch hinterfragt, verlautete aus Diplomatenkreisen in Brüssel.
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