Ein neues Mantra der Entwicklungspolitik in Europa ist „Bekämpfung von Fluchtursachen“ – womit meist nicht Flucht gemeint ist, sondern Zuwanderung. Die soll schon weit vor Europas Grenzen gebremst werden, insbesondere mit Hilfe afrikanischer Staaten. Laut einer wichtigen neuen Studie aus der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin wird dafür ein wachsender Teil der Entwicklungshilfe in Dienst genommen – und zwar ohne echte oder gar schlüssige Strategie.
Die Forscherinnen und Forscher zeigen, dass die Europäische Union (EU) sich vom Gesamtansatz Migration von 2012 verabschiedet hat. Dort hatte sie unter anderem versprochen, als Gegenleistung für die Kontrolle der illegalen Zuwanderung legale Wege der Arbeitsmigration aus Afrika zu öffnen. Das konnte Brüssel nie einlösen, weil dafür die Mitgliedstaaten zuständig sind und sich sperren. Nun sollen afrikanische Staaten bezahlt werden, um Migranten aufzuhalten und zurückzunehmen.
Dafür haben die EU und mehrere ihrer Mitgliedstaaten eine Vielzahl konkurrierender Hilfsangebote aufgelegt. Denn, so die Studie weiter, die Kontrolle über Europas Migrationspolitik ist umkämpft: Die EU-Kommission will ihren Einfluss gegenüber den Mitgliedstaaten ausweiten, verschiedene Generaldirektionen in Brüssel rangeln miteinander und Länder wie Deutschland sorgen dafür, dass die EU-Mittel zunehmend über ihre nationalen Durchführungsorganisationen fließen.
Die Studie verfolgt an fünf Fällen, wie Regierungen in Nordafrika und im Sahel reagieren. Das Ergebnis ist ernüchternd. Einige nutzen Angebote aus Europa für eigene Ziele – Marokko etwa für die Modernisierung des Landes und die Legitimierung der Monarchie, Ägypten für die Festigung des autoritären Regimes und der Sudan, um aus der internationalen Isolation zu kommen. Gelegentlich können sie mehrere EU-Staaten und die Kommission gegeneinander ausspielen.
Dass die Maßnahmen die Migration nach Europa bremsen, ist zweifelhaft; manche drohen aber lokale Konflikte zu schüren oder die regionale Migration und damit die Wirtschaft in Afrika zu schädigen. Zudem haben Afrikas Autokraten laut der Studie registriert, dass die EU stillschweigend das Ziel fallengelassen hat, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ihrer Nachbarschaft zu fördern. Die Forscherinnen fordern, das zuzugeben und Menschenrechtsstandards für die Migrations-Zusammenarbeit mit autoritären Staaten einzuführen – und die auch klar zu vertreten.
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